Wandel in Nordkorea:Winke! Winke! aus Pjöngjang

North Koreans take pictures with their mobile phones as they watch fireworks to bring in the new year in Pyongyang

Nordkoreaner machen während des Silvester-Feuerwerks in Pjöngjang Fotos mit ihren Handys. Beides vor einigen Jahren undenkbar in Nord Korea.

(Foto: REUTERS)

Das Komitee für Beleuchtung und Dekoration hat ganze Arbeit geleistet. Pjöngjang leuchtet. In der Hauptstadt Nordkoreas sind einst graue Wohnblocks erleuchtet, zu Silvester wurde sogar erstmals ein Feuerwerk abgebrannt. In Vergnügungsparks winken fröhliche Parteikader. Alles nur Propaganda-Kulisse oder Zeichen für eine schleichende Modernisierung?

Eine Reportage von Christoph Moeskes

Es ist, als hätte jemand einen Stecker in die Stadt gesteckt. Pjöngjang, einst wohl die finsterste Hauptstadt auf Erden, leuchtet. Aus den Fensterhöhlen der Wohnblocks kommt jetzt Licht. An den Brücken über den Taedong schicken LED-Bänder nächtliche Regenbögen von einem Ufer zum anderen. Und zum Jahreswechsel gab es erstmals ein Silvesterfeuerwerk im nordkoreanischen Nachthimmel zu bestaunen. Kein Zweifel, das Komitee für Beleuchtung und Dekoration, seit rund zwei Jahren mit einigen Finanzmitteln ausgestattet, hat ganze Arbeit geleistet.

Auch tagsüber ist die Stadt kaum wiederzuerkennen, mag vieles auch unverändert sein: Noch immer dürfen ausländische Journalisten sich nur mit einheimischen Begleitern in Pjöngjang bewegen. Noch immer sind die meisten Einwohner zu Fuß unterwegs oder müssen sich in uralte, überfüllte Busse quetschen, deren einzige Zierde rote Sterne an der Seite sind: Pro unfallfreie 50 000 Kilometer gibt es einen neuen Stern. Noch immer scheint auch die Angst allgegenwärtig zu sein. Und noch immer herrscht in den Straßen Pjöngjangs eine geradezu ohrenbetäubende Stille. Kaum jemand spricht. Die Menschen laufen so stoisch aneinander vorbei, als würden sie einander gar nicht sehen.

Dennoch hat sich mancherorts ein für nordkoreanische Verhältnisse geradezu unverschämtes Laisser-faire breitgemacht. Noch vor Kurzem mussten die Verkehrspolizistinnen mit zackigen Bewegungen einen nicht vorhandenen Verkehr regeln. Ihr absurdes Ballett ist nicht mehr nötig. Jetzt stehen Ampeln an den Kreuzungen, an denen sich sogar Autos stauen: chinesische Wagen der Marke "Build Your Dream", nordkoreanische aus dem Hause Phonghwa (Frieden), dazu japanische und deutsche Modelle. Manche Verkehrspolizistinnen vertreiben sich die Zeit und plaudern mit Passanten oder schreiben SMS. Denn auch das gibt es mittlerweile zuhauf: Handys, eigentlich ein Unding in einem Überwachungsstaat wie Nordkorea. Mehr als eine Million Nutzer sind registriert, seit der ägyptische Mobilfunkbetreiber Orascom ein Funknetz aufbaut hat. Ins Ausland telefonieren kann man damit natürlich nicht. Das eigene Handy mitzunehmen, ist einem als Tourist ebenfalls unmöglich. Bei der Einreise stecken es die Zollbeamten in ein Säckchen und geben es erst zur Ausreise wieder heraus.

Wird Nordkorea ein normales Land

Wo sind wir hier gelandet? In einer upgedateten Diktatur oder in einem Land, das sich tatsächlich verändert? Die Führung möchte den Lebensstandard der Bevölkerung erhöhen und das Land zu einer "starken und prosperierenden Nation" machen, heißt es offiziell. Doch zu welchem Preis? Kann die Modernisierung Nordkorea zu einem normalen Land machen?

