Steuerkonzept der Grünen:Auf einem Auge blöd

Grünen-Parteichef Cem Özdemir

Grünen-Parteichef Cem Özdemir

(Foto: dpa)

Gemein: Die Grünen stellen ein neues Steuerkonzept "mit Augenmaß" vor, die Konkurrenz fällt darüber her. Vielleicht hätten die Grünen doch lieber einen Taschenrechner benutzen sollen.

Von Michael König

Der Parteitag der Grünen war kaum vorbei, da schlug die Stunde der Miesmacher. Von einer "Orgie" neuer Steuerbelastungen warnte FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle: "Das ist ein Anschlag auf die Mitte der Gesellschaft." Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Norbert Barthle, ist als Kind wohl in einen Topf mit Adjektiven gefallen. Er erklärte im Hinblick auf das grüne Steuerkonzept, es sei "sinn- und planlos" sowie "wirtschafts-, mittelstands-, arbeitslatz- (sic!) und bürgerfeindlich".

Aber auch die Wissenschaft produzierte Schlagzeilen, die den Grünen nicht gefallen können: Frank Hechtner, Professor für angewandte Steuerlehre an der FU Berlin, rechnete die Wirkung des Steuerkonzeptes im Auftrag der SZ durch: Demnach müsste ein in Westdeutschland lebendes Ehepaar mit zwei Kindern ab einem monatlichen Bruttolohn von 5151 Euro mehr Steuern zahlen.

Dass die Grünen im Gegenzug für die Steuererhöhungen - Details hier - mehr Geld in Kitas und Ganztagesschulen stecken wollen, ging dabei ein bisschen unter. Das liegt einerseits an den Medien, andererseits daran, dass die Grünen es offenbar nicht für nötig hielten, diesen Punkt stärker zu betonen. Stattdessen hieß es in einigen Reden und auf der eigenen Website, man arbeite "mit Augenmaß".

Jetzt wird es spitzfindig, klar. Aber wer sich bei der Finanzpolitik auf das "Augenmaß" verlässt, und nicht etwa auf ein valides Werkzeug wie einen Taschenrechner, der sollte sich über Schmähungen nicht wundern.

Das lesenswerte Blog Neusprech.org hat schon 2011 festgestellt:

"Wenn Politiker vorgeben, mit Augenmaß zu entscheiden, klingt es positiv, so als seien sie besonders gründlich und vorsichtig. Das Gegenteil ist der Fall. Nur mit den Augen zu messen, ist fahrlässig. Das Auge kann leicht getrogen werden, noch dazu bei großen Mengen oder komplexer Technik. (...) Als Grundlage für Politik taugt das Augenmaß genauso gut wie die Einheiten 'aus dem Bauch heraus' oder 'Pi mal Daumen mal Fensterkreuz'."

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht die Anmerkung, dass die Grünen nicht allein sind, wenn es um die Benutzung dieser absolut unpassenden Floskel geht. Bei der Suche nach "Augenmaß" spuckt der Ticker folgende Meldung aus:

"Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt rechnet mit Blockaden gegen einen Aufzug der rechtsextremen NPD am 1. Mai in Berlin. Die Polizei werde das Demonstrationsrecht für alle durchsetzen, sagte Kandt am Freitag. 'Das Recht auf Blockaden gehört dazu nicht.' Einsatzleiter Jürgen Klug ergänzte, die Polizei werde mit Augenmaß vorgehen."

Die NPD wird es freuen.

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