Parteitag in Berlin:Siggi, mach die Grünen wach

Bundesparteitag Bündnis 90/Die Grünen

Keine Superhelden: Die grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt

(Foto: dpa)

Schlappe Spitzenkandidaten, schwatzende Delegierte: Die Grünen geben zu Beginn ihres Parteitags in Berlin ein müdes Bild ab. Die Nähe zur SPD, eines der wenigen Streitthemen, wird abgenickt. Ausgerechnet deren Chef Sigmar Gabriel könnte jetzt für Tempo sorgen.

Von Michael König, Berlin

Sie hätte auch Batman nehmen können. Oder Green Lantern. Das wäre vielleicht sogar lustig gewesen. Aber nein, Katrin Göring-Eckardt entscheidet sich für den bekanntesten aller Superhelden. "Wir sind nicht der Superman der Politik", sagt die Spitzenkandidatin der Grünen. Das hätte auch niemand ernsthaft vermutet.

Superman ist enorm schnell, übermenschlich stark und nahezu unverwundbar. Die Grünen aber sind in Berlin rhetorisch eher schwach und fürchterlich langsam. Das macht sie verwundbar. Wie soll von diesem Parteitag in Berlin Wechselstimmung ausgehen, oder zumindest ein positives Signal für den Wahlkampf?

Sicher, die Grünen sind in Umfragen stabil bei 14 bis 15 Prozent. Eine Revolte des Realo-Flügels unter Führung von Winfried Kretschmann gegen die Steuerpolitik des Parteivorstands stößt auf breiten Widerstand. Außerdem ist es schwül in Berlin, der Wetterumschwung kündigt sich bei einigen schon mit starken Kopfschmerzen an. Der Zeitplan des Parteitags füllt fünf DIN-A4-Seiten, am Samstag soll es von neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachts gehen. Politik kann eine elende Quälerei sein.

Rechtfertigt das so eine Rede, wie sie Jürgen Trittin und Göring-Eckardt in Berlin gehalten haben?

Wäre die Spitzenkandidatin nicht so beliebt in der Partei, es stünde die Frage im Raum, wer ihr dieses Redemanuskript untergeschoben hat. Ein Sammelsurium von Plattitüden und Satzbausteinen, das für das Phrasenschwein eine Freude gewesen wäre. Ein paar Kostproben:

  • "Das Spiel dauert 90 Minuten und das Runde muss ins Eckige. Der Wahlkampf dauert noch 149 Tage und die Kreuze müssen an die richtige Stelle auf den Wahlzetteln."
  • "Wir werden kämpfen, denn auf uns kommt es an."
  • "Wir legen uns fest. (...) Wir legen uns tatsächlich fest. Wir legen uns fest auf unsere Inhalte."
  • "Und wir sind hier. Und wir sind hier, um zu gewinnen."
  • "Auf starke Grüne kommt es an. (...) Auf starke Grüne kommt es an. (...) Auf starke Grüne kommt es an."

Kein Chance, damit Stimmung auf Parteitagstemperatur zu bringen. Daran ist vorher schon Trittin gründlich gescheitert. Der grüne Fraktionschef recycelt seinen Spruch, wonach "der beste Kunde von Angela" Merkel der saudische "König Abdallah" sei. Ein Seitenhieb auf die Waffenexport-Freigaben der Bundesregierung. Trittin hatte ihn wortgleich am Aschermittwoch in Landshut gebracht. Und erzählt ihm auch im kleinen Kreis jedem, der nicht rechtzeitig die Biege macht.

Dagegen wirkt es geradezu inspiriert, als er den Steuerbetrüger Uli Hoeneß einen "dicken Zierfisch" nennt. Als solcher sei der Bayern-Präsident von der CSU "gehegt und gepflegt" worden. Aber bitte, der Mann ist Würstchenproduzent, wer kommt da auf einen Fisch-Vergleich?

Wäre doch wenigstens das Parteitagsmotto ein Knaller. Aber "Deutschland ist erneuerbar" ist so neu wie "Das Wir entscheidet" der SPD. Die Umweltorganisation Greenpeace wirbt damit für den Atomausstieg. Und 2007 erschien eine gleichnamige Autobiografie des ehemaligen TV-Journalisten Franz Alt.

Die etwa 800 Grünen im Berliner Velodrom nehmen es mit einer Mischung aus Gelassenheit und Desinteresse hin. Das Präsidium muss mehrfach um Konzentration bitten, weil Delegierte auf den Gängen stehen und schwatzen. Am Morgen danach wird Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke darauf hinweisen, "die Debatte findet nicht nur im Plenum statt", der Eindruck, der Parteitag sei "langweilig", sei definitiv falsch.

Eine Hoffnung sollte es geben. Seit Tagen hatten Schwarz-Grün-Sympathisanten wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der bayerische Landesvorsitzende Dieter Janecek dafür getrommelt, die rot-grünen Treueschwüre im Wahlprogramm zumindest abzuschwächen. Sollte etwa eine Abstimmungsniederlage drohen für die Parteispitze?

Dem Urheber des entsprechenden Antrags, Henrik Neumann aus Frankfurt, fällt als Argument ein: "Wir sind immer noch wir". Und: "Wir brauchen keinen gemeinsamen Wahlkampf mit der SPD." Der Applaus ist durchaus beachtlich. Dann aber tritt Parteichef Cem Özdemir zu Gegenrede an. Der Mann, dem wie kaum einem anderen in der Partei nachgesagt wird, es lieber heute als morgen mit den Schwarzen versuchen zu wollen. Özdemir aber sagt: "Wir haben die größte Schnittmenge mit der SPD. Was ist falsch daran, es auch ins Programm zu schreiben?"

Die Mehrheit gibt ihm Recht. Sigmar Gabriel kann kommen. Der rote Blitz der SPD absolviert an diesem Samstag um 12:45 Uhr gewissermaßen seinen Gegenbesuch. Vor zwei Wochen hielt Grünen-Chefin Claudia Roth auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Augsburg eine Rede. Und rockte den Saal.

Gelingt Sigmar Gabriel ähnliches, dann haben die Grünen vielleicht doch noch ihren Superhelden. Der müsste dann nur noch fliegen lernen.

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