US-Wahl:Warum die FBI-Ermittlungen Clintons Wahlsieg gefährden

Campaign of US Democratic Presidential Nominee Hillary Clinton

In einer Woche wird es vor allem darauf ankommen, ob Hillary Clinton es schafft, ihre Anhänger in die Wahllokale zu bekommen.

(Foto: AFP)

Die E-Mail-Affäre könnte Donald Trump doch noch den Sieg bringen. Clintons Umfragewerte geben nach. Was ist über die Mails bekannt? Hat der FBI-Direktor korrekt gehandelt?

Von Sebastian Gierke

Was ist passiert?

James Comey, der Direktor des FBI, hat am Freitagmorgen vergangener Woche einen Brief an einige Abgeordnete des Kongresses geschickt. Darin heißt es, FBI-Agenten hätten neue E-Mails entdeckt, die in Zusammenhang mit der E-Mail-Affäre um Hillary Clinton stehen. Diese würden jetzt untersucht. (Hier der Brief im Original.)

Clintons Umgang mit der Dienstkorrespondenz in ihrer Zeit als Außenministerin überschattet den Präsidentschaftswahlkampf schon seit 2015. Es geht um die Frage, ob sie durch die Nutzung eines Privatservers in ihrem New Yorker Haus unsachgemäß mit geheimem Material umging und damit die nationale Sicherheit gefährdete. Clinton hatte über die E-Mail-Adresse hdr22@clintonemail.com zwischen 2009 und 2013 60 000 Nachrichten verschickt. Die Hälfte davon wurden als arbeitsbezogen erachtet, dem FBI zur Prüfung übergeben und veröffentlicht. Zwischen 32 000 und 33 000 wurden von dem Server gelöscht, weil sie als persönlich eingestuft wurden. Auf diese E-Mails bezieht sich ihr Gegner Donald Trump im Wahlkampf, wenn er ihr vorwirft, belastendes Material vernichtet zu haben. (Details hier.)

Im Juli hatte FBI-Chef Comey den Fall bereits abgeschlossen: Clinton sei zwar sorglos mit als vertraulich eingestuften Daten umgegangen, habe jedoch nicht kriminell gehandelt. Kein vernünftiger Staatsanwalt würde in einem solchen Fall je Anklage erheben, erklärte Comey.

Was ist über die Herkunft der neuen E-Mails bekannt?

Aus dem aktuellen Brief Comeys geht nicht hervor, woher die E-Mails stammen. Mittlerweile ist aber klar, dass sie sich auf dem Computer des früheren demokratischen Kongressabgeordneten Anthony Weiner befanden. Das FBI ermittelt gegen ihn wegen Sex-Nachrichten, die er an eine 15-Jährige geschickt hatte. Weiner ist der Ehemann von Clintons enger Vertrauten und rechter Hand Huma Abedin, die sich aber nach einer Reihe von Sex-Skandalen in diesem Jahr von ihm getrennt hatte. Bei Nachforschungen stießen FBI-Ermittler jetzt auf die neuen E-Mails. Es sind Hunderte, vielleicht auch Tausende.

Was steht in den E-Mails?

Das ist die große Leerstelle der Diskussion. Denn was in diesen Nachrichten steht, ist bislang nicht bekannt.

Natürlich wird bei der Untersuchung erneut die Frage im Mittelpunkt stehen, ob die Nachrichten geheimes Material enthielten und womöglich unsachgemäß verwaltet wurden. Doch derzeit ist nicht einmal bekannt, ob Clinton die Mails selbst geschrieben oder nur empfangen hat. Rechtlich problematisch wird es für Clinton wohl nur dann, wenn sie E-Mails mit geheimen Informationen tatsächlich auch verschickt hat.

Es könnte außerdem sein, dass die jetzt aufgetauchten E-Mails bereits bei der ersten Untersuchung durch das FBI geprüft worden waren, dass sie also ein Teil der veröffentlichten E-Mails sind. Viele Beobachter halten das sogar für sehr wahrscheinlich. Andere glauben, dass die Mails "etwas Großes", also etwas Belastendes für Clinton enthalten müssten, sonst hätte Comey den Brief nicht geschrieben. All das ist allerdings nichts weiter als Spekulation.

Clinton selbst hat das FBI aufgefordert, sofort alle Details zu den Mails offenzulegen. Die Ermittler allerdings sprechen von vielen Daten, die erst noch gesichtet werden müssen. Für den Beginn einer Überprüfung der Mails benötigt das FBI einen weiteren Durchsuchungsbefehl, den die Behörde am Sonntag erwirkt habe, erklärte ein FBI-Mitarbeiter. Wie lange die Untersuchung dauern würde, sagte er indes nicht. Nur, dass das FBI zügig vorgehen werde. Doch ohne Details kann Clinton sich kaum verteidigen.

Warum hat Comey den Brief jetzt verschickt?

Der Republikaner Comey hat den Brief elf Tag vor der Präsidentschaftswahl am 8. November verschickt. Am Sonntag sagte ein Vertreter der US-Bundespolizei, Ermittler hätten bereits seit Wochen von neuen E-Mails gewusst. Nach eigenen Angaben war Comey aber erst am Donnerstag davon in Kenntnis gesetzt worden und informierte tags darauf den Kongress über die neuen Überprüfungen.

Comey befand sich in einem schweren Dilemma. Einerseits hatte er dem Kongress bei Anhörungen zur E-Mail-Affäre Clintons versprochen, die Untersuchung wiederaufzunehmen, sobald neue Informationen bekannt würden. Er hatte damals zugesichert, bei den Ermittlungen so transparent wie irgend möglich vorzugehen. Hunderte Dokumente hatte er deshalb bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Comeys folgenschwere Entscheidung

Andererseits hatte der Republikaner, der von Barack Obama vor drei Jahren zum FBI-Direktor gemacht worden war, aber Clinton im Sommer 2015 von jedem kriminellen Fehlverhalten freigesprochen. Er hätte die Veröffentlichung auch verzögern können, lange genug, um die neuen E-Mails genauer überprüfen zu können. Das hätte aber wohl bis nach der Wahl gedauert. Comey hätte sich damit den Vorwurf erspart, ohne neuen Kenntnisstand wenige Tage vor der Abstimmung in den Wahlkampf einzugreifen.

Comey hat sich noch nicht geäußert. Doch offenbar gab für ihn das Versprechen dem Kongress gegenüber den Ausschlag, den Brief zu schreiben. Außerdem fürchtete er Vorwürfe, das FBI würde im Wahlkampf Details unterdrücken, um Clinton zu schützen. Damit wäre aus seiner Sicht die Glaubwürdigkeit der Ermittlungsbehörde schwer beschädigt worden.

Hat Comey korrekt gehandelt?

In den USA wird vor allem über das Timing des Briefes erbittert diskutiert. Der ranghohe Demokrat Harry Reid warf Comey gar einen möglichen Gesetzesbruch und Doppelmoral vor. Er sieht einen möglichen Verstoß gegen den "Hatch Act", ein Gesetz, das politische Aktivitäten von Beamten von Bundesbehörden wie dem FBI verbietet.

Doch rechtlich ist Comey wohl nichts vorzuwerfen. Für den Brief kann er nicht belangt werden.

Allerdings ist ein solcher Schritt so kurz vor der Wahl bislang einmalig. Sogar einige Republikaner kritisieren Comey heftig.

Comeys Entscheidung ist ein Bruch mit Richtlinien des US-Justizministeriums. Dieses rät Staatsanwälten und Strafverfolgungsbehörden, kurz vor Wahlen nichts zu unternehmen, was den Wahlausgang beeinflussen könnte. Der FBI-Direktor, der dem Justizministerium unterstellt ist, hat sich in diesem Fall offenkundig gegen seinen Arbeitgeber gestellt. Aus dem Justizministerium ist zu hören, dass Comey davon abgeraten wurde, den Brief zu diesem Zeitpunkt zu schreiben.

Ein Dutzend ehemalige Bundesstaatsanwälte und andere Juristen, darunter Ex-Justizminister Eric Holder, unterzeichneten einen Brief, in dem sie Comeys Entscheidung kritisierten. Er ist unter Politik-Verdacht geraten. (Details hier. Und hier.)

Kann die Affäre Clinton jetzt noch gefährlich werden?

Vor einer Woche noch sah es so aus, als hätte Clinton die Wahl bereits sicher gewonnen. Doch die vergangenen Tage liefen alles andere als gut für sie. Und jetzt wird nur noch darüber diskutiert, welch dunklen Geheimnisse die E-Mails zu Tage fördern. Das ist ein Desaster für Clintons Kampagne. Trumps Skandale stehen nicht mehr im Mittelpunkt, er versucht natürlich, die Affäre für sich zu nutzen - und immer mehr moderate Republikaner stellen sich hinter ihn.

In Umfragen schmilzt Clintons Vorsprung deshalb. Eine Erhebung im Auftrag der Washington Post, die am Sonntag veröffentlicht wurde, sah sie mit 46 Prozent landesweit nur noch knapp vor dem Republikaner, der auf 45 Prozent kam. Allerdings wird der Präsident in den USA nicht direkt gewählt. Es kommt es bei den Wahlen vor allem auf einige wenige Bundesstaaten an. Doch auch in den Swing States gerät Clinton wieder unter Druck. In Florida, einem entscheidenden Staat, ist das Rennen laut mehrerer Umfragen extrem knapp. Trump muss zwar so gut wie alle Swing States gewinnen, um Präsident zu werden, doch ihm reicht dort jeweils ein Umschwung von wenigen Punkten.

Die größte Gefahr bei der jetzt wieder aufflammenden Diskussion um die E-Mail-Affäre ist für Clinton, dass diejenigen, die sie nur für das kleinere Übel halten, sich noch abwenden. Und möglicherweise aus Frust einfach nicht zur Wahl gehen. Deshalb wird es in einer Woche vor allem darauf ankommen, ob Clinton es schafft, ihre Anhänger in die Wahllokale zu bekommen. Das ist ganz sicher nicht leichter geworden.

Trotzdem: Der Vorsprung Clintons wird wohl reichen, falls sich in den neuen Mails nicht doch noch eine große Verfehlung findet.

Sollte dieser eher unwahrscheinliche Fall nicht eintreten und Clinton gewinnen, wird sie in einigen Wochen vielleicht sogar froh sein, dass Comey den Brief schon vor der Wahl geschrieben hat. Ansonsten wäre das ohnehin toxische politische Klima in den USA noch weiter vergiftet, ihre Position als neue Präsidentin geschwächt worden. Und die Trump-Anhänger hätten einen weiteren Grund, die Wahl nicht zu akzeptieren.

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