Rechtsextreme in Sportvereinen:Kinderturnen mit Neonazis

Beim Fußball, beim Schwimmen oder beim Boxen - in vielen deutschen Sportvereinen machen sich Neonazis breit. Die Chefin des Verfassungsschutzes in Brandenburg warnt: Der Sport dürfe nicht so tun, als sei er unpolitisch. Abschreckende Beispiele gibt es genug.

Von Antonie Rietzschel

Im August 2012 musste die Ruderin Nadja Drygalla das olympische Dorf in London verlassen - wegen ihrer Beziehung zu Michael Fischer, einem ehemaligen NPD-Funktionär, der von sich behauptet, der rechtsextremen Szene abgeschworen zu haben. Der Fall löste in Deutschland eine heftige Debatte darüber aus, wie wichtig die politische Gesinnung von Sportlern ist. Das Innenministerium verwarf nach heftiger Kritik den Plan, finanzielle Sportförderung von sogenannten Demokratieerklärungen der Spitzenathleten abhängig zu machen. Sport und Politik haben nichts miteinander zu tun - so der Tenor.

Die Chefin des Verfassungsschutzes in Brandenburg, Winfriede Schreiber, sieht das anders: "Der Sport hat sich lange Zeit sehr schwer getan, weil man sich für unpolitisch gehalten hat", sagte Schreiber der Nachrichtenagentur dpa. Sie fordert nun die Sportvereine auf, sich stärker mit dem Thema Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Neonazis versuchten, das Vereinsleben zu beeinflussen. Tatsächlich werden immer wieder Fälle bekannt, dass Rechtsextreme Vereine unterwandern oder selbst gründen. Bei Turnieren trifft sich die Szene. Damit zögen die Neonazis junge Leute an und machten sie der Demokratie abspenstig, sagte Schreiber.

Eine nicht unberechtigte Sorge: "Nahezu alle bekannten rechtsextremen Parteien - allen voran die NPD und ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) - agieren mit dem 'Mittel Sport', um sich einzumischen, für ihre Ziele zu werben oder neue, meist junge Mitglieder an sich zu binden", heißt es in dem Bericht "Vereine und Verbände stark machen" der Kampagne des Innenministeriums "Vereint gegen Rechtsextremismus". Als Jugendtrainer oder hoch engagiertes Elternteil würden sie nach und nach ihr antidemokratisches Gedankengut in den sportlichen Alltag einfließen lassen. Dafür würden sie bestehende Vereine unterwandern oder aber eigene Sportgruppen gründen.

Wie das genau vonstatten geht, lässt sich an konkreten Beispielen zeigen:

  • Im September 2011 wird eine vom Freistaat Sachsen in Kooperation mit dem Sächsischen Schwimmverband organisierte Sportveranstaltung zur Farce: Beim "Schwimmen für Demokratie und Toleranz" nehmen wie bereits im Jahr zuvor Rechtsextreme teil. Die Oberbürgermeisterin des Austragungsortes Zwickau sowie der Staatssekretär des sächsischen Innenministeriums posieren sogar für ein Foto mit Jens Gatter, einem damaligen NPD-Kreisvorsitzenden. "Das hätten wir nicht erwartet", heißt es daraufhin auf der Internetseite des NPD-Kreisverbandes Zwickau-Westsachsen.
  • In der Turnhalle einer Berliner Grundschule bieten Frauen der rechtsextremen "Gemeinschaft deutscher Frauen", die der NPD nahesteht, Kinderturnen an. In einer Stellungnahme zeigt sich die Schule schockiert: Ein eingetragener Verein habe den Antrag bei der Bezirksverwaltung gestellt. Dort sei das Ganze genehmigt, die Halle an den Verein für bestimmte Zeiten am Wochenende vergeben worden.
  • Der NPD-Kader Tommy Frenck gründet 2007 im thüringischen Hildburghausen den Fußballclub "Germania". Unterstützt wird er dabei von führenden Funktionären der Partei. Dem Bericht "Vereine und Verbände stark machen" zufolge ist der Club mittlerweile ins Vereinsregister eingetragen, bietet Trainingsstunden an und nimmt an Freizeitturnieren teil. Die Eltern der Spieler seien mehrheitlich nicht in der rechtsextremen Szene etabliert, würden sich aber an Frenck nicht stören. Der hatte zuvor versucht, die Freiwillige Feuerwehr im Nachbarort Schleusingen zu unterwandern - ohne Erfolg. Einer Ablehnung seines Antrages zur Aufnahme in die Freiwillige Feuerwehr widersprach Frenck beim Landratsamt. Denn jeder, der körperlich in der Lage ist, darf mitmachen. Daraufhin drohten 43 Feuerwehrmänner mit Austritt, sollte Frenck Mitglied werden dürfen. "Ich kann nicht zum Verkehrsunfall kommen, und da ist ein Farbiger im Auto eingeklemmt, und ich habe dann so einen dabei. Darauf kann ich mich nicht verlassen!", begründete einer von ihnen seine Entscheidung. Frenck wurde daraufhin erfolgreich mit der Begründung abgewiesen, die Arbeitsfähigkeit der gesamten Freiwilligen Feuerwehr könne im Interesse einer einzelnen Person nicht gefährdet werden.
  • Thomas Hantusch, ehemaliger Landesvorsitzender der NPD Hessen und vorbestraft wegen Volksverhetzung, übernimmt den Trainerjob in einem Fußballverein, in dem auch sein Sohn trainiert. Als eine türkische Mutter davon erfährt, meldet sie den Fall dem hessischen Fußballbund. Nach fünf Jahren Trainertätigkeit fliegt Hantusch daraufhin aus dem Verein.
  • Im Dezember 2011 wird der Fall von Markus W. öffentlich, er ist Spitzenkämpfer im Kickbox-Team der brandenburgischen Stadt Cottbus. Er gehört zu einer Gruppe von 18 Lausitzern, die auf dem Dresdener Flughafen in schwarzen T-Shirts auftraten: "A.H. Memorial Tour 2011-Protectorat Mallorca" stand auf der Vorderseite, "Seit 66 Jahren vermisst. Du fehlst uns. Wir brauchen dich", auf der Rückseite. Die sächsische Justiz reagiert auf die Reverenz an Adolf Hitler mit Strafbefehlen oder Verurteilungen wegen Volksverhetzung - auch im Fall von Markus W. Nach seiner Verurteilung wird er aus dem Kickbox-Team ausgeschlossen. Im Herbst 2012 berichtet die Lausitzer Rundschau, Mario Schulze, ebenfalls Spitzenkämpfer, soll auch zu der Truppe gehört haben. Er beteuert, im Glauben eine "Sommerfahrt" zu machen nach Mallorca mitgereist zu sein. Das volksverhetzende T-Shirt habe er nicht getragen.