Nordkorea wird oft als Kulissenstaat beschrieben. Da liegt es nahe, einmal seine buntesten Kulissen zu besuchen: Wie modern ist das Land in seinen Vergnügungsparks?

Der Minibus fährt das Ufer des Taedong entlang. Wohnblöcke, Brachen, Felder: Pjöngjang dünnt aus wie jede andere Stadt. Plötzlich springen sieben Delfine über die Straße, natürlich unecht. Das Portal markiert ein neues Territorium, ein Elysium voller Wasserrutschen und hydraulisch bewegter Kraken und Hämmer. Willkommen im Rungna-Vergnügungspark, Pjöngjangs neuestem Schrei!

14 brandneue Fahrgeschäfte hat der italienische Fun-Park-Spezialist Zamperla hier im Sommer 2012 aufgestellt, Autoscooter, ein kleines Arsenal sich drehender und schleudernder Geräte - koreanisch beschriftete Katapulte in eine andere Wirklichkeit. Doch Schreie sind auf dem Gelände nicht zu hören. Zentral gesteuerte Lautsprecher beschallen es mit einer Art Mickymaus-Musik, gewürzt mit Streichern und heroischen Gesängen: Easy listening auf nordkoreanisch.

Nordkoreas Führung hatte schon immer ein Faible für Vergnügungsparks. Drei Areale waren den Werktätigen der Hauptstadt einst zur Entspannung und Lebenserheiterung errichtet worden. Der größte war der Mangyongdae-Park, lag er doch unweit des Geburtsorts von Staatsgründer Kim Il Sung. Auf 70 Hektar drehten sich Raketenkarussells, durfte auf Schießbudenfiguren geschossen werden, wurden Trinkhalme in die Aluminiumdeckel giftgrüner Erfrischungsgetränke gesteckt.

Den Park gibt es noch immer, aber er ist in die Jahre gekommen. Als Nordkoreas neuer Machthaber Kim Jong Un ihn im Mai 2012 besuchte, riss er sogar eigenhändig Unkraut aus dem Pflaster und rügte die Park-Verantwortlichen: "Der Wille, dem Volk zu dienen, ist auf unter null gesunken." Ein paar Wochen später eröffnete er den Rungna-Park, wieder ein paar Wochen später den "Folklore-Park", ein Mini-Nordkorea mit Dutzenden historischen Bauwerken im Maßstab 1:10, darunter erstaunlicherweise auch einige aus dem verfeindeten Süden.

Die Mickymaus-Musik beschallt weiter den Rungna-Park. Er ist in vier Vergnügungssektionen unterteilt: ein Delphinarium, ein Freibad und zwei voneinander getrennte Rummelplätze. Hmm, warum eigentlich zwei? Soll das nach mehr aussehen? Sollen die Besucher auf diese Weise besser kontrolliert werden?

Auch sonst unterscheidet sich der Park deutlich von seinen sehr weit entfernten Verwandten in Orlando, Paris oder Soltau. Das Publikum an diesem Nachmittag besteht ausschließlich aus Jugendkadern, die in geordneten Verbänden von einer Attraktion zur nächsten laufen. Die jungen Männer tragen frisch gestärkte Hemden und schwarze Anzüge, die Frauen dunkelblaue Röcke. Der Staat hat ihnen allen den Eintritt in die neue nordkoreanische Wunderwelt als Gratifikation für besondere Leistungen und Treue geschenkt.

Der Krake zuckt. Hält inne. Dreht die Tentakeln. Es ist, als ob er die Jugendkader in den dunklen Anzügen und frisch gestärkten Hemden abschütteln wollte. Doch sie fallen nicht. Sie winken. Die anderen Jugendkader, die gleich den Kraken stürmen und es sich hinter den italienischen Sicherheitsbügeln bequem machen werden, winken kollektiv zurück. Es ist ein einziges Winken, das sich hier im Rungna-Vergnügungspark abspielt.

Ein Volk winkt

Wer hat damit angefangen? Schwer zu sagen in einem Land, in dem seit 60 Jahren nahezu pausenlos gewunken wird. Kim Il Sung winkte. Kim Jong Il winkte. Das Volk winkte. Das Militär winkte. Frauen winkten, Schüler, Arbeiter. Sie alle winkten ihr brausendes, grenzenloses nordkoreanisches Winken, das offenbar schwer zu stoppen ist. Auch der neue Kim winkt, doch weniger gönnerhaft als sein Vater und Großvater, eher ein wenig unsicher, fast schamhaft, als wenn er nur Hallo sagen wollte.

So ähnlich hat der späte Michael Jackson gewunken - auch wenn er keinen Strohhut trug, wie Kim Jong Un es als Reminiszenz an seinen Großvater zu tun pflegt. Diese Strohhüte sind derzeit schwer in Mode. Irgendwann muss eine ganze Containerlieferung in Pjöngjang eingetroffen sein. Dass auf der Krempe "Ronaldinho" steht und sie offenbar ein ausgemusterter Fanartikel der brasilianischen Nationalmannschaft sind, stört niemanden.

Das nächste Fahrgeschäft ist der Hammer. Davon gebe es weltweit nur zwei Exemplare, sagt die Parkführerin. Wir nicken anerkennend. Seit Tagen tun wir eigentlich nichts anderes. Wir nickten vor dem neuen, hypermodernen Briefkasten im Neubauviertel Mansudae, dessen elektronisches Schriftband fortlaufend "Dienstleistungen: Briefe, Pakete, E-Mail, Telefon Stadt und national, Sparkasse, Geldüberweisung" verspricht. Wir nickten, als uns unsere beiden Begleiter durch die neue, menschenleere E-Library der Kim-Il-Sung-Universität führten. Wir nickten, als uns in einem Café so beiläufig wie möglich der Sam Dak Yon, der erste nordkoreanische Tablet-Computer, präsentiert wurde, Speicherkapazität acht Gigabyte, Laufzeit 7,8 Stunden, Kosten 180 Dollar.

Das nordkoreanische Anerkennungsnicken ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, obwohl wir wissen, dass das Land trotz aller Neuerungen noch immer Lichtjahre davon entfernt ist, ein normales Land zu sein. Man kann in Nordkorea weder E-Mails schicken noch internationale Geldüberweisungen empfangen. Man kann in der Kim-Il-Sung-Universität ausschließlich ausgewählte, systemrelevante Bücher lesen. Und mit dem Sam Dok Yon, dessen Speicherkapazität unter der vieler Handys liegt, lässt sich auf dem Weltmarkt kaum ein Blumentopf gewinnen.

"Das Regime hat einen Technologiefetisch", sagt der amerikanische Nordkorea-Fachmann Marcus Noland. Ein nicht ungefährliches Spiel: Denn je mehr Apparate der Staat heranschafft oder entwickeln lässt, desto mehr Erwartungen nährt er in der Bevölkerung. Doch zum Glück gibt es "CNC" - "Computer Numerical Control". Es ist eine Art Betriebssystem, in der nordkoreanischen Wirklichkeit jedoch weit mehr: ein Heilszeichen. Die drei Buchstaben prangen auf Straßentransparenten. Sie finden sich auf Ölgemälden. Selbst bei der Massengymnastik Arirang bilden Zehntausende Nordkoreaner mit Farbtafeln ein umjubeltes "CNC".

Der Fortschrittscode erscheint wie der Platzhalter eines Führerkults, der sich noch nicht manifestiert hat. Für Kim Jong Il standen die Riten fest. Es waren weitgehend die gleichen, mit denen das Volk bereits seinen Vater Kim Il Sung verehrte. So war es nur folgerichtig, dass beiden kurz nach dem Tod Kim Jong Ils Ende 2011 zwei nahezu identische 20 Meter hohe Bronzestatuen errichtet wurden.

Für Kim Jung Un aber, den dritten Kim, fehlen die gewohnten Huldigungsformen bislang. Stattdessen präsentieren ihn die Medien als fröhlichen, zupackenden jungen Mann, der Optimismus und Aufbruchsstimmung verbreiten soll: Kim Jong Un weiht den neuen Rungna-Vergnügungspark ein und zupft Unkraut im alten. Kim Jong Un rügt einen Kommandanten, weil die Soldaten schlecht ernährt sind. Kim Jong Un beklatscht mit seiner Gattin die 15-köpfige Frauencombo Moranbong, die wie zum Beweis ihrer Weltläufigkeit sogar ein E-Gitarrensolo wagt.

Eine Fresswelle rollt durchs Land

Der Minibus fährt zurück ins Zentrum. Am Triumphbogen liegt der zweite neue Vergnügungspark Kaeson. Doch dort hält er nicht. Stattdessen steigen wir auf der anderen Seite der sechsspurigen, von Autos der Marke "Frieden" und "Build Your Dream" befahrenen Straße auf. Wieder ins Rhakwon (Paradies), dem Hähnchenlokal, in dem Kellnerinnen in T-Shirts mit der Aufschrift "Love Mini" in bester Kentucky-Fried-Chicken-Manier krosse Hühnerteile servieren? Oder doch lieber ins Wolhyang?

Lieber ins Wolhyang, obwohl es proppenvoll ist und die Managerin nur mit Mühe einen Platz im Hinterzimmer frei machen kann. Seit zehn Jahren ist es nordkoreanischen Betrieben gestattet, Gewinne branchenfremd zu investieren. Viele haben seither Restaurants gegründet. Die Gewinne, die dort erwirtschaftet werden, müssen nicht ins Blumen-, Möbel- oder Kachel-Kombinat zurückgespeist werden, sondern verbleiben in den Ausgründungen. Die Restaurants sind zu einer festen Institution geworden. Es gibt sie überall in Pjöngjang. Gezahlt wird in Devisen.

Am Nebentisch sitzen zwei Soldaten samt Familien. Sie schauen kurz auf, als sich die ausländischen Journalisten mit ihren Begleitern setzen, dann machen sie sich wieder über ihre Fisch-, Fleisch- und sonstigen Platten her. An unserem Tisch sitzen drei ältere Damen. Sie nicken, dann essen sie weiter ihre Nudelsuppe, ihr Kimchi, ihr Bulgogi. Im Wolhyang wird geschlemmt. So ähnlich muss es in den Fünfzigerjahren gewesen sein, als die Fresswelle durch Westdeutschland rollte. Wo haben die Leute nur das Geld her?

Von Exilkoreanern in Japan, sagen Beobachter; von nordkoreanischen Arbeitern, die sich auf den Baustellen des Nahen Ostens verdingen dürfen, um ein paar Hundert Dollar mit nach Hause zu bringen; vor allem aber durch den privaten Kleinhandel, der sich immer offener entlang der chinesischen Grenze abspielt. Auf dem Schwarzmarkt kann man mittlerweile alles kaufen, wenn man über hinreichend Mittel verfügt - selbst südkoreanische DVDs. Wer die neueste Soap-Staffel verpasst hat, bestellt sie einfach beim Schwarzhändler seines Vertrauens.

Es ist eine schleichende Modernisierung von unten. Schleichend, und dennoch unwiderstehlich. Versucht sich der Staat mit seinen neuen Vergnügungsparks und hypermodernen Briefkästen einen frischen Anstrich zu geben, weil immer mehr Nordkoreaner wissen, wie es draußen in der Welt aussieht? Eine finstere Hauptstadt und verrostete Fahrgeschäfte könnten bald bei immer mehr Menschen Zweifel an der Allmacht der Führung wecken.

Wir verlassen das Wolhyang-Restaurant und gehen in den angeschlossenen Devisenshop. Fast allen Restaurants sind diese kleinen Einkaufsparadiese angegliedert, in denen man importierte Laptops, DVD-Player und Flatscreens sowie heimische Zigaretten bekommt. In einer Vitrine liegen Uhren aus. Plötzlich bricht der gläserne Zwischenboden mit lautem Klirr zusammen: der böse Blick?

Unsere Begleiter drängen uns hinaus. Kein Problem, sagen sie und zünden sich eine Zigarette an. Und tatsächlich: Keine fünf Minuten später erscheint ein Glaser mit einer neuen Scheibe. Man könnte meinen, das Land habe noch ein zweites Nordkorea in petto.

Christoph Moeskes reist regelmäßig nach Nordkorea. Er ist Herausgeber des 2012 erschienenen Buchs "Nordkorea: Einblicke in ein rätselhaftes Land".

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