Stuttgart 21:Die Grünen - eine Partei sitzt in der Falle

Die Grünen wollten einen Kopfbahnhof in Stuttgart, doch Schlichter Heiner Geißler war dagegen. Jetzt sitzen sie in der Falle ihres eigenen Konzepts - und geben dem spöttischen Vorwurf der Union neues Futter, nur eine "Dagegen-Partei" zu sein. Dabei hätten sie die Chance gehabt, heil aus der Sache herauszukommen.

Michael Bauchmüller

Zu den konstituierenden Merkmalen eines Kopfbahnhofes zählt, dass man mit dem Zug vorwärts nicht rauskommt. Die Grünen haben einen solchen Kopfbahnhof in Stuttgart gefordert, als Alternative zur unterirdischen Planung der Bahn; sie konnten den Schlichter Heiner Geißler nicht davon überzeugen. Jetzt sitzen sie in der Falle ihres eigenen Konzepts: Vorwärts können sie nur gegen große Widerstände, rückwärts nur zum Preis des Verrats an ihren eigenen Plänen. Die Grünen - im Streit um den Bahnhof Stuttgart 21 stehen sie am Prellbock.

Bundesdelegiertenkonferenz der Gruenen

Nein zur Atomkraft, nein zu Stuttgart 21: Die Grünen bedienen unfreiwillig den spöttischen Vorwurf der Union, eine "Dagegen-Partei" zu sein.

(Foto: dapd)

Die Situation könnte misslicher kaum sein, denn die Partei gerät nun zwangsläufig mit einem ihrer Kernanliegen in Konflikt. Sie könnte die Fürsprecherin der Bürgerrechte sein: Dann wird sie ihren Kampf für den Kopfbahnhof unbeirrt fortsetzen, an der Spitze einer Bewegung, die sich auch von Heiner Geißler nicht vom Sinn eines Tiefbahnhofs überzeugen lassen will, nicht einmal in modifizierter Form.

Oder sie bleibt jene glaubwürdige, konstruktiv-verlässliche Partei, wie sie in den letzten Monaten zunehmend auch Anhänger im bürgerlichen Lager fand. Dann fügen die Grünen sich in den Spruch des Schlichters, dessen Einsetzung sie schließlich befürworteten.

In beiden Fällen geraten sie andernorts in Erklärungsnöte. Selbst den Ausweg einer Volksbefragung, mit der sich das ganze Dilemma elegant aufs Wahlvolk hätte abwälzen lassen, hat ihnen der Schlichter versperrt.

Es ist fraglich, ob allen in der Partei die Brisanz ihrer Lage bewusst ist. Reflexartig priesen viele abermals die Vorteile des Kopfbahnhofs, andere forderten für den Tiefbahnhof einen Baustopp bis zur Klärung offener Fragen. Das könnte theoretisch helfen, den Streit bis zur Landtagswahl Ende März offenzuhalten. Dabei weiß kein Mensch, ob die Proteste einen kalten Winter überstehen.

Chancen und Erfolge

Die Grünen hätten eine Chance gehabt, heil aus der Sache herauszukommen, unmittelbar nach Verkündigung des Schlichterspruchs. Sie hätten die Dinge darlegen können, wie sie sind - nämlich als fundamentalen Fortschritt. Der Widerstand erreichte, dass die Effizienz des Bahnhofs überprüft wird. Das könnte verhindern, dass Milliarden für ein Projekt verbuddelt werden, das sich später als zu knapp bemessen erweist.

Wenn der Tiefbahnhof Stuttgart 21 kommt, wird er ein besserer sein als bisher geplant - dank der Grünen. Der Widerstand hat eine öffentliche Beteiligung und auch den Schutz wertvoller Bäume erreicht: Erfolge, die sich durchaus als solche verkaufen ließen.

So aber bedienen die Grünen unfreiwillig den Spott der Union über die "Dagegen-Partei". Das Unionskalkül ist so durchschaubar wie scheinheilig, denn einerseits kämpfen auch CDU-Bürgermeister vielerorts gegen Stromleitungen und Kraftwerke; andererseits zielt die Union damit unverhohlen auf jene konservative Klientel, die gerade eine neue Heimat bei den Grünen fand.

Gut möglich, dass diese Strategie nun aufgeht.

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