Übergriffe von Polizisten:Polizeieinsätze fernab der Kameras

Spaniens Regierung will Demonstranten verbieten, Übergriffe von Polizisten zu dokumentieren und ins Netz zu stellen. Nun regt sich Widerstand von Aktivisten und Juristen. Der Streit ums Fotografieverbot ist brisant, weil es viele Spanier an die Franco-Diktatur erinnert - und zeigt, wie weit sich Politik und Bürger schon voneinander entfernt haben.

Sebastian Schoepp

Übergriffe von Polizisten: Polizist und Demonstrant in Madrid (Archivbild): Dient ein Foto-Verbot dem Schutz der Beamten oder der Vertuschung von Übergriffen?

Polizist und Demonstrant in Madrid (Archivbild): Dient ein Foto-Verbot dem Schutz der Beamten oder der Vertuschung von Übergriffen?

(Foto: AP)

Polizisten, die Sitzblockaden mit Stockschlägen auflösen und auf der Jagd nach Demonstranten Gummigeschosse in U-Bahnstationen feuern. Blutüberströmte Menschen, die von Knüppeln getroffen wurden. Beamte, die junge Protestierende zu Boden zerren und auf sie einprügeln. Aber auch alte Frauen und weißbärtige Männer, die überwältigt oder gewaltsam weggezerrt werden.

Seit die Auseinandersetzungen bei Demonstrationen gegen Sparmaßnahmen und soziale Einschnitte in Spanien an Härte zunehmen, überfluten Fotos und Videos die sozialen Netzwerke, auf denen die Staatsmacht mit unverhältnismäßiger Härte vorzugehen scheint. Solche Veröffentlichungen will die rechtskonservative Regierung von Mariano Rajoy nun unterbinden.

Ein Entwurf zur Neufassung des Gesetzes zur Bürgersicherheit sieht vor, das Filmen und Fotografieren von Polizisten im Einsatz zu verbieten. Wer solche Aufnahmen macht und ins Internet stellt, soll bestraft werden. Das kündigte der Generaldirektor der spanischen Polizei, Ignacio Cosidó, kürzlich auf einer Tagung von Polizeigewerkschaften in Madrid an. Auch ein schärferes Vermummungsverbot ist angeblich geplant.

Polizisten nehmen es mit Vorschriften nicht genau

Die Reaktion fiel heftig aus: Nicht nur linke Internetaktivisten, auch kritische Juristen laufen Sturm. Der Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo sagte zu der Tageszeitung El País: "Das verstößt gegen die Verfassung und die Informationsfreiheit." Die Maßnahme sei höchstens gerechtfertigt in Fällen, in denen das Leben der Beamten gefährdet sei, wie etwa bei Einsätzen gegen Terroristen oder organisiertes Verbrechen. "Was man aber wirklich will ist, dass es keine Zeugen gibt geben unverhältnismäßige Polizeieinsätze." Für Maria Moretó von der Vereinigung progressiver Staatsanwälte ist das die Reaktion einer Regierung, "die Demonstranten davon abhalten will, gegen die Einsparungen und die Verarmung des Landes zu protestieren".

Laut Polizeidirektor Cosidó geht es jedoch um etwas anderes. In Spanien bilde sich bei Demonstranten eine "Kultur der Gewalt" heraus, in der Tat gehen auch gewaltbereite Demonstranten mitunter rabiat vor, wie auf vielen Videos zu sehen ist. Man fürchte, dass Beamte nach Einsätzen im Netz an den Pranger gestellt würden. Man wolle sie und ihre Familien vor Racheakten schützen.

Bislang sind allerdings keine derartigen Fälle bekannt geworden. Für die Protestbewegung ist die Veröffentlichung nach eigener Aussage eine Methode, sich zur Wehr zu setzen; immerhin nehmen es viele Polizisten mit den Vorschriften nicht sehr genau und tragen bei Einsätzen nicht die vorgeschriebenen Identifikationsschilder.

Wann darf fotografiert werden, wann nicht?

Spaniens Innenminister Jorge Fernández Diaz betonte, dass das Filmverbot vor allem für Anti-Terroreinsätze gelten solle. Doch was genau darunter fällt, ist noch Auslegungssache. Selbst die größte Polizeigewerkschaft ist skeptisch. Wenn nicht von vorneherein genau spezifiziert werde, wann das Filmen und Fotografieren verboten ist, um die Identität eines Polizisten zu schützen, laufe die Regierung in große rechtliche Probleme hinein.

Der Sprecher der Vereinigung Richter für die Demokratie, Joaquim Bosch, sieht die Maßnahme eben deswegen als überzogen an, weil sie als generelle Norm geplant sei und nicht für Ausnahmesituationen.

Kein Dialog, keine Ideen zur Zukunft Spaniens

Spanische Antidisturbios, behelmte Einsatzkräfte, waren auch früher schon nicht zimperlich. Da Demonstrationen in Spanien mitunter etwas ungeordnet verlaufen und sich mit dem Straßenleben vermischen, konnte man bei konfliktträchtigen Events wie EU-Gipfeln oder andere internationalen Konferenzen unvermittelt in einen Hagel von Gummigeschossen geraten, obwohl man nur auf der Straße seiner Wege ging.

Doch seit dem 15. Mai 2011, als es in Madrid die ersten großen Besetzungen öffentlicher Plätze als Protest gegen die Sparpolitik der Regierung gab, hat die Demonstrationslust der Spanier stark zugenommen. Fast wöchentlich gibt es Versammlungen und Protestmärsche der Bewegung "15 M", der sogenannten "Indignados" ("Empörte").

Die Proteste können auch schon mal in harten Auseinandersetzungen münden, so der Marsch der asturischen Bergleute auf Madrid oder der Versuch, Ende September das Parlament zu umzingeln, bei dem Dutzende Menschen verletzt wurden - der Großteil davon Demonstranten.

Die Polizei machte damals geradezu Jagd auf Menschen, berühmt wurde der Kneipenwirt Alberto Casillas, der Beamten mit ausgestreckten Armen den Zutritt zu seinem Lokal verwehrte, wohin sich Dutzende Menschen geflüchtet hatten. Er habe stets konservativ gewählt und unterstütze die Polizei, sagte Casillas später, doch in diesem Fall sei die Provokation eindeutig von den Ordnungskräften ausgegangen, die "wie eine Prätorianergarde" zwischen die Demonstranten gegangen sei. Casillas wurde durch die Netzvideos eine Art Medienstar, solche Heroisierungen stören die Regierung.

Erinnerungen an die Franco-Diktatur

Das Fotografieverbot birgt allerdings eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Brisanz, weil es viele Spanier an die Franco-Diktatur erinnert, wie in Internetkommentaren zu lesen ist. Der Versuch, eine mögliche Dokumentation von Polizeigewalt zu unterbinden, sei der erste Schritt in eine Diktatur. "Ich bin zwar rechts", schreibt einer, aber: "Ihr kommt zu spät mit dem Versuch, die Gesellschaft zu kontrollieren, nach so vielen Jahren des Diebstahls."

Die Kritik zeigt, dass in den Augen der Protestbewegung längst die politische Klasse als Ganzes abgewirtschaftet hat. Die großen Parteien stecken im Umfragetief, ein gesellschaftlicher Dialog findet kaum statt. Regierungschef Rajoy erinnert die Bürger nur stets daran, sie hätten "über ihre Verhältnisse gelebt".

Alternative Konzepte, die Spanien nach dem Platzen der Immobilienblase und dem Zusammenbruch der Monokultur Bauwirtschaft den Weg aus der Krise weisen könnten, waren bisher kaum zu hören.vIm Gegenteil: Konservative Provinzpolitiker erhoffen sich weiterhin die Rettung durch überdimensionierte Bauprojekte wie das geplante Spielerparadies Eurovegas bei Madrid.

Lob für Besuch einer deutschen Delegation

Dass spanischen Politikern nichts einfalle, sei kein Wunder, meint dazu der Finanzexperte und frühere Merrill-Lynch-Direktor Cesar Molinas in El País. Schließlich hätten sie nie etwas anders gelernt als von ihrem selbstausgeklügelten Pfründesystem zu leben.

Die Protestbewegung 15 M wird von vielen Regierungsvertretern als gewaltbereites Gesindel abgetan. Ihre Vorschläge einer sozialen Miete oder der Gewährung von Zinserlassen für Menschen, die durch die Krise von Wohnungsräumung bedroht sind, verhallen ungehört.

Mit größtem Erstaunen nahmen Vertreter sozialer Bewegungen deshalb Anfang Oktober zur Kenntnis, dass eine Abordnung aller Parteien des Deutschen Bundestags Kontakt mit ihnen suchte. Bei einer gemeinsamen Veranstaltung informierten sich die Mitglieder des Sozialausschusses über die Auswirkungen der Krise. In einigen sozialen Medien Spaniens war danach zu lesen: Die deutschen Parlamentarier hätten der spanischen Politik eine Lektion erteilt.

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