Überfall auf russischen Journalisten:Kritiker im Koma

Nach dem schweren Überfall auf den kritischen Journalisten Oleg Kaschin fordert Präsident Dmirij Medwedjew eine harte Bestrafung der Täter. Doch zu Kaschins Themen zählt ausgerechnet die Jugendorganisation der Kreml-Partei.

Sonja Zekri

Der Überfall auf den russischen Journalisten Oleg Kaschin hat im In- und Ausland Entsetzen ausgelöst. Der russische Präsident Medwedjew erklärte im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter, die Verbrecher müssten "gefunden und bestraft" werden. Medwedjew befahl Generalstaatsanwalt Juri Tschaika und Innenminister Raschid Nurgalijew am Samstag, den Fall mit höchster Priorität zu untersuchen. Tschaika leitete ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes ein. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach von einem "traurigen Tag für Europa".

Russischer Journalist Oleg Kaschin nach Angriff im Koma

Oleg Kaschin liegt nach einem schweren Überfall im künstlichen Koma.

(Foto: dpa)

Kaschin, 30, schreibt für die unabhängige Zeitung Kommersant und war in der Nacht zu Samstag vor seinem Haus von Unbekannten zusammengeschlagen worden. Die Täter hatten ihm Beine, Kiefer und Finger gebrochen und eine Gehirnerschütterung zugefügt. Derzeit liegt er nach einer Notoperation im künstlichen Koma. "Dieses ungeheure Verbrechen hängt klar mit seinem Beruf zusammen", sagte sein Chefredakteur, Michail Michajlin. Kaschin hatte unter anderem über Jugendbewegungen wie die Kreml-Jugend "Unsere" oder die verbotenen "Nationalbolschewiken" recherchiert. Die Tat wurde auf Video aufgezeichnet, erklärte die Polizei am Sonntag.

Russland gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt für Journalisten. Morde an Reportern werden fast nie zufriedenstellend aufgeklärt. Für die Ermordung der Nowaja-Gaseta-Redakteurin Anna Politkowskaja vor vier Jahren wurden zwar Verdächtige angeklagt, aber von den Geschworenen aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen.

Der Journalist und Umweltschützer Michail Beketow, der im Winter vor zwei Jahren nach einem Überfall monatelang im Koma lag, trat vor wenigen Tagen erstmals wieder öffentlich auf: Er kann nicht mehr gehen und kaum sprechen und ist stark abgemagert. Beketow hatte gegen die Abholzung des Stadtwaldes im Moskauer Stadtteil Chimki gekämpft. Ein weiterer Chimki-Aktivist, Konstantin Fetisow, wurde vor kurzem mit einem Baseball-Schläger krankenhausreif geprügelt.

Menschenrechtler wie die Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Alexejewa, wandten sich nun in einem Brief an Medwedjew mit der Forderung, die Ermittlungen auf höchster Ebene zu führen: "Die Überfälle auf Konstantin Fetisow und Oleg Kaschin gehören zur selben Reihe von Verbrechen", heißt es da. "Solange bei uns Journalisten eingeschüchtert und verprügelt werden, solange ist Russland weder ein Rechtsstaat noch demokratisch", so Alexejewa.

Medwedjew stoppt umstrittenes Gesetz

Auch die Organisation Amnesty International und der russische Journalistenverband sowie der Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin zeigten sich empört. Bei einer spontanen Kundgebung vor dem Polizeipräsidium in Moskau forderten Demonstranten eine schnelle Aufklärung des Verbrechens.

Unterdessen sammelten russische Journalisten im Internet Unterschriften für einen zweiten Brief an Präsident Medwedjew. Allein in diesem Jahr seien in Russland acht Journalisten umgebracht und 40 Überfälle auf Medienvertreter verübt worden, schreiben sie.

Kreml-Chef Medwedjew hat überraschend ein umstrittenes Gesetz zur weiteren Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Russland gestoppt. Es widerspreche dem in der Verfassung verankerten Demonstrationsrecht, begründete Medwedjew sein Veto in einem Brief an die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern. Laut dem im Oktober verabschiedeten Gesetz hätte niemand mehr eine Kundgebung beantragen dürfen, der wegen der Organisation unerlaubter Versammlungen vorbestraft ist.

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