Wahlkampfslogan der SPD:Steinbrück stiftet Ver-Wir-rung

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück verkündet neuen Slogan

Peer Steinbrück und die SPD haben einen neuen Slogan: "Das Wir entscheidet." Welches Wir?

(Foto: dpa)

Die SPD hat einen neuen Slogan, so viel steht fest. Alles andere ist wunderlich. Da ist die Zeitarbeitsfirma, die das Sprüchlein bereits seit Jahren verwendet und nun rechtliche Schritte prüft. Und da ist die Frage, was "Das Wir entscheidet" bitte heißen soll. Wer ist "Wir"? Der Versuch einer Erklärung.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Grammatikalisch ist das Quatsch. Das Personalpronomen der ersten Person Plural lautet "wir". Also: Wir gehen, wir spielen, wir wählen. Meinetwegen auch "wir entscheiden". Was aber nicht geht, ist "wir entscheidet". Und was gar nicht geht: "Das Wir entscheidet". Das Verb "entscheidet" passt in dieser Form nur zu "er", "sie" oder "es", also zur dritten Person Singular. Nun ja, mag jetzt der geneigte Sprachkenner besserwisserisch dazwischenfunken. Das "Wir" sei ja nominalisiert. Es sei also nichts Falsches daran zu erkennen.

Halten wir also fest: Schlechtes Deutsch ist nicht verboten. Bleibt aber schlecht. Die Sozialdemokraten stört das nicht. Sie glauben, sie könnten die Sprache beugen. Sie wollen, dass "das Wir entscheidet". Das ist der neue Wahlkampfslogan der SPD. Er stiftet große Ver-Wir-rung.

Slogan ist ein Begriff, der sich, wie auf Wikipedia nachzulesen ist, aus dem schottisch-gälischen sluagh für Volk, respektive Heer und ghairm für Ruf ableitet. Ein Volksruf also, oder Heeresruf. Einmal ausgesprochen, sollen dem Ausrufer alle folgen, die den Spruch verstehen und an ihn glauben. Und die alle, das sind dann "Wir".

In diesem Fall heißt der Ausrufer Peer Steinbrück, der sich seit einigen Monaten als Kanzlerkandidat der SPD versucht. So ein Volksruf sollte unmissverständlich rüberbringen, warum das Volk/Heer in die Schlacht ziehen soll. Erwünscht wäre es, wenn danach alle laut JAAAA! schreien würden. Wenn aber Steinbrück "Das Wir entscheidet" ruft, dann schallt es sinngemäß zurück: "Ja, was denn eigentlich? Und wer ist das überhaupt, dieses Wir?"

Steinbrück rief den Satz via Twitter aus. Und zwar so:

Das sind 84 Zeichen. Er hätte also noch 56 Zeichen gehabt, die Sache etwas zu vertiefen. Es wäre nötig gewesen.

Da ist zum einen die Sache mit dem Zeitarbeitsunternehmen, das bereits seit Jahren mit dem Slogan "Das Wir entscheidet" wirbt. Die SPD findet Zeitarbeit aus nachvollziehbaren Gründen doof, warum macht sie sich jetzt mit einer solchen Firma gemein? Das fragt sich auch besagte Firma, die nun rechtliche Schritte gegen die Übernahme des Slogans prüft.

Zum anderen ist da die Frage, was "Wir" überhaupt heißt. Es gibt ja zwei "Wir" und ein "Ihr" in den drei Sätzen, die Steinbrück getwittert hat. Das "Ihr" (in "Was Ihr sofort wissen sollt") meint wohl "uns", also alle, die nicht an der Entscheidung über diesen Wahlkampfslogan beteiligt waren. Die beiden "Wir" aber meinen jeweils etwas gänzlich anderes.

Das erste "Wir" (in "Wir haben einen Wahlkampfslogan") meint genau jene sozialdemokratischen Sprachverstümmler, die glauben, dass das "Wir" etwas "entscheidet". Das zweite "Wir" meint ... ja, was eigentlich?

Traurig, traurig

Ein "Wir-Gefühl" vielleicht. Wenn denn "Wir" überhaupt ein Gefühl ist und nicht vielmehr eine Ansammlung von Menschen mit temporär gleichen Interessen ("Wir grillen, das hat das Wir entscheidet"). Oder das "Wir" als wir beide, meine Freundin und ich. Oder meine Familie und ich. Oder es meint, um an dieser Stelle unsinnigerweise Deutschlands Großkomiker Otto zu zitieren: "Vier alle."

Was ist "das Wir"? Das Wir in uns? Oder die Wirs um uns herum?

Womöglich ist dieses ominöse Wir einfach nur eine schöne demokratisch-sozialistische Projektion der SPD. Im "Wir" geht das "Ich" auf. Es wird Teil von etwas Großem, etwas ganz Großem, etwas über die Maßen Schwarmintelligentem. Sind am Ende vielleicht wir Deutsche gemeint?

Das hieße, wir dürfen entscheiden? Oder um in der sozialdemokratischen Grammatik zu bleiben: Wir dürfen entscheidet? Tja, na ja, das haben Bundestagwahlen so an sich, dass alle entscheiden dürfen. Für diese Erkenntnis hätten wir keinen Steinbrück gebraucht.

Fragt sich außerdem: Was entscheidet das Wir eigentlich? Das, so die Sozen, stehe im Wahlprogramm der SPD. Am Sonntag wird es in Augsburg verabschiedet. Einige Menschen sollen mehr Geld bekommen, einige andere sollen weniger Geld behalten dürfen. Das ist es wohl im Kern.

Das "Wir" taucht da gar nicht auf. "Wir" gibt es im Programm nur in Volks-wir-tschaft, in Markt-wir-tschaft oder als schnödes, kleingeschriebenes wir, mit dem die Sozialdemokraten vor allem sich selbst meinen.

Übrigens: Am Ende entscheidet sowieso nie "das Wir" sondern, sollte die Wahl gut für die SPD ausgehen, deren Kabinettsmitglieder und Bundestagsabgeordneten, was von dem Programm umgesetzt wird. In Wirklichkeit nämlich trauen die von der SPD dem "Wir" auch nichts zu. Traurig, traurig.

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