RAF-Morde:Die unsichtbare dritte Generation

Zehn Morde in sechs Jahren: Die Anschläge der RAF in den Achtzigern lassen die Ermittler immer noch rätseln. Nun hoffen die Fahnder auf den Fortschritt der Technik.

Hans Leyendecker

Vor rund zwei Wochen trafen sich Karlsruher Bundesanwälte mit einem Spezialisten des Wiesbadener Bundeskriminalamts (BKA), um über die rätselhafte dritte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) zu fachsimpeln.

Das Ergebnis ist eine Art Schnittbogen, auf dem die zehn Morde in der Zeit von 1985 bis 1991, die Beschaffungsaktionen von Verdächtigen sowie Namen und Spuren vermerkt sind - beispielsweise spezielle Prägewerkzeuge für Doubletten von Autokennzeichen.

Der Leser des Bogens kann erfahren, wie viele Täter es mindestens für jeden der Anschläge brauchte. Rüstungsmanager Ernst Zimmermann: zwei. Diplomat Gerold von Braunmühl: zwei. Bankchef Alfred Herrhausen: drei oder vier. Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder: einen. Dass es im Fall von Braunmühl eine weibliche Spur gibt, wurde ebenso festgehalten wie der Verweis auf das Haar eines Unbekannten, das im Fall Beckurts auf dem Sprengsatz gefunden wurde.

Nur, wem kann es zugeordnet werden? Jahrelang hat eine ursprünglich im BKA gegründete und dann durch Verfassungsschützer erweiterte Arbeitsgruppe "AG80/90" regelmäßig getagt, um die Anschläge zu klären, doch die Jagd nach den Killern führte ins Nichts. Die AG wurde vor drei Jahren aufgelöst.

Die Zielfahnder des BKA sind auch nicht mehr aktiv, weil sie für ihre Arbeit zumindest ein ungefähres Ziel brauchen. Vor zwei Jahren wurden in aller Stille Ermittlungen gegen acht Personen im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Beckurts und dessen Fahrer Eckhart Groppler eingeleitet und dann geräuschlos wieder eingestellt.

Das Treffen in Karlsruhe Ende November führte den Fahndern noch einmal vor Augen, dass sie trotz großen Aufwands nicht viel über die dritte Generation der RAF wissen, die absolut konspirativ ans Werk ging. Um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, versiegelten die Killer meist vor Anschlägen ihre Handflächen mit Wundspray und stellten aufwendige Sicherheitsanalysen an.

Die unsichtbare dritte Generation

Unklar ist sogar, wie viele Mitglieder die Kommandoebene hatte (mindestens vier, höchstens zehn), ob es eine kleine kämpfende Einheit gab (wahrscheinlich nicht) oder ob derselbe Killertrupp von Anschlag zu Anschlag reiste. Klar ist nur, dass die Gruppe wesentlich kleiner war als die rund zwanzig Köpfe zählende Gruppe der RAF-Leute, deren Namen mit dem deutschen Herbst verbunden werden.

Mit ziemlicher Sicherheit, da waren sich die Experten einig, hatte die dritte Generation zwei Anführer: Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld. Grams soll der Antreiber gewesen sein. "Ohne ihn und seine Zähigkeit, mit der er alle praktischen Probleme angefasst und gelöst hat, wäre das nicht gegangen. Wir waren wenige, hatten so gut wie nichts in der Hand, kaum Waffen, kein Geld, wenig Erfahrung in der Organisierung der Illegalität", schrieb die ehemalige Terroristin Eva Haule, die 1986 festgenommen und 2007 wieder freigelassen wurde.

Grams wurde ebenso wie die Terroristin Hogefeld 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen von Beamten der GSG9 und des BKA gestellt. Er starb auf den Gleisen, Frau Hogefeld wurde festgenommen und später verurteilt. Aber zu welcher Wohnung gehören die Schlüssel, die bei dem Zugriff sichergestellt wurden? Die Beamten haben den Unterschlupf nicht gefunden.

War Grams ein reisender Killer oder eher der stille Organisator? Vor sechseinhalb Jahren fanden Beamte des Kriminaltechnischen Instituts des BKA mit einer neuen Methode heraus, dass ein Haar, das im Fall Rohwedder in der Nähe des Tatorts in einem Frotteehandtuch gefunden worden war, zweifelsfrei von Grams stammte. Die Fahnder hoffen auf den Fortschritt der Technik, aber sie haben nicht viele Spuren, und manche sind auch verbraucht.

Und die Stasi? Immer wieder, auch in den letzten Wochen, brachten Medien eine angebliche Killertruppe der Stasi in Verbindung mit den Anschlägen auf Herrhausen und/oder Rohwedder. Die RAF-Ermittler halten die These für "Unfug", wie ein Karlsruher Beamter sagt. Bei dem Treffen in Karlsruhe wurde auch ein Leserbrief diskutiert, der am 1. Oktober 2007 in dem linken Blatt Junge Welt erschien.

Frau Haule, die bis Mitte der achtziger Jahre ein Knoten im Netz der RAF war, nannte darin Theorien, westliche Geheimdienste oder die Stasi hätten gemordet, "schwachsinnig". Ihre Klarstellung: "Die RAF war verantwortlich u. a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder. Wäre es nicht so, hätte es selbstverständlich sofort Richtigstellungen gegeben. Schon aus Gründen der politischen Klarheit."

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