"Der organisierte Sport hat seine Lektion gelernt."

Den Fall des Kickbox-Teams in Cottbus kennt Uwe Koch nur zu gut. Er ist Leiter eines Projekts des Landessportbund in Brandenburg, das demokratische Prozesse in Vereinen stärken soll. Gemeinsam mit extra ausgebildeten Beratern hilft er in Brandenburg Sportvereinen bei rechtsextremen Vorfällen. Zwölf waren es im vergangenen Jahr, Tendenz steigend. "Dass sich die Vereine zunehmend an uns wenden, zeigt eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema", sagt Koch.

Doch die meisten kommen demnach erst durch Druck von außen zu ihm, nämlich dann, wenn Medien die rechtsextremen Aktivitäten öffentlich gemacht hätten. "Dann müssen wir erst mal die Kuh vom Eis holen", sagt Koch - zum Beispiel durch Hilfe bei der Kommunikation mit Journalisten. Außerdem müsse den Verantwortlichen oft klar gemacht werden, dass nicht die Medien die Schuldigen sind, sondern das Problem beim Verein selbst liegt.

Das Beispiel des Kickbox-Vereins zeigt, wie langwierig der Beratungs-Prozess ist. Koch war bisher sieben Mal für Gespräche in Cottbus. "Ein erster Schritt ist es, sich öffentlich zu positionieren, also ein öffentlichkeitswirksames Signal gegen Rassismus zu setzen", sagt er. Zum Beispiel durch entsprechende Veranstaltungen oder Satzungsänderungen.

Doch auch Unsicherheiten im Umgang mit Rechtsextremismus müssen Koch und seine Mitarbeiter immer wieder entgegenwirken: "Wir hören immer wieder in Beratungsgesprächen, dass die NPD ja nicht verboten sei." Und nicht zuletzt kommt immer wieder das Totschlagargument, dass Sport nichts mit Politik zu tun habe. "Dabei wird politische Positionierung oft mit parteipolitischer Positionierung verwechselt", sagt der Projektleiter. Den Ausschluss rechtsextremer Personen empfehle er selten. Es sei besser sie zu beobachten und damit auch ein klares Signal zu setzen. Entscheidet sich ein Verein jedoch, rechtliche Schritte einzuleiten, kann er auch hier weiterhelfen.

Seit zwei Jahren arbeitet Koch in Brandenburg mithilfe dieser Strategien, die auch in den anderen Bundesländern angewandt werden. Die Meinung der Chefin des Verfassungsschutzes, Winfriede Schreiber, teilt er jedoch nicht: "Der organisierte Sport hat seine Lektion gelernt", sagt Koch.

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