FDP-Parteitag:Leise Abkehr von der reinen Lehre

FDP-Bundesparteitag im Aufbau

FDP-Bundesparteitag: letzte Aufbauarbeiten in Nürnberg

(Foto: dpa)

Was vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist Realität: Die FDP-Führung kämpft für Lohnuntergrenzen. Unter dem Stichwort "Lebenswirklichkeit wahrnehmen" läuft das Vorhaben des Führungsduos Rösler und Brüderle. Doch aus der Tiefe der Partei dürfte Widerstand kommen.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Aufregung um die Führungsspitze hat sich gelegt. Die Stimmung in der Partei ist besser geworden. Nur die nackten Zahlen bei den Umfragen können die Sorgen - noch? - nicht wirklich vertreiben. Mit gemischten Gefühlen also werden sich die Delegierten an diesem Samstag und Sonntag auf dem FDP-Parteitag in Nürnberg treffen. Man hat sich stabilisiert, kann sich aber nicht sicher fühlen.

Eine interessante Ausgangslage ist das für eine Parteiführung, die sich mit dem Spitzenkandidaten Rainer Brüderle und Parteichef Philipp Rösler bei der Abstimmung übers Wahlprogramm keine Konflikte mehr leisten kann, darf und möchte.

Ob diese vermeidbar sind, ist indes fraglich. Anders als vor vier Jahren ist die FDP des Jahres 2013 nicht auf eine Ein-Mann-Partei (Guido Westerwelle) und eine Ein-Thema-Partei (Steuersenkungen) getrimmt worden. Sie hat erstens eine Doppelspitze (Brüderle und Rösler) und sie versucht zweitens, sich breiter aufzustellen. Das soll unter dem Stichwort "Lebenswirklichkeit wahrnehmen" erreicht werden. Was vor vier Jahren undenkbar gewesen wäre, ist Realität: Die Parteiführung um Rösler kämpft dafür, in Regionen und Branchen mit nur geringer Tarifbindung Lohnuntergrenzen möglich zu machen.

Dabei betonen Rösler und etwas leiser Brüderle, dass das nicht der Staat, nicht die Politik tun sollte. Sie wollen, dass in diesen Fällen Kommissionen aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und möglichst unabhängigen Wissenschaftlern das entscheidende Wort haben.

Julis kämpfen für die reine Lehre

Trotzdem gibt es Widerstand. Und der formiert sich vor allem in Sachsen, bei den Jungen Liberalen und in Bayern. Sachsens Landeschef Holger Zastrow gibt sich besonders kämpferisch. "Der Staat darf nicht politisch die Löhne festlegen", sagte er der Stuttgarter Zeitung. "Das ist zu DDR-Zeiten schon einmal schiefgegangen." Er fürchtet, dass vor allem im Osten manche Branche durch Lohnuntergrenzen bankrott gehen könnte. Dass manches Unternehmen mit sittenwidrigen Geschäftsmodellen arbeiten könnte, mag er nicht gelten lassen. Und wenn es das doch mal gäbe, könnten Ombudsstellen in den Jobcentern das erkennen und abstellen.

Noch rigider geben sich die Jungen Liberalen und ihr Vorsitzender Lasse Becker. Sie wollen für die reine Lehre kämpfen und lehnen jede Form einer Lohnuntergrenze ab. Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil plädiert für einen Kompromissvorschlag, der so richtig gar nicht nach Kompromiss klingt. Er möchte erst mal alle existierenden Regeln auf ihre Wirkung überprüfen und nur dann, wenn diese sich als untauglich erweisen, vielleicht etwas ändern. Tendenziell steht er Zastrow viel näher als der Parteiführung.

Angesichts des angekündigten Widerstands dürfte die Frage Lohnuntergrenze in Nürnberg also die spannendste werden. Als sicher gilt, dass die Landesverbände aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein dafür eintreten werden. Ebenso Rösler. Interessant wird sein, ob auch Brüderle mit Verve in die Debatte einsteigt - oder sich zurückhält.

Die schwäbischen Mittelständler und der Anstand

Außerdem werden sich viele Blicke auf die Baden-Württemberger richten. In dem Landesverband gibt es vor allem unter den jüngeren Nachwuchskräften viele, die eine Lohnuntergrenze befürworten. Und das nicht, weil das Problem sehr niedriger Löhne im Südwesten besonders virulent wäre. Sie sind dafür, weil sie wissen, dass für viele schwäbische Mittelständler auch die Frage des Anstands eine Rolle spielt. "Es gibt viele, die sehr niedrige Löhne einfach für unanständig halten", erzählt ein Vertreter aus der engeren Führung. Ob das auch die Landesvorsitzende Birgit Homburger so sieht, ist offen. Wie es heißt, sei sie lange Zeit dagegen gewesen, habe ihre Meinung inzwischen aber geändert. Ein endgültiges Votum ihrerseits steht aus.

Brisanz könnte auch das Thema Steuern haben. Einerseits freuen sich viele in der FDP-Spitze, dass die Pläne der Grünen zu höheren Steuern viele mittelständische Unternehmer auf die Palme treiben. Andererseits spüren sie, dass der Fall Hoeneß und das Thema Steuerhinterziehung Union und FDP mehr schaden als der Opposition. Und dann ist da noch das Thema Steuersenkungen. Die meisten sind dafür. Und alle wissen, dass die Haushaltskonsolidierung vorgehen soll. Über die Konsequenz dabei lässt sich freilich streiten.

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