Rot-gelbe Gedankenspiele:Liberale irritieren die Union

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Ist die Zukunft Rot-Gelb? Nach Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger denken einige FDP-Politiker öffentlich über ein Bündnis mit der SPD nach - und verstören damit die Union. Die Sozialdemokraten reagieren verhalten: Sie empfehlen den Liberalen einen "radikalen Wandel".

In der FDP rumort es. Über Wochen musste die junge Führungsgarde erleben, wie die Union sie auflaufen ließ. Mit dem "Grundlagenbeschluss" (FDP-General Christian Lindner) für Steuerentlastungen in noch ungeklärter Höhe konnte die FDP nun zumindest einen kleinen Erfolg verbuchen, doch ihre Zukunft sehen die Liberalen offenbar nicht mehr unbedingt gemeinsam mit der Union.

Die liberale Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger löst mit ihren Koalitionsüberlegungen Irritationen aus - bei den jetzigen Koalitionspartnern. (Foto: dapd)

Am Wochenende forderte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger jedenfalls eine Öffnung ihrer Partei zur SPD - und löste damit Irritationen aus. Vor allem die Koalitionspartner reagierten verschnupft auf die Aussage der stellvertretenden FDP-Vorsitzenden, ihre Partei dürfe sich nicht einseitig auf die Union ausrichten.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zeigte sich irritiert. "Unsere Aufgabe ist klar: Gemeinsam hart arbeiten für unser Land und den Erfolg dieser Koalition. Das ist jetzt angesagt - und nicht theoretische Koalitionsüberlegungen", sagte Gröhe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zugleich verwies Gröhe auf das Bekenntnis der Bundesjustizministerin zur Koalitionstreue. "Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich eindeutig zur christlich-liberalen Koalition bekannt", sagte er.

Auch die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan meldete sich zu Wort. "Die gute Entwicklung des Landes und die Ergebnisse unserer Politik geraten in den Hintergrund, weil es in der Koalition keinen Grundton des Wohlwollens, sondern einen Mangel an Vertrauen gibt", beklagte die Bildungsministerin, die als Vertraute von Angela Merkel vielen als Sprachrohr der Kanzlerin gilt. Theoretisch ginge viel, "auch Schwarz-Grün", betonte Schavan. Aber praktisch gelte: "Die CDU steht mit der FDP in einer Koalition, und zum Thema Vertrauen gehört es deshalb, dass ich nicht über andere Farbenspiele schwadroniere."

Zurückhaltung bei der SPD

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, sagte der Nachrichtenagentur dpa, Leutheusser-Schnarrenberger spekuliere über künftige Partner, während ihre Partei in Umfragen bei fünf Prozent stehe. "Es braucht jetzt keine Koalitionsspekulationen, sondern ordentliche Arbeit."

Der anvisierte, mögliche Koalitionspartner reagierte verhalten. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sagte, dass die Justizministerin nicht die heutige FDP repräsentiere: "Das Problem ist, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger in ihre Partei hineinruft und kein Echo haben wird, weil die FDP nicht mehr sozialliberal ist."

Ähnlich äußerte sich Gabriels Stellvertreter Klaus Wowereit: "Leutheusser-Schnarrenberger ist eine kluge Frau. Sie steht für die gute, alte und liberale FDP." Er könne der FDP nur wünschen, dass sich die Ministerin mit ihren Positionen durchsetze.

Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, machte eine rot-gelbe Koalition vor allem von inhaltlichen Aspekten abhängig - und empfahl der FDP einen Kurswechsel. "Bevor wir über Koalitionen mit der FDP reden, muss sich die FDP radikal verändern", sagte Kahrs dem Hamburger Abendblatt. Außer der Justizministerin gebe es in der FDP keine Sozialliberalen mehr. "Auch die neue Führung bleibt auf dem neoliberalen Westerwelle-Kurs. Wer dachte, die jungen Kräfte um Philipp Rösler würden die FDP verändern, hat sich getäuscht."

Geteilte Reaktionen bei den Liberalen

In der FDP selbst rief Leutheusser-Schnarrenbergers Vorstoß ein geteiltes Echo hervor. Offen für neue Bündnisse zeigte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt. Er sagte dem Hamburger Abendblatt: "Es macht keinen Sinn mehr, wenn sich die FDP ausschließlich an einen Koalitionspartner kettet. Es sollte für uns Liberale eine Selbstverständlichkeit sein, mehrere Koalitionsmodelle in Betracht zu ziehen."

Ahrendt kritisierte im Zusammenhang mit den Koalitionserwägungen auch die bisherige Zusammenarbeit mit der Union scharf: "Wir konnten in den zwei Jahren Koalition mit der Union nicht das umsetzen, wofür wir gewählt wurden. Wir dachten, wir würden unsere Reformvorhaben mit der Union verwirklichen, und sind dabei in eine Falle gelaufen." Wenn man sehe, wie konsequent die Koalition die Energiewende vorantreibe, dann frage er sich, warum sie diese Kraft nicht auch für eine echte Gesundheitsreform und eine nachhaltige Steuerreform habe. "CDU und CSU sind nicht die reformorientierten Kräfte, für die wir sie gehalten haben", fügte Ahrendt hinzu.

FDP-Bundesvize Holger Zastrow kritisierte die Debatte um eine mögliche Koalition mit der SPD auf Bundesebene hingegen als "nicht hilfreich". Die Unterschiede zur SPD seien größer als zur CDU, sagte Zastrow, der auch FDP-Landeschef in Sachsen ist, der in Chemnitz erscheinenden Freien Presse. "Anstatt nach neuen Partnern Ausschau zu halten, sollten wir dafür sorgen, dass die bürgerliche Koalition in Berlin endlich besser funktioniert", sagte Zastrow.

Leutheusser-Schnarrenberger verteidigte hingegen in der Mittelbayerischen Zeitung ihr öffentliches Nachdenken über einen Koalitionswechsel: "Wir müssen uns darüber Gedanken machen: Wie sehen wir die Zukunft der FDP strategisch?", sagte sie dem in Regensburg erscheinenden Blatt. Sie betonte allerdings, ein Bruch der schwarz-gelben Koalition stehe nicht zur Diskussion. "Ich will einen Beitrag zu einer Debatte leisten, nicht zum Verlassen einer Koalition. Ich habe schließlich die Koalition in München mit der CSU selbst mitgeschmiedet. Daher habe ich das allergrößte Interesse, dass sie bis 2013 eine erfolgreiche Bilanz vorlegen kann - genauso wie die Koalition in Berlin."

© dapd/dpa/AFP/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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