Neue Bücher über John F. Kennedy:Entzauberter Präsident

US-Präsident John F. Kennedy in Frankfurt 1963

US-Präsident John F. Kennedy 1963 während seines Deutschland-Besuchs in Frankfurt.

(Foto: dpa)

Immer noch gilt John F. Kennedy als großer Staatsmann oder wenigstens als einer, der es hätte sein können, wäre er nicht 1963 erschossen worden. Doch das Gegenteil ist der Fall, behauptet eine neue Biografie.

Von Bernd Greiner

Das Thema hat sich erschöpft: Über John F. Kennedys Leben und Karriere gibt es ebenso wenig Neues zu berichten wie über die Ermordung des Präsidenten am 22. November 1963 in Dallas. Dennoch werden jahraus, jahrein neue Texte vorgelegt, Biografien, Spezialabhandlungen über Details seiner gut tausendtägigen Amtszeit und vor allem Rekonstruktionen des Attentats.

Letztere gehen in die Tausende, ein Perpetuum Mobile, das von den immer gleichen Vermutungen und Unterstellungen in Gang gehalten wird: Oswald kann nicht der alleinige Schütze gewesen sein, vermutlich waren die CIA, die Mafia und Fidel Castro involviert, entweder jeder auf eigene Rechnung oder als Verschwörer in gemeinsamer Sache, Lyndon B. Johnson kommt als Auftraggeber auch in Betracht, das FBI und der KGB ohnehin und, nicht zu vergessen, der "militärisch-industrielle Komplex". "Vielleicht", "möglicherweise", "so hätte es sein können", "nicht auszuschließen, dass": Eine Geschichte im ewigen Konjunktiv, abgebildet in mehr als sechzig verschiedenen Mordversionen.

Das Attentat in Dallas gibt eine erste Antwort auf die von Alan Posener in seiner Kennedy-Biografie gestellte Frage: Warum fasziniert uns ausgerechnet ein Präsident, den Historiker und Journalisten in den späten 1980er-Jahren zur "am meisten überschätzten Gestalt der amerikanischen Geschichte" erklärten? Das unvollendete Leben eignet sich offenbar als Projektionsfläche für eine Geschichte, wie man sie gern gehabt hätte: ohne das Desaster in Vietnam und brennende Ghettos in amerikanischen Großstädten, ohne eskalierenden Rüstungswettlauf, ohