Terror in Indien:Noch immer Chaos

Auch am zweiten Tag nach der Anschlagswelle in Mumbai halten sich noch immer Terroristen in der indischen Millionenmetropole verschanzt. In Ihrer Gewalt haben sie mindestens 35 Geiseln.

In der indischen Finanzmetropole Mumbai herrscht auch am Freitag ein kriegsähnlicher Zustand. Kommandotrupps stürmten unter dem stetigen Feuerschutz von Scharfschützen das fünfstöckige Zentrum einer jüdischen Organisation, in dem sich mutmaßlich muslimische Extremisten wahrscheinlich mit mehreren Geiseln verschanzt hatten. Soldaten seilten sich von einem Hubschrauber ab und begannen damit, von Zimmer zu Zimmer, von Etage zu Etage das fünfstöckige Gebäude zu durchkämmen.

Ähnlich gingen Kommandos in den Luxushotels Taj Mahal und Oberoi vor, in denen am Mittwochabend und Donnerstag Hunderte Hotelgäste in den Gewaltstrudel koordinierter Angriffe mehrerer schwer bewaffneter Angreifergruppen geraten waren.

Der Nachrichtensender NDTV berichtete in der Nacht zu Freitag (Ortszeit), aus dem Hotel Taj Mahal seien alle Gäste in Sicherheit gebracht worden. Dort habe sich noch ein verletzter Angreifer verschanzt. "Wir haben die Situation vollständig unter Kontrolle", sagte der Generaldirektor der Nationalen Sicherheitsgarde, J.K. Dutt, dem Fernsehsender NDTV. Andere Quellen sprachen davon, dass sich auch zu diesem Zeitpunkt noch etliche Menschen in ihren Zimmern versteckt hielten.

Im Hotel Oberoi Trident hielten sich die Nacht über weiterhin rund 100 Menschen auf, von denen 35 in der Gewalt zweier Terroristen sein sollen, hieß es. Nach Einbruch der Dämmerung führten Soldaten mehrere Dutzend Gefangene aus dem Gebäude ins Freie. Schwarzgekleidete Kommandotruppen hatten am Donnerstag die zwei Luxushotels der indischen Finanzmetropole gestürmt.

Nach Behördenangaben wurden aus dem Gebäudekomplex Nariman, der auch von den Islamisten überfallen worden war, bis zum Abend sieben Geiseln befreit. Dort habe sich eine weitere Gruppe Terroristen verschanzt, hieß es. In der Anlage befindet sich unter anderem ein Jüdisches Zentrum.

Bei den Überfällen von Terroristen auf insgesamt zehn verschiedene Gebäude der indischen Metropole kamen mindestens 119 Menschen ums Leben, darunter auch ein deutscher Geschäftsmann. In anderen Quellen ist von mindestens 125 Toten die Rede. Etwa 300 Menschen wurden verletzt.

Nach offiziellen Angaben und Medienberichten sind unter den Opfern auch ein Italiener, ein Brite, ein Japaner und ein Australier.

Die indische Regierung macht ausländische Terrorgruppen für die beispiellose Anschlagserie verantwortlich. Die Urheber der Angriffe hätten ihre Basis in Indiens Nachbarländern, sagte Ministerpräsident Manmohan Singh am Donnerstag. Mit der Bezeichnung "Nachbarn" ist in der Regel Erzrivale Pakistan gemeint.

Singh warnte die Nachbarländer der Atommacht, man werde es nicht dulden, wenn von ihrem Territorium aus Anschläge auf Indien verübt würden. "Wenn keine angemessenen Maßnahmen von ihnen ergriffen werden, wird das seinen Preis haben", betonte er in einer Ansprache an die Nation. Indiens Vize-Innenminister Sriprakash Jaiswal sagte: "Wir betrachten die Terrorangriffe als Krieg und behandeln die Situation wie einen Ausnahmezustand zu Kriegszeiten."

Die Polizei nahm nach Medienberichten vom Donnerstag in einem der belagerten Hotels drei mutmaßliche Terroristen fest. Darunter sei ein Pakistaner, berichtete die indische Nachrichtenagentur PTI am Abend. Laut Times of India hat die Festnahme im Oberoi Trident stattgefunden. Die Männer sollen der in Pakistan ansässigen Rebellengruppe Lashkar e Toiba angehören, die die Unabhängigkeit Kaschmirs fordert. Indien und das Nachbarland beanspruchen beide die Provinz.

Interpol hat Indien aufgefordert, Fingerabdrücke und DNA der getöteten oder festgenommen Täter mit den Informationen in den weltweiten Datenbanken abzugleichen. Nur so könne geklärt werden, ob ausländische Terroristen an der Tat beteiligt gewesen seien, teilte die internationale Polizeiorganisation am Donnerstag im französischen Lyon mit.

Interpol kündigte zugleich an, Indien bei der Aufklärung der Terrorwelle unterstützen zu wollen. Eine von Generalsekretär Ronald K. Noble geleitete Delegation sei bereits auf dem Weg in das Land.

Bei dem Jüdischen Zentrum Nariman soll es sich um einen Sitz der ultra-orthodoxen Organisation Chabad Lubavitch handeln. Vertreter der in New York ansässigen Gemeinschaft sagten dazu im Laufe des Donnerstag, das israelische Konsulat habe telefonischen Kontakt mit einem Rabbiner gehabt, der in dem Haus wohnt. "Die Verbindung wurde mitten im Gespräch getrennt. Seitdem wurde kein weiterer Kontakt hergestellt."

Deutscher unter den Opfern

Unter den Opfern der Terroranschläge ist auch ein Mann aus München. Der Medienunternehmer Ralph Burkei starb bei dem Überfall auf das Hotel Taj Mahal. Das bestätigte die Medienfirma Camp-TV. Mehrere Bundesbürger wurden verletzt. Das Auswärtige Amt richtete wegen der Anschläge einen Krisenstab ein. Zugleich wurden Psychologen nach Mumbai geschickt, um Opfer und Angehörige betreuen zu können.

Noch immer Chaos

Mehrere EU-Abgeordnete konnten sich kurz nach Beginn des Angriffs aus dem Hotel Taj Mahal retten. Einige von ihnen seien "im Kugelhagel" durch Keller und Küche aus dem Hotel geflohen, sagte der Karlsruher EU-Abgeordnete Daniel Caspary. Die Delegation wurde später ins französische Konsulat gebracht. Auch der Maler Norbert Bisky, Sohn des Linken-Chefs Lothar Bisky, konnte sich am frühen Morgen unversehrt aus dem Taj Mahal retten.

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(Foto: SZ-Grafik)

Leichen auf den Hoteltreppen

Ein Geretteter berichtete im Fernsehen, die Angreifer im Taj Mahal hätten ihn aufgefordert, nicht zu den Leichen zu blicken. "Viele Kochlehrlinge wurden in der Küche niedergemetzelt", sagte der Mann. Eine Australierin sagte, sie sei einem Angreifer nur entkommen, weil sie sich in einem Badezimmerschrank versteckt habe. Bei ihrer Flucht habe sie auf den Hoteltreppen viele Leichen gesehen. Eine Spanierin berichtete, sie sei hinter der Rezeption in Deckung gegangen.

Die indische Marine stoppte am Donnerstag ein Schiff, das die Terroristen möglicherweise in die Finanzmetropole brachte. Die Nachrichtenagentur IANS meldete unter Berufung auf die Marine, ein Kriegsschiff habe das verdächtige Handelsschiff verfolgt und auf hoher See gestoppt.

Die rund zwei Dutzend Angreifer im Alter von etwa Anfang 20 waren mit Maschinengewehren und Granaten bewaffnet und trugen Rucksäcke voll mit Munition. Sie waren über das Meer gekommen und fuhren in Booten zu den Touristenzentren auf der Halbinsel, auf der die Altstadt von Mumbai liegt.

Aus einem Fahrzeug schossen sie dann wahllos auf Passanten, sowie auf Menschen in einem Bahnhof, in Krankenhäusern und in dem beliebten Touristen-Treffpunkt Café Leopold.

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