Wahl der Verfassungsrichter:Demokratie, 64 Jahre und sechs Monate später

Bislang wurden die Richter des Bundesverfassungsgerichts hinter verschlossenen Türen von Union und SPD ausgeklüngelt. Und das mit großem Erfolg. Nun soll die Hälfte der Richter tatsächlich wie im Grundgesetz vorgesehen vom Bundestag gewählt werden. Das wird dem Gericht guttun.

Ein Kommentar von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Manche Vorschriften brauchen etwas länger für den Durchbruch. Seit seinem Inkrafttreten steht in Artikel 94 Grundgesetz, die Verfassungsrichter würden "je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt". Nun, 64 Jahre und zehn Monate später, hat sich die große Koalition darauf geeinigt, dass acht der sechzehn Richter fortan tatsächlich "vom Bundestage" gewählt werden sollen. Und zwar vom Plenum und nicht, wie bisher, von einem nicht öffentlich tagenden Ausschuss aus zwölf Abgeordneten. Der demokratische Makel wird getilgt.

Man mag darüber rätseln, warum die Reform ausgerechnet in eine Zeit anhaltender Spannungen zwischen Karlsruhe und Berlin fällt - angestoßen von Norbert Lammert, einem Dauerkritiker des Gerichts. Jedenfalls ist der Schritt überfällig. Nicht nur, weil endlich umgesetzt wird, was wörtlich so im Grundgesetz steht.

Dem mächtigen Gericht wird es guttun, wenn es durch die Gesamtheit der gewählten Volksvertreter legitimiert wird. Denn das Bürgergericht, wie es sich selbst gern umschreibt, ist in Wahrheit weit entrückt vom Votum der Wähler. Die Wahl durch das Bundestags-Plenum stärkt das demokratische Rückgrat des Gerichts. Auch gegen die Kritiker aus Berlin.

Ein Kreuzverhör im Bundestag wäre tödlich

Gelingen wird die Reform freilich nur, wenn die Koalition bei ihrer bisherigen Linie bleibt: beim Verzicht auf eine öffentliche Anhörung der Kandidaten im Plenum. Gewiss, seit jeher löst die Richterwahl wegen ihrer Intransparenz verfassungsrechtliches Unbehagen aus. Die Kandidaten werden hinter verschlossenen Türen ausgesucht, und weil eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, gewähren sich die beiden großen Parteien wechselseitig Vorschlagsrechte für je die Hälfte der Posten. Man kann daran vieles kritisieren, aber man muss feststellen: Der Wahlmodus hat dem Gericht über die Jahrzehnte gute, mitunter herausragende und meist unabhängige Richter beschert. Parteischranzen waren seltene Ausnahmen - und blieben wirkungslos.

Eine Kandidatenkür in öffentlicher Bundestagsdebatte wäre der Tod des Bundesverfassungsgerichts in seiner jetzigen Form. Das parlamentarische Kreuzverhör wäre der Masterplan, um das Gericht politisch aufzuladen - ein Gericht, das seine gesamte Autorität aus seiner Politikferne bezieht.

Man stelle sich vor, ein kommender Richter würde von einem CSU-Abgeordneten zum Länderfinanzausgleich einvernommen: Jeder bayernfreundliche Zungenschlag des Kandidaten riefe eine Blockadefront vom Saarland bis nach Mecklenburg-Vorpommern auf den Plan.

Deshalb ist eine moderate Reform der richtige Weg. Entscheidend für die Qualität der Rechtsprechung ist ohnehin vor allem die Zusammensetzung der Senate, genauer: die richtige Mischung aus Wissenschaftlern und Praktikern, gewürzt durch den einen oder anderen Ex-Politiker. Dass sie durch den gesamten Bundestag gewählt werden, ist dann zwar ein eher symbolischer Akt. Aber manchmal bedeutet Symbolik viel in der Demokratie.

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