Syriens Religionen und Ethnien:Von einer Mixtur, die tödlich sein kann

Syrien ist ein religiös-ethnischer Flickenteppich im Nahen Osten. Besonders in Regionen, in denen Sunniten und Alawiten nebeneinander wohnen, kommt es immer wieder zu Massakern wie an diesem Freitag in Tremseh. Assads alawitischer Minderheit geht es wirtschaftlich meist besser als den anderen. Aber nicht nur das sorgt für Zündstoff.

Tomas Avenarius, Kairo

Die Berichte über das Massaker in Tremseh in der syrischen Provinz Hama lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten. Während sich das Blutbad ereignete, wurde im UN-Sicherheitsrat über eine Syrien-Resolution gestritten. Es war offenkundig, dass die diplomatischen Bemühungen von UN-Sondervermittler Kofi Annan zunehmend als sinnlos wahrgenommen wurden.

Lage in Syrien

Das "Herzstück des Nahen Ostens" versinkt in Gewalt und Zerstörung - hier zu sehen in der Rebellenhochburg Homs.

(Foto: dpa)

Ob das Assad-Regime das Dorf mit dem Einsatz von Artillerie dem Erdboden gleichgemacht hat oder ob eingesickerte Rebellen der Freien Syrischen Armee das Feuer durch eigene Angriffe auf den Ort gelenkt haben, lässt sich aus den Berichten der Opposition bisher nicht herauslesen. Journalisten oder Menschenrechtler können sich im Land nicht frei bewegen, die UN-Beobachter auch nicht. Die Situation lässt sich daher kaum beurteilen.

Sicher ist nur eines: Die Zusammensetzung von Syriens Bevölkerung und die Verteilung der einzelnen Religionsgruppen und Ethnien quer über das Land bieten allen verfeindeten Gruppen zahlreiche Gründe, über die Angehörigen der jeweils anderen Religionsgruppe herzufallen.

Syrien wird oft "das Herzstück des Nahen Ostens" genannt: am Mittelmeer gelegen, angrenzend an Palästina, nicht weit entfernt von der Arabischen Halbinsel und von Ägypten samt Nordafrika. Zu den auffälligsten Eigenheiten gehört neben der Lage daher die Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Zu der Vielfalt von Ethnien und Religionen kommen große soziale Gegensätzen zwischen Stadt und Land oder einzelnen Regionen hinzu. Dazu gesellt sich der säkular orientierte Bevölkerungsteil.

Religiös-ethnischer Flickenteppich

Die Landkarte zeigt eben nur das Territorium: einen langen Küstenstreifen mit weiten Ebenen, Gebirge wie den Anti-Libanon oder die kurdischen Berge, Wüstengebiete an der Grenze zu Irak, Grünland bei den Kurden im Norden. Was die Kartografen dabei nicht zeigen können, ist der religiös-ethnische Flickenteppich darüber.

Mehrheitlich sind die Syrer sunnitische Muslime. Aber es gibt die großen und kleinen Minderheiten. Da sind die Christen. Da ist die schiitisch geprägte Religionsgruppe der Alawiten, deren eigenwilliges Verständnis der islamischen Religion vom klassischen sunnitischen und auch vom schiitischen Islam so weit entfernt ist wie ein Mormonenprediger von der katholischen Kirche. Nicht zu vergessen die Drusen, deren Religion einer Geheimreligion ähnelt. Dazu kommen auch noch echte Schiiten.

Dann die Ethnien: Die Kurden leben großenteils an der türkisch-irakischen Grenze. Sie haben auch in Syrien als Angehörige einer "Nation ohne Land" den Sezessionismus immer im Hinterkopf, so wie die Kurden in Irak, in der Türkei oder in Iran. Es gibt an der irakischen Grenze, in der Wüste, auch Beduinen - die stellen den Stamm vor den Staat. Und schließlich die Palästinenser: Sie leben unfreiwillig seit der Gründung Israels und den Nahostkriegen als Flüchtlinge im Land. Für sie gibt es derzeit kein Zurück.

Nicht vergessen darf man die Säkularen und Modernisten, die über alle Grenzen hinweg mitreden. Sie fühlen sich positiv geprägt von den Jahrzehnten unter dem weltlich ausgerichteten, pseudo-sozialistischen System von Assad Senior und Assad Junior. Sie sehen Religion als Privatsache an, halten den Nationalismus für die entscheidende Klammer des Landes, sehen im Assad-Staat trotz aller Kritik an der Gewaltherrschaft oft das kleinere Übel im Vergleich zum Sezessionismus oder zum Rückfall in Religion und Sekte als Ordnungsmuster der Gesellschaft.

Verfehlte Wirtschaftspolitik als Auslöser des Aufstands

Für zusätzlichen Zündstoff sorgt, dass diese Gruppen nicht klar abgegrenzt voneinander leben. Die Hauptstadt Damaskus liefert ein signifikantes Beispiel: das Christenviertel in der Altstadt, an das sich ein paar Blocks weiter eine sunnitische Wohngegend anschließt. Die verschiedenen Gruppen vermischen sich quer durch die Millionenstadt, vom Zentrum bis in die Ausläufer. Und die Syrer heiraten oft untereinander, sind befreundet, wohnen Haus an Haus. Aber sie beten getrennt in Kirche und Moschee - wenn sie überhaupt beten.

Der eigentliche Auslöser für den Aufstand war die verfehlte Wirtschaftspolitik des Assad-Regimes. Sie hat zur Verelendung der ländlichen Regionen geführt, während Städte wie Damaskus profitiert haben von der konzeptionslosen und korruptionsgetriebenen Liberalisierung der Wirtschaft. Nicht ohne Grund hatte der syrische Aufstand im Frühjahr 2011 in der Provinzstadt Daraa an der jordanischen Grenze begonnen.

In Damaskus selbst ist der Aufstand am stärksten in den Orten des ländlichen Gürtels rund um die Hauptstadt zu spüren, wo sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich Sunniten angesiedelt haben. Sie hatten auf Arbeit in der Nähe der Metropole gehofft, kamen aber zu kurz. Die Einwohner von Randstädten wie Duma sind religiöser als die echten Hauptstädter, damit stärker verbunden mit der sunnitisch geprägten Opposition.

Nicht alle Aufständischen sind Sunniten

Andere Sunniten - etwa die einflussreiche Händlerschicht in Damaskus und Aleppo - haben vom Assad-Regime profitiert. Sie halten sich deshalb bisher aus dem Konflikt heraus. Zu dieser großen Gruppe zählt auch die Familie des desertierten Generals und Assad-Freunds Manaf Tlass, dessen Bruder ein Business-Tycoon ist. Ohnehin sind nicht alle syrischen Aufständischen Sunniten, nicht alle potenzielle Islamisten. Auch eine kleine Gruppe von Christen, Alawiten und Säkularen geht auf die Straße oder greift zur Waffe. Aber im Zentrum des Aufstands steht wie in allen Nahost-Staaten die Moschee: Sie ist der traditionelle Mittelpunkt islamisch geprägter Gesellschaften. Von ihr aus wird der Widerstand organisiert.

Ein weiterer Reibungspunkt im aktuellen Konflikt ist die Siedlungspolitik. Die Assads sind Alawiten, haben deshalb Alawiten zu einer Säule der Macht gemacht. Alawiten finden sich in Schlüsselpositionen von Armee und Sicherheitskräften, wurden auch gezielt zwischen Sunniten angesiedelt. Etwa in Homs, einer der Hochburgen der Opposition. Auch auf dem Land finden sich, meist historisch gewachsen, Enklaven. Alawitische Dörfer liegen in Sunnitengebieten, einzelne sunnitische Dörfer finden sich dort, wo Alawiten stark sind. Vor allem im Nordwesten.

Die Dörfer dort gelten als letzter Zufluchtsort und möglicher Rumpfstaat des Assad-Clans, wenn der Bürgerkrieg voll in Gang kommen und Damaskus fallen sollte. Solche Enklaven - egal, von welcher Gruppe besiedelt - sind extrem gefährdet. Sie könnten Schauplatz von Massakern werden, wenn Syrien in einem Bürgerkrieg versinken sollte.

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