Schuldenkrise in Europa:Merkel, gefangen in der Rolle der Managerin

Die Opposition hat es sich in der Haushaltsdebatte leicht gemacht und die Strategie der Bundeskanzlerin im Kampf gegen die Euro-Krise für gescheitert erklärt - ohne eine wirkliche Alternative aufzuzeigen. Tatsächlich muss sich Merkel nur einen Vorwurf gefallen lassen: Sie hat noch immer nicht verinnerlicht, dass Politik mehr ist als Management. Und dass es gelegentlich eines starken Zeichens bedarf.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Bundestag

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Haushaltsdebatte im Bundestag in Berlin.

(Foto: dapd)

Natürlich kann man es sich so leicht machen, wie Peer Steinbrück und Jürgen Trittin das am Mittwoch getan haben. Vielleicht sollte man es sogar, wenn einen die Partei als Hauptredner in der Etatdebatte des Bundestags aufbietet. Vielleicht muss man dann sagen, dass die Strategie der Bundeskanzlerin im Kampf gegen die Euro-Krise gescheitert sei und Angela Merkel die Bürger hinters Licht führe. Man kann es sich so leicht machen. Man sollte es aber nicht.

Eine Alternative nämlich boten beide Herren nicht - wie auch, nachdem SPD und Grüne den Beschlüssen der Koalition zur Euro-Rettung seit Jahren fast immer zustimmen. Trotz aller Nebenwirkungen erscheint Merkels Konzept, finanzielle Solidarität gegen wirtschaftliche Solidität zu gewähren, immer noch als das geringste Übel. Ein Euro-Austritt Griechenlands jedenfalls wäre weitaus riskanter, Gleiches gilt für die plumpe Vergemeinschaftung aller Staatsschulden in Europa.

In einem Punkt jedoch haben Steinbrück und Trittin den Finger zu Recht in die Wunde gelegt. Denn Merkel steht in der Tat wieder einmal vor dem Problem, dass sie eine Position räumen muss, die unhaltbar geworden ist: Griechenland wird sich auf Dauer nicht allein mit Krediten stabilisieren lassen. Das Land braucht vielmehr einen Schuldenerlass.

Die Kanzlerin würde dieses Geständnis gerne auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschieben. Dabei müsste sie das gar nicht, denn all ihre bisherigen Kurskorrekturen haben zwar in den eigenen Reihen Verdruss ausgelöst, aber kaum im Volk. Viele Bürger sehen in Merkel offensichtlich keineswegs eine notorische Wortbrecherin, sondern haben das Gefühl: Ohne sie wäre alles noch schlimmer. Anders lassen sich ihre hohen Popularitätswerte kaum erklären. Außerdem gilt sie als integer und genügsam. Das ist es, was für Steinbrück die Nebeneinkünfte-Affäre, die ja eigentlich gar keine Affäre ist, so gefährlich macht.

Eine Kanzlerin, viele Adressaten

Merkels Zickzackkurs in Sachen Euro ist in der Tat weniger Ausdruck von Beliebigkeit als die Folge sich ändernder Realitäten und, ja, mancher Fehleinschätzung. Viele Widersprüche haben ihre Ursachen aber auch darin, dass die Kanzlerin weit mehr Adressaten im Blick behalten muss als nur den Bundestag. Es gibt die Öffentlichkeit daheim, die von ihr Härte gegen Schlendriane verlangt. Es gibt die Finanzmärkte, die Reformen sehen wollen. Es gibt die Griechen, die Spanier, die Portugiesen, die materielle Hilfe, vor allem aber Respekt einfordern.

Und es gibt große Länder in Südamerika und Südostasien, die einst vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu härtesten Reformen gezwungen wurden und jetzt als Miteigentümer des IWF verärgert sehen, wie problemlos dessen Kredite ins reiche Europa fließen. Wenn es einem Land aus eigener Schuld so schlecht gehe wie Griechenland, hat jüngst der Regierungschef eines großen Schwellenlandes zu einem europäischen Kollegen gesagt, "dann müssen halt die Kinder ein, zwei Jahre lang Buletten verkaufen". Auch mit solchen Adressaten muss Merkel umgehen.

Wenn sich die Kanzlerin einen Vorwurf gefallen lassen muss, dann den, dass sie auch nach sieben Jahren im Amt nicht verinnerlicht hat, dass Politik mehr ist als Management. Dass Politik auch Hoffnung verbreiten muss, dass sie gelegentlich von Symbolen lebt. Niemand etwa bestreitet, dass die Renten und Gehälter in Griechenland zu hoch waren. Warum aber hat Merkel nicht zugleich auf höhere Steuern für Reiche gedrungen? Oder auf Kapitalverkehrskontrollen, um zu verhindern, dass Millionäre ihr Geld ins Ausland bringen? Statt ein solches Zeichen zu setzen, verweist sie in bester Technokratenmanier auf irgendeinen Paragrafen im EU-Vertrag, der Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet.

Jetzt nicht - oder doch?

Genauso verhält es sich mit einem Teilschuldenerlass. Experten sagen, dass er irgendwann kommen muss. Natürlich gibt es Gründe, einen Schnitt "jetzt nicht" in Angriff zu nehmen, wie es in der Regierung heißt. Man habe schließlich erlebt, was passieren könne, wenn man den Reformdruck auf die Griechen nur ein wenig abmildere. Was aber hält Merkel davon ab, einen Erlass etwa für 2015, als Anreiz für weitere Reformen, in Aussicht zu stellen? Das würde auch ihren Athener Kollegen Antonis Samaras innenpolitisch ein wenig aus der Schusslinie nehmen.

So gesehen hat die Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag die Chance verpasst, den Menschen, Deutschen wie Griechen, reinen Wein einzuschenken. Ja, an einer Stelle unterbot sie Steinbrück und Trittin sogar: "Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung", hat sie doch tatsächlich gesagt. Da musste selbst Guido Westerwelle auf der Regierungsbank lachen.

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