Piraten-Geschäftsführer Ponader im Gespräch:"Die Shitstorm-Kultur ist Teil der Menschheit"

Johannes Ponader steht unter Beobachtung. Der Streit um den politischen Geschäftsführer der Piratenpartei hat vor wenigen Wochen sogar zum Rücktritt eines Vorstandskollegen geführt. Beim Parteitag in Bochum jedoch geben sich Ponader und die Piratenspitze geläutert. Es geht schließlich um den Einzug in den Bundestag. Ein Gespräch über Anpassung, Shitstorms und Animositäten.

Hannah Beitzer, Bochum

Piratenpartei Johannes Ponader Bundesparteitag Shitstorm

"Wir sind eben idealistisch. Wer wären wir, wenn wir keine Ideale hätten. Den Idealismus verloren haben die anderen schon genug."

(Foto: dapd)

Süddeutsche.de: Bei ihrer Aussprache am Freitagabend wirkten Sie und Ihre Vorstandskollegen sehr wie professionelle Politiker - sie zeigten demonstrativ Geschlossenheit. Manche ihrer Aussagen wirkten arg glatt. Passen sich die Piraten an den Politikbetrieb an?

Johannes Ponader: Wir haben eine öffentliche Verantwortung und der müssen wir gerecht werden. Wir Piraten sind ja immer bereit dazu, Dinge von anderen Parteien zu übernehmen. Wir nehmen uns nur die Zeit, einzeln zu prüfen, welche Prozesse für uns sinnvoll sind.

Süddeutsche.de: Was haben Sie denn aus dem zurückliegenden Streit mit ihren Parteifreunden gelernt?

Ponader: Persönliche Konflikte gehören in geschlossene Räume. Sachkonflikte hingegen müssen wir öffentlich machen, weil es wichtig ist zu zeigen, dass wir verschiedene Persönlichkeiten in der Partei haben. Wir müssen verschiedenen Meinungen in der Partei ein Gesicht geben. Uns muss außerdem gelingen, dass ein Pirat, der sich öffentlich äußert, nicht gleich angegangen wird.

Süddeutsche.de: Die Shitstorm-Kultur ist aber doch ein fundamentaler Teil des piratigen Selbstverständnisses...

Ponader: Genaugenommen ist die Shitstorm-Kultur Teil der ganzen Menschheit. Wenn ich am Stammtisch über 'die da oben' schimpfe oder über den Nachbarn lästere ist das eigentlich nichts anderes. Nur, dass wir auf digitalen Plattformen anders damit umgehen müssen. Jeder Tweet, den ich absondere, ist öffentlich und damit zitierbar. Das muss uns klar werden.

Süddeutsche.de: Also sagen Sie ihren Parteifreunden: Keine Shitstorms mehr?

Ponader: Ich sage: 'Wenn Du Dich über eine Person ärgerst, dann ruf sie an. Wenn Du Dich über etwas wunderst, was in der Presse steht, dann frag nach.'

Süddeutsche.de: Das hört sich jetzt sehr sachlich an, in der Realität scheinen viele Piraten nicht in der Lage zu sein, so zu handeln. Sind sie zu emotional für die Politik?

Ponader: Es stimmt, dass wir menschlicher sind als andere Politiker. Andere politische Akteure sind deutlich abgeschliffener als wird. Wir haben auch eine größere berufliche Durchmischung als die etablierten Parteien, wo viele Politikwissenschaftler und Juristen sind. Pluralität schafft immer mehr Spannung, als wenn sich eine Gruppe mit ähnlichem Hintergrund austauscht.

Einfluss der Piratenpartei in Deutschland

"Wir brauchen ein verlässliches Tool, das Entscheidungen ermöglicht"

Süddeutsche.de: Besonders spannend wird es ja, falls sie in den Bundestag einziehen. Wie sollte in diesem Fall der Kontakt zwischen Basis und Abgeordneten aussehen?

Ponader: Das müssen wir gemeinsam mit den Kandidaten entscheiden, sobald alle Listen für die Bundestagswahl stehen.

Süddeutsche.de: Wäre eine ständige Mitgliederversammlung, wie sie einige ihrer Parteifreunde fordern, eine Möglichkeit?

Ponader: Sie würde uns definitiv ermöglichen, schneller zu Entscheidungen zu kommen. Wenn es im Bundestag darum geht, ob wir Raketen an die türkisch-syrische Grenze schicken, können wir nicht sagen: Sorry, wir müssen erstmal den nächsten Bundesparteitag abwarten. Wir brauchen da ein verlässliches Tool, das Entscheidungen ermöglicht.

Süddeutsche.de: Viele Gegner der ständigen Mitgliederversammlung kritisieren, dass sie nicht demokratisch sei. Zum Beispiel, weil man dafür mit Computern umgehen können muss.

Ponader: Sicher sind diese Bedenken berechtigt. Aber auch ein Parteitag schließt manche Leute aus. Zum Beispiel alle die sich die Anfahrt nicht leisten können. Auf dem Parteitag ist deswegen nie die ganze Basis, das sind halt nur 2000 von 20.000 stimmberechtigten Piraten, die genug Zeit und Geld dafür haben. An der ständigen Mitgliederversammlung könnten auch Leute teilnehmen, die nicht zur Zeitelite gehören.

Süddeutsche.de: Andere befürchten, dass eine ständige Mitgliederversammlung die Unabhängigkeit der Abgeordneten gefährden würde.

Ponader: Für mich liegt die Freiheit des Abgeordneten darin, dass er freiwillig nach dem Basisvotum handeln kann. Freiheit und Solidarität bedingen sich gegenseitig.

Süddeutsche.de: Das klingt aber sehr naiv...

Ponader: Wir sind eben idealistisch. Wer wären wir, wenn wir keine Ideale hätten. Den Idealismus verloren haben die anderen schon genug.

Süddeutsche.de: Doch selbst bei den Piraten gibt es nicht nur Idealisten. Es gibt auch viele, für die Politik schlicht eine Karrieremöglichkeit ist. Haben Sie keine Angst, dass die sich anders verhalten könnten?

Ponader: Natürlich gibt es bei uns auch Karrierepolitiker. Beide Beweggründe sind legitim und werden sich in jedem Abgeordneten zu unterschiedlichen Teilen wiederfinden. Leute, für die Politik eine Karriere ist, handeln zum Beispiel oft pragmatischer als absolute Idealisten. Das ist auch ganz wichtig. Wir müssen nur aufpassen, dass nicht der eine Typ den anderen Typ total unterbuttert.

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