Neue Erkenntnisse im Untersuchungsausschuss:Neonazi und Ex-Spitzel diskutierten über NSU-Trio

Im NSU-Untersuchungsausschuss ist ein mysteriöses Gespräch zwischen zwei Nazis bekannt geworden. Vor fünf Jahren fand das BKA ein Tonband, auf dem von dem Terror-Trio die Rede ist. Damals war den Ermittlern das nur einen kleinen Vermerk über "Beate Schädler" und "Udo Mundlos" wert, jetzt fragt die Linke: Wurde eine Spur ignoriert?

Von John Goetz und Tanjev Schultz

Es ist ein seltsamer Fund, den das Bundeskriminalamt 2007 bei dem bundesweit umtriebigen Neonazi Thorsten Heise machte. Die Beamten stellten während einer Razzia drei Kassetten eines Diktiergeräts sicher und fertigten darüber 2009 einen Vermerk an. Sie ahnten wohl nicht, dass dieser Vermerk später noch einmal so interessant werden könnte: Angeblich ist auf den Kassetten ein Gespräch zwischen Heise und dem berüchtigten Thüringer Neonazi Tino Brandt zu hören. In dem Gespräch kommen offenbar vor: die Namen der drei mutmaßlichen Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU).

Brandt hat jahrelang für den Thüringer Verfassungsschutz als V-Mann gearbeitet, er wurde 2001 öffentlich enttarnt. Heise unterhielt sich mit Brandt in dem Gespräch, dessen genaues Datum unklar ist, über den Verfassungsschutz, die NPD und über diverse braune Kameraden. An einer Stelle sollen dann laut Vermerk diese Namen gefallen sein: "Beate Schäfer (oder) Schädler (phon.)", "Udo (oder) Uwe Mundlos (phon.)", "Udo Böhmer (phon.)". In Klammern fügt der Vermerk an, die "3 Personen seien verschwunden". Offenkundig handelt es sich um das mutmaßliche NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Der BKA-Vermerk, der jetzt im NSU-Untersuchungsausschuss bekannt geworden ist, irritiert die Linken-Abgeordnete Petra Pau: "Wurde eine heiße Spur zum NSU ignoriert und wenn ja, warum?"

Zunächst einmal zeigt der Vermerk, dass der Beamte beim BKA, der die Kassetten abhörte, mit den Namen offenbar nichts anzufangen wusste und sie deshalb nach seinem Gehör teilweise falsch notierte. Ansonsten zeigt die Notiz, dass Heise und Brandt nicht viel über die Drei austauschten außer der Tatsache ihres Verschwindens. Vielleicht hat das BKA aber auch nicht alles notiert, was über das Trio gesagt wurde, da der Bearbeiter mit dem Trio nichts anzufangen wusste und die Bedeutung unterschätzte.

Von Tino Brandt wissen die Ermittler, dass er als führender Kopf der Neonazi-Gruppe "Thüringer Heimatschutz" Kontakt zu dem Trio hatte, und zwar zumindest telefonisch auch noch nach dessen Flucht vor der Polizei 1998. Doch Brandt, der nicht zu den Beschuldigten im laufenden Verfahren gegen den NSU gehört, beteuert, dass er weder vom NSU noch von dessen Verbrechen gewusst habe. Der Kontakt zu den Dreien soll schon rasch nach dem Untertauchen wieder abgebrochen sein.

Für Thorsten Heise wiederum interessierten sich die Ermittlern zeitweise, weil es das Gerücht gab, Heise sollte die Flucht des Trios nach Südafrika organisieren oder anderweitig helfen. Er bestreitet dies.

Zschäpe und Mundlos? "Die kenne ich nicht"

Heise ist nicht nur bundesweit gut vernetzt, er hat auch internationale Kontakte. Seit langer Zeit ist er eine Führungsfigur in der freien Kameradschafts-Szene. Er spielt in der NPD eine wichtige Rolle, saß zeitweise im Bundesvorstand. In Niedersachsen war Heise einst in der rechtsextremen FAP (Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei) aktiv, die 1995 nach dem Vereinsrecht verboten wurde. Heise lebt seit einigen Jahren in Thüringen, dort ist er im Landesvorstand der NPD.

In einer Vernehmung Anfang dieses Jahres sollte sich Heise zu seiner Hochzeitsfeier im Jahr 1999 äußern, bei welcher der mutmaßliche NSU-Unterstützer Holger G. dabei gewesen sein soll. Damals soll Heise nach Südafrika-Kontakten für das flüchtige Trio gefragt worden sein. Mit solchen Berichten könne er "echt nichts anfangen", sagte Heise laut Vernehmungsprotokoll. Es seien viele Leute bei der Feier gewesen, etwa 100 Personen, und: "An meiner Hochzeit wäre bestimmt nicht die Stimmung gewesen, um für Freunde nach Kontakten in Südafrika zu fragen" Wegen der auftretenden Bands aus der rechten Szene seien zwei oder drei Hundertschaften Polizei vor dem Haus gestanden: "Da hatte ich wirklich anderes im Kopf".

Heise sagte aus, er kenne den langjährigen Thüringer NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Dieser soll laut Anklageschrift dem NSU-Trio die Ceska-Pistole besorgt haben, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten erschossen haben sollen. Wohlleben hat sich zu den Anschuldigungen bisher offenbar nicht geäußert. Heise wiederum sagte, zu Wohlleben habe er keinen engen Kontakt gehabt. Die Existenz des NSU nannte er eine "völlige Überraschung für mich". Heise versuchte auch, den NSU als eine staatliche Verschwörung darzustellen: Er halte das "für eine Sache vom Verfassungsschutz". Denn die "nationale Bewegung" werde doch so genau überwacht, dass man etwas hätte merken müssen. Zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sagte Heise nur: "Die kenne ich nicht."

Der BKA-Vermerk über das Gespräch mit Tino Brandt legt nun zumindest nahe, dass Heise schon einmal von den drei flüchtigen Neonazis gehört haben könnte, bevor der NSU Ende 2011 aufflog.

Die auf den Kassetten festgehaltene Unterhaltung mit Brandt kann frühestens im Jahr 2000 stattgefunden haben, denn auf dieses Jahr verweist Brandt innerhalb des Gesprächs. Offenbar haben sich er und Heise auch freimütig über Brandts Spitzeltätigkeit für den Verfassungsschutz unterhalten. Es taucht außerdem der Name von Kai D. auf, der für das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz als V-Mann in der rechten Szene unterwegs war und zuletzt für Wirbel im Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags gesorgt hat. In dem Gespräch zwischen Brandt und Heise soll laut BKA-Vermerk erwähnt worden sein, dass Kai D. für das "Bayerische Amt" gearbeitet habe.

Heise erkundigte sich laut Vermerk des BKA zudem nach Geld, das auf dem Weg zu einer Übergabe im Handschuhfach des Thüringer Neonazis Andre K. verschwunden sei. Brandt sagte dazu, er wisse davon nichts. Unklar ist, ob diese Passage des Gesprächs etwas mit dem NSU-Trio zu tun haben könnte. Nach der Flucht 1998 wurde eine Zeitlang in der Neonazi-Szene Geld für die Drei gesammelt. Andre K. wurde damals von braunen Kameraden beschuldigt, Geld unterschlagen zu haben.

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