Steinbrück und die Schweiz:Alpenindianer und die Kavallerie

Die Schweizer Empörung gegen deutsche Grobheiten ist mehr Aufschrei des Ertappten als Ausdruck moralischer Entrüstung.

Alex Capus

Alex Capus, 48, ("Himmelsstürmer", "Eine Frage der Zeit") ist einer der meistgelesenen Schriftsteller der Schweiz. Er lebt in Olten bei Zürich.

Steinbrück und die Schweiz: Es rauscht im Blätterwald: Schweizer Zeitungen und wie sie Peer Steinbrück dieser Tage sehen

Es rauscht im Blätterwald: Schweizer Zeitungen und wie sie Peer Steinbrück dieser Tage sehen

(Foto: Foto: Reuters)

Besorgt schaut der freiheitsliebende Schweizer dieser Tage nach Norden. Ist es schon wieder soweit? Droht Gefahr von jenseits des Rheins? Bläst der Preuße zum Sturm auf Rütli, Freiheit und Demokratie? Galoppiert nächstens deutsche Kavallerie nach Zürich und plündert die Banken an der Bahnhofstraße?

Groß ist die Empörung über das Säbelrasseln deutscher Spitzenpolitiker im Streit ums Schweizer Bankgeheimnis. Erst verkündete Franz Müntefering, dass er das Problem am liebsten mit Soldaten lösen würde, dann drohte Finanzminister Peer Steinbrück mit Zuckerbrot und Peitsche. Und jetzt vergleicht derselbe Mann die Schweizer auch noch mit den Apachen am Colorado River, denen man mal kurz mit der Kavallerie von Fort Yuma drohen musste.

Ungewohnt grobe Töne

Solch grobe Töne ist man in der Schweiz nicht gewohnt. Im gemütlichen Bundesbern bleibt man im Streit stets höflich und sucht den Konsens, Beschimpfungen und Drohgebärden gelten als schlechter Stil.

Erst letzte Woche wurde Nationalrat Christoph Mörgeli von Ratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi aufs schärfste gerügt, weil er eine Äußerung der Außenministerin als "verbale Dummheit" bezeichnet hatte. Der Gemaßregelte musste die Schelte kommentarlos einstecken und maulte nur kleinlaut: "Sie sind nicht meine Mama."

Das Regime der leisen Töne gehört zum Wesen schweizerischer Konkordanzdemokratie; in einem System stetig wechselnder Koalitionen sollte man es sich mit dem Gegner nicht ganz verderben, denn er könnte schon morgen der beste Freund sein. Dieses dauernde Streben nach Konsens und Kompromiss über alle Grenzen von Parteien, Klassen und Sprachgruppen hinweg hat eine politische Kultur hervorgebracht, die mit der deutschen nicht zu vergleichen ist.

Das ist meist ein bisschen langweilig und taugt selten für Schlagzeilen, garantiert aber seit 160 Jahren Demokratie und sozialen Frieden. Das ist nicht nichts. Zuweilen wünscht man sich schon, dass in der Politik auch mal die Fetzen fliegen. Dann schaut man am Fernsehen deutschen Bundestag und freut sich, dass die in Bern nicht solche Rüpel sind.

Nur alle paar Jahre verliert die politische Schweiz die Contenance - und zwar immer wegen finanzpolitischer Angriffe aus dem Ausland; dann igelt man sich ein, und schlichte Gemüter stellen sich schützend vors Vaterland, indem sie den Angreifer mit Nazi-Vergleichen diffamieren. So geschah's vor zehn Jahren in der Affäre um ursprünglich jüdische Vermögen, die die Nazis in die Schweiz schafften, so war's Ende der achtziger Jahre im Geldwäscherei-Skandal um die "Pizza-Connection", einen Rauschgiftring der Mafia, und nun im letzten Rückzugsgefecht ums Bankgeheimnis.

Den Anfang machte am Dienstag im Parlament der ansonsten sehr staatsmännische Innerschweizer Volksvertreter Bruno Frick, der sich darüber wunderte, dass die militärischen Metaphern im Steuerstreit "ausgerechnet aus dem Mund eines Deutschen" kämen. Und einen Tag später legte Nationalrat Thomas Müller nach, indem er den deutschen Finanzminister im Plenum als Nazi-Schergen diffamierte. Man kann annehmen, dass er damit den Applaus des Stammtischs suchte und diesen auch erhielt.

Zwar gehört es zum Wesen der Demokratie, dass man auch dummes Zeug schwatzen darf. Aber es ist nicht zulässig, deutsche Politiker in historische Sippenhaft zu nehmen, und gewiss ist gerade die Schweiz gut beraten, wenn sie sich aller Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus enthält; sonst müsste sie es sich auch gefallen lassen, dass in der Debatte ums Bankgeheimnis wieder einmal die Rolle der Schweiz und der Schweizer Banken im Zweiten Weltkrieg thematisiert würde.

Jeder aufrichtige Schweizer weiß: Er hat recht

Und eines muss jeder aufrichtige Schweizer zugeben: dass Steinbrück in der Sache recht hat. Selbstverständlich weiß jeder Schweizer, dass das Bankgeheimnis in seiner bisherigen Form den Steuerbetrügern dient - nicht nur, aber auch.

Jeder weiß, dass es nicht recht ist, wenn reiche Leute ihre Steuern nicht bezahlen, und unausgesprochen ist allen klar, dass die schweizerische Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug eine Schlaumeierei war - eine Schlaumeierei, die man aufrechterhielt, solange es eben ging, um auf Kosten der Nachbarn so lange als möglich so viel wie möglich zu profitieren.

Als Schurkenstaat am Pranger

Diese Schlaumeierei macht uns nicht sehr sympathisch, im Grunde weiß das zwischen Rhein und Rhône jeder. Es ist nicht leicht für ein Land, das sich stets als Nation gewordene Unschuld und Nettigkeit verstand, plötzlich als Schurkenstaat am Pranger zu stehen. Der Aufschrei der Empörung gegen die deutschen Grobheiten aber, auch da hat der Finanzminister recht, ist eher der Aufschrei des Ertappten als ein Ausdruck echter moralischer Entrüstung.

Gewiss sind Steinbrücks Äußerungen Ausdruck eines Charmes, der sich nicht jedem erschließt; für schweizerische Ohren und Augen kommt erschwerend hinzu - auch wenn es nichts zur Sache tut -, dass der Mann heißt, wie er heißt, und dass er aussieht, wie er aussieht. Daraus aber zu schließen, dass die Schweiz mit sich übers Bankgeheimnis hätte reden lassen, wenn statt Steinbrück beispielsweise die liebreizende Königin Ranja von Jordanien die Verhandlungen geführt hätte, wäre sicher falsch.

Denn es ist nicht wahr, dass die kleine Schweiz von den Mächtigen - von Amerika, England, Frankreich, Deutschland - hinterrücks und plötzlich mit nie gehörten Forderungen konfrontiert wird. Die Wahrheit ist, dass die OECD seit mehr als zehn Jahren die Schweiz in allen Tonlagen immer wieder eingeladen, gebeten, aufgefordert und gedrängt hat, die OECD-Standards in Steuerfragen wohlwollend zu prüfen und allenfalls bitte zu übernehmen. Wahr ist auch, dass Höflichkeit in all den Jahren nichts bewirkte, und dass noch vor einem Monat Bundespräsident Merz sagen konnte: "Das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar."

Nun ist es also doch verhandelbar. Das ist kein Sieg der Kavallerie, sondern eine Notwendigkeit. Die Export- und die Finanzindustrie können es sich schlicht nicht leisten, von der Gemeinschaft zivilisierter Länder ausgeschlossen zu werden. Gut so. Denn dem Durchschnittsschweizer, auch das ist die Wahrheit, ist das Bankgeheimnis von Herzen egal; er hat nichts zu verstecken. Er will sich nur nicht schämen müssen, wenn er nächsten Sommer in die Ferien fährt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: