Piratenpartei:Piraten-Vorstand in Erklärungsnot

Gleich zwei Rücktritte an einem Tag muss Piraten-Chef Bernd Schlömer an diesem Freitag erklären: Die umstrittene Buchautorin Julia Schramm zieht sich von ihren Ämtern zurück. Beisitzer Matthias Schrade hingegen stellt die Piraten vor die Wahl zwischen ihm und Geschäftsführer Johannes Ponader.

Hannah Beitzer und Thorsten Denkler, Berlin

Piraten-Vorstandsmitglied Julia Schramm

Julia Schramm zieht sich aus dem Bundesvorstand zurück.

(Foto: dpa)

Knapp 20 Stühle stehen bereit in der Bundesgeschäftsstelle der Piraten in Berlin, in ein paar Minuten muss hier die Parteispitze erklären, warum sich gleich zwei Piratenvorstandsmitglieder an einem Tag zum Rückzug entschlossen haben: die Beisitzerin Julia Schramm und ihr Kollege Matthias Schrade. Auf dem weißen Ikea-Tisch ganz vorne im Eingangsbereich steht eine noch geschlossene Mate-Tee-Flasche. Das Glas daneben noch auf den Kopf gestellt.

Im Bundesvorstand der Piraten rumort es seit Wochen - nun ziehen die ersten Mitglieder der Parteispitze Konsequenzen. Die Beisitzer Matthias Schrade und Julia Schramm ziehen sich von ihren Ämtern zurück.

"Ich habe lange mit mir gekämpft und versucht, diesen Schritt zu vermeiden, da ich eigentlich großen Wert darauf lege, eine begonnene Arbeit durchzuziehen. Aber ich halte es inzwischen schlicht nicht mehr aus", schreibt Schrade in seinem Blog. "Die Situation im Bundesvorstand ist durch Johannes' Alleingänge zuletzt immer schwieriger geworden und behindert seit längerem die Arbeit des BuVos als Team."

Johannes, das ist der politische Geschäftsführer Ponader. Der wurde in den vergangenen Wochen von seinen Vorstandskollegen bereits mehrmals öffentlich angegriffen. Im Sommer hatte Ponader, der zeitweise von Arbeitslosengeld II lebte, zuerst publikumswirksam mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Agentur für Arbeit den Rücken gekehrt und brachte schließlich zahlreiche Parteifreunde mit einer umstrittenen Spendenaktion gegen sich auf, die wohlwollende Unterstützer zu seinen Gunsten initiiert hatten. Die Piratenspitze, aber auch einige Mitglieder, warfen ihm vor, seine Person zu sehr in den Vordergrund zu stellen, Piraten-Chef Bernd Schlömer riet ihm gar, er solle "mal arbeiten". Schrade wirft Ponader in seiner Rücktrittserklärung vor, er sei "beratungsresistent" und "absolut nicht teamfähig".

Auch seine Kollegin Julia Schramm zieht sich von ihrem Amt zurück. "Die Herausforderungen kamen. Die Stuhlgewitter auch. Alles etwas, womit ich gerechnet hatte. Dass jedoch jeden Tag mehr die Anpassung meines Denkens und Handelns an eine alte Politikervorstellung notwendig zu werden scheint, die ich ablehne und nicht bereit bin zu vollziehen, ist ein Umstand, dem ich mich nicht länger aussetzen möchte", schreibt sie in einem Blogeintrag. Bis zum Bundesparteitag der Piraten Ende November in Bochum wollen beide noch bleiben - danach sei jedoch Schluss.

Für Parteienvertreter gibt es wahrlich schönere Momente als solche, um vor die Presse zu treten. An der Wand in der Bundesgeschäftstelle hängt ein Whiteboard. "Eigensicht - Fremdsicht" steht darüber und darunter die Stärken und Schwächen der Partei. In der Eigensicht überwiegen die Stärken. In der Fremdsicht, das zeigt das Whiteboard schonungslos, die Schwächen: Buchveröffentlichung, interne Streits, Wahrnehmung unter Künstlern, kein Programm. Chaos und Ungeduld.

Schramm, im April als Beisitzerin in den Bundesvorstand gewählt, steht in der Kritik, weil sie ihr Buch mit dem Titel "Klick mich" nicht frei verfügbar ins Netz stellte. Für ihre innerparteilichen Gegner ist dies ein Widerspruch zum Programm der Piraten, das eine Reform des Urheberrechts vorsieht und sich intensiv mit alternativen Finanzierungsmodellen beschäftigt. Die Partei ist zuletzt in Umfragen stark zurückgefallen und liegt bei etwa fünf Prozent.

Bernd Schlömer lobt Schramm trotzdem als "forsche und tiefgründige Person", die einen Zeitgeist verkörpere, der viele jungen Menschen in der Partei anspreche. "Ich bedauere den Verlust", aber über die "persönlichen Gründe", die Schramm angegeben habe, werde er nicht spekulieren.

Schrade oder Ponader

Über den Rücktritt von Schrade hingegen muss Schlömer gar nicht spekulieren. Die hat er schließlich eindeutig in seinem Blog verbreitet. Schlömer dankt auch Schrade für seine Arbeit. Dabei hat der sich eigentlich ein Hintertürchen offengelassen: Er trete zurück - "sofern sich nicht kurzfristig eine grundsätzliche Änderung der Lage ergibt oder eine turnusmäßige Neuwahl beschlossen wird". Die Piraten müssen sich also entscheiden: Ponader oder Schrade. Denn Schrade macht in seinem Blogeintrag mehr als deutlich, dass es mit ihm und dem politischen Geschäftsführer nicht mehr weiter geht.

Piratenpartei schlingert ins Chaos

Der Bundesvorstand nach seiner Wahl im April 2012. Von Aufbruchstimmung ist nicht mehr viel übrig.

(Foto: dapd)

An den umstrittenen Ponader hat Schlömer dann auch noch eine Botschaft. Er bitte ihn, die Kritik von Schrade "positiv aufzunehmen". Soll wohl heißen: Er teilt die Kritik von Schrade. In der Nacht haben er und Ponader telefoniert. Schlömer sagt, er habe ihm ein Angebot gemacht. Sprechen will er darüber nicht. Die Flasche Mate-Tee ist jetzt zu Dreiviertel leer.

Der so kritisierte selbst ist weit weniger zurückhaltend: Ponader hat im Netz umgehend auf die Ankündigung Schrades reagiert. "Dieser Moment ist natürlich vor allem Anlass für eine kritische Betrachtung meiner eigenen Arbeit. Sicherlich habe ich in den vergangenen Monaten selbst einige Fehler gemacht", schreibt er. Er hoffe, einige davon bereits behoben zu haben - und die verbliebenen noch beheben zu können. Er bedankt sich außerdem bei seinen Vorstandskollegen für deren "Kritik" und "konstruktives Feedback" - und gibt Schrade recht: "Um das zu erreichen, was wir alle gemeinsam wollen, muss sich etwas ändern." Er schlägt unter anderem vor, die Arbeitsprozesse und Diskussionen im Vorstand öffentlicher zu machen und erinnert daran, dass die Partei von ihrer Vielfalt lebe.

Partei-Vize Sebastian Nerz hat für Ponaders Reaktion - gelinde gesagt - wenig Verständnis: "Er hat nichts - aber auch absolut gar nichts - verstanden. NULL. NADA. NICHTS. Das ist unglaublich. Einfach nur *gar nichts*. Krass.", erregt er sich auf Twitter.

Und Ponader? Die Pressekonferenz ist keine fünf Minuten vorbei, da kommt er in den Raum. Graues Jacket und Hemd. Und Sandalen, natürlich. Die Pressesprecherin der Piraten ist überrascht, ihn zu sehen. Ponader sagt, er sei hinten gewesen, bei Schlömer. Jetzt steht er am Kühlschrank, greift sich eine Flasche. "Ich brauch erst mal 'ne Fasche Mate." Also, Herr Ponader, wie lautete das Angebot von Schlömer? Auch er will dazu nichts sagen.

Denkt er über Rücktritt nach? Nein. "Ich werde mich allenfalls einem Mitgliedervotum auf einem Parteitag unterordnen." Und warum holt er sich das Votum nicht auf dem kommenden Parteitag im November? "Weil ich dann wieder meine Person in den Mittelpunkt stellen würde". Aber den Mitgliedern sei ja freigestellt seine Person auf die Tagesordnung zu setzen.

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