SZ-Serie: Der Weg nach Berlin:Deckname Inge

Die Grünen-Bundestagskandidatin Petra Zais meldet sich heimlich bei Facebook an. Und erlebt die "volle Dröhnung". Jetzt lässt sie erst mal die Finger von sozialen Medien - im Gegensatz zu den meisten Politikern. Doch kann sie sich das auf Dauer leisten?

Von Cornelius Pollmer

Politiker "sind doch alle gleich", lautet das Pauschalurteil vieler Deutscher. Sind sie nicht. Die Süddeutsche Zeitung begleitet bis zur Bundestagswahl 2013 sieben Menschen aus sieben Parteien auf ihrem Weg in die Politik - Fehler, Rückschläge und Niederlagen inklusive.

Gerechtigkeit ist das große Thema von Petra Zais, aber es gibt eine soziale Frage, auf die sie noch immer keine passable Antwort gefunden hat. Vor ein paar Tagen hat Zais ihren Online-Auftritt freigeschaltet, der jüngste Beitrag ist wie folgt überschrieben: "Eine Website für den Wahlkampf ohne Facebook und Twitter - geht das?"

Sie verspüre, schreibt die grüne Bundestagskandidatin Zais, einen wachsenden Druck, auf alle möglichen Anfragen immer schneller antworten zu müssen. Deswegen habe sie nun einen Entschluss gefasst: "Mir reicht das einfach. Ich will mir einen Rest Privatsphäre ohne digitale Begleitung erhalten und bitte das zu respektieren."

Also: kein Twitter, kein Facebook. Petra Zais hat sich das lange und gut überlegt, am Ende waren es zwei Erlebnisse, die ihre Entscheidung gefestigt haben. Kürzlich wurde ihr sechs Jahre altes Laptop "aus dem Rennen genommen", sagt Zais. Zwei Wochen war sie kaum online, aber "da ist ja nichts Schlimmes passiert. Mir hat das gutgetan. Und ich habe festgestellt, dass alle, die etwas von mir wollen, auch einen Tag warten können".

Und die Prokura konnte sie sich praktischerweise gleich selbst ausstellen: "Ich bin ja Gewerkschafterin, ich kämpfe auch sonst dafür, dass Arbeitnehmer nicht ständig erreichbar sein müssen. Das ist ihr Recht."

Zweitens gab es eine geheime Aktion, Zais zögert ein wenig, wenn man sie danach fragt. Sie habe sich "inkognito bei Facebook angemeldet, ich wollte das ja mal testen". Zais lacht, sie erzählt von der Anmeldung wie von einem Streich, als habe sie sich einen falschen Bart aufgeklebt und sich in eine Vorstandssitzung des Arbeitgeberverbandes geschlichen. Tatsächlich hat sie sich nur einen falschen Namen gegeben, "ich sage Ihnen nur: Inge! Mehr sage ich nicht."

Skepsis gegenüber dem Internet

Inge soll geheim bleiben, denn schon die zarten Anfänge ihrer Existenz sind Petra Zais nach ein paar Tagen über den Kopf gewachsen. Sie habe bei Facebook "die volle Dröhnung" bekommen, "dauernd Nachrichten, wer wie viele Bilder hochgeladen hat und welche 20 Leute mit mir reden wollen. Da habe ich gedacht: Hallo?!" Das Konto von Inge gibt es noch, aber Petra Zais loggt sich nicht mehr ein. Sie löscht jetzt nur noch die vielen automatischen Benachrichtigungen, die sie täglich per E-Mail geschickt bekommt.

Die Facebook-Aktion beschreibt die Haltung von Petra Zais recht gut: Sie verweigert sich dem Internet nicht, aber sie ist skeptisch - sogar skeptisch gegenüber ihrer eigenen Skepsis. "Ich bin ja selbst nicht sicher, ob ich mir das auf Dauer leisten kann, bei Twitter und Facebook nicht dabei zu sein", sagt Zais. Nur habe sie bislang die Erfahrung gemacht, dass die sozialen Medien im Wahlkampf gar nicht so wichtig seien.

Gerade war sie in ihrem Wahlkreis Chemnitz in einem Bürgerzentrum zu Besuch, "und dort legt keiner Wert auf Twitter. Die wollen Kandidaten zum Anfassen." In Polit-Kreisen allerdings waren die Reaktionen auf ihre Entscheidung eher kritisch. Kollegen haben gefragt: Wieso machst du das nicht, das machen doch jetzt alle? Petra Zais sagt darauf: "Das ist für mich kein Argument, aber es lässt mich auch nicht unberührt."

Sehr berührt hat Zais, 56, die Geburt ihres zweiten Enkels am vergangenen Sonntag. Am Montag durfte sie Theo das erste Mal halten, ihr Sohn hat den Moment festgehalten. Er sagte dann: Das Foto kannst du gern für deine Webseite verwenden, Mama! Petra Zais hatte ihn noch gar nicht darum gebeten.

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