Wahlsieger Obama:Zweite Chance für den Erschöpften

Seine größte Hypothek waren die überzogenen Erwartungen, die er selbst in seinen Reden geweckt hatte. Barack Obama deutet in seiner ersten Rede nach der Wiederwahl Änderungen an. Der Präsident weiß: Er ist gründlich entzaubert worden. Und muss jetzt eine Politik der kleinen Schritte verkaufen.

Sebastian Gierke

Da ist sie wieder. Die Hoffnung. "Hope". Um dieses Wort kreist die Siegesrede von Barack Obama. Kurz nachdem ihm Mitt Romney am Telefon zum Sieg gratuliert hatte, betritt er in Chicago die Bühne. Seine Anhänger empfangen den 44. Präsidenten der USA mit einer Euphorie, wie er sie in den vergangenen vier Jahren nur noch selten spüren durfte. Sie erfüllt den Saal bis in den letzten Winkel, wird fast gegenständlich. "Four more years", skandiert die Menge.

Doch Obama ist nicht gekommen, um diese Euphorie zu befeuern. Der neue und alte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika steht vor der Nation, in der Nacht seines großen Sieges, um die Euphorie zu dämpfen.

Man spürt, wie schwer ihm das fällt. Wie er eigentlich diesen Sieg auskosten will. In seiner Stimme liegt Pathos. Doch Obama hat aus seiner ersten Amtszeit gelernt. Er will nicht in die gleiche Falle tappen wie vor vier Jahren. Deshalb zügelt er sich. "Ob ich eure Stimme verdient habe oder nicht, ich habe euch zugehört. Ich habe von euch gelernt. Und ihr habt mich zu einem besseren Präsidenten gemacht."

Das wird er jetzt beweisen müssen. Geübt hat er im Weißen Haus lange genug. Damit das niemand falsch versteht: Barack Obama hat in den ersten Jahren seiner Amtszeit mehr erreicht, als viele Präsidenten vor ihm. Er hat historische Entscheidungen getroffen. Sein knapp 800 Milliarden teures Konjunkturprogramm bewahrte die USA vor der Depression. Mit der Gesundheitsreform hat er ein Jahrhundertprojekt durchgesetzt, an dem viele seiner Vorgänger gescheitert waren. Obama hat dem Finanzmarkt Regeln verpasst und Amerika aus zwei Kriegen geführt. Und er hat Osama bin Laden, Amerikas Staatsfeind Nummer eins, zur Strecke gebracht. All das lässt er auch in seiner Rede nicht aus.

Appell an die Einigkeit des Landes

Doch Obama wurde eben auch gründlich entzaubert. Das lag zum einen an der Blockadepolitik der Republikaner. Schmerzlich musste der Präsident erfahren, dass selbst der (möglicherweise noch immer) wichtigste Mann der Welt nur beschränkte Macht hat. Zwei Jahre lang sabotierten die Republikaner mit ihrer Mehrheit im Kongress so gut wie alles, was Obama und die Demokraten vorschlugen. Damit vergifteten die extremen Rechten das politische Klima, trieben die Spaltung des Landes immer weiter voran.

Und deshalb appelliert Obama schon auf der Bühne in Chicago immer wieder an die Einigkeit der Amerikaner. "Wir haben hart gekämpft, aber nur weil uns dieses Land so wichtig ist", sagt er über Romney. Mit dem Herausforderer und dessen Parteifreunden im Kongress will er jetzt sprechen. Über Zusammenarbeit.

Nach dem erbitterten Wahlkampf ruft Obama an die Anhänger beider Parteien gerichtet: "Ob ihr in den vergangenen Wochen ein Romney-Plakat oder ein Obama-Plakat getragen habt - ihr habt etwas bewegt." Doch sofort macht er wieder jedem bewusst: "Der politische Alltag ist manchmal ein Kampf. Demokratie in einem Land mit mehr als 300 Millionen Menschen kann laut und chaotisch sein." Doch nicht nur aufgrund des Streit mit den Republikanern ist Obama bislang ein Unvollendeter. Er selbst hat viele Fehler gemacht. Obama hatte kaum Erfahrung in Washington, als er gewählt wurde. Vielleicht war er auch deshalb einige Male zu zögerlich und vorsichtig.

Schlimmer allerdings wirkte sich aus, dass Obama sich in sich selbst zurückzog. Die wichtigsten Entscheidungen hat er alleine getroffen. In seinem kleinen Büro, dem Treaty Room. Er selbst hat einmal gesagt, dass er sich dann am sichersten Ort der Welt fühlt, wenn er mit sich alleine ist. Keine guten Voraussetzungen für Kompromisse in einem polarisierten Land.

Ein Versöhner? Wie naiv!

Dabei hatte Obama im Wahlkampf vor vier Jahren noch behauptet, Amerika sei gar kein gespaltenes Land. Das war - mit Verlaub - Quatsch. Spätestens unter dem Präsidenten George W. Bush war das Land endgültig in zwei unversöhnliche Lager geteilt. Dennoch wurde Obama damals zum wichtigsten Politiker der USA, indem er behauptete, kein Politiker sein zu wollen. Er behauptet, alle Schwierigkeiten und Unterschiede überwinden zu können. Der Versöhner von liberal und konservativ, von Republikanern und Demokraten, von Weiß und Schwarz, von Arm und Reich.

Aus heutiger Sicht, können wir sagen: Wie naiv!

Doch damals wollte die Mehrheit der Amerikaner (und der Welt) daran glauben, unbedingt. Als er dann von einer enthusiastischen Mehrheit der Amerikaner zum 44. US-Präsidenten gewählt wurde, jubelten nicht nur die USA. Ja, er kann es! Die Wahl 2008 wurde als religiöses Erweckungserlebnis inszeniert - und wurde dann schnell zur größten Hypothek für Obama. Er war bereits auf dem Höhepunkt angekommen: Als Friedensnobelpreisträger. Als Messias.

Der Sturz, der folgen musste, war tief.

Der Ernüchterte warnt vor Zynismus

Kaum zwei Jahre später saß ein ernüchterter, zurückgezogener, abgekämpfter und oft auch uninspirierter Barack Obama im Weißen Haus. Man konnte seinen Widerwillen, seine Enttäuschung aus seinem vom Politikerleben zubetonierten Gesicht lesen, aus den tiefen Furchen, den grauen Haaren auf seinem Kopf. Auf seine Landsleute wirkte Obama entrückt. So leidenschaftlich die Begeisterung für Obama war, so leidenschaftlich war jetzt die Enttäuschung vieler Amerikaner.

Die Macht, sie hatte aus dem Gesalbten, dem Menschenfänger, einen stinknormalen Politiker gemacht. Er, der angetreten war, um Amerika zu einen, versuchte jetzt verzweifelt, sich nicht in immer brutaleren Kleinkriegen zu verschleißen. Obama war entlarvt als einer, der Politik erst lernen musste.

Genau darin liegt aber Obamas Chance für die zweite Amtszeit. Genau deshalb spricht Obama jetzt in Chicago immer wieder über den langen und schweren Weg, der vor Amerika liegt. Obama weiß jetzt, dass sein ehrgeiziger Selbstentwurf von damals nicht mit der Realität in Deckung zu bringen ist. Und so hat er aus seinen vielen Niederlagen auch Kraft geschöpft.

Viele kleine Schritte

Der neue und alte Präsident, der eigentlich immer über den Dingen stehen wollte, hat für die kommenden vier Jahre viele kleine Schritte angekündigt. Nicht mehr die große Vision. Obama hat verstanden, dass er auf Kompromisse mit dem politischen Gegner angewiesen ist. Und vor allem hat er verstanden, dass die Amerikaner keine großen Reden mehr wollen, keine Experimente. Sie wollen sich nicht mehr in eine bessere Zukunft hineinträumen. Sie wollen eine bessere Zukunft haben

Und dafür brauchen sie konkrete Vorschläge. Sie brauchen Realität statt einen Traum. "Heute habt ihr Action gewählt", ruft Obama seinen Anhängern zu. "Ihr habt uns gewählt, damit wir uns um eure Jobs kümmern, nicht um unsere."

Etwas Ernüchterung ist da schon eingekehrt auf den Tribünen in Chicago, so scheint es zumindest aus der Ferne. Einige der Obama-Fans, die hergekommen sind, um zu feiern, schauen Obama fast nachdenklich an. Der Präsident gibt eine Art Regierungserklärung ab, geht dabei immer wieder ins Detail. Steuersenkungen, Schuldenbegrenzung Einwanderungsgesetz, das seien die Probleme, die jetzt gelöst werden müssten. "Deshalb müsse wir uns jetzt mit den Republikanern verständigen." Zynismus und Feigheit, Dummheit und Schäbigkeit, das passe nicht zu Amerika, sagt er mit Blick auf die gespaltene Nation. "Wir sind größer als die Summe unserer individuellen Ambitionen."

Obamas Agenda ist ehrgeizig. Er hat noch viel Arbeit vor sich, wenn er zu einem wirklich großen US-Präsidenten werden will. Der Präsident ist nach vier Jahren ein Unvollendeter. Aber er hat von knapp über 50 Prozent der Amerikaner die Chance bekommen, das zu Ende zu bringen, was er begonnen hat. Er wird es sachlich angehen, kämpferisch, ohne falsche Hoffnung zu wecken.

Ganz am Ende seiner Rede allerdings, da überkommt es ihn dann doch noch einmal: "Ich werde in das Weiße Hause entschlossener und inspirierter zurückkehren, als jemals zuvor." Applaus. "Egal, woran du glaubst, wo du herkommst, ob du weiß oder schwarz bist, Latino oder Indianer, schwul oder hetero: Du kannst es hier schaffen." Jubel. "Wir leben in dem großartigsten Land der Welt." Euphorie. Und Hoffnung. Da ist sie wieder.

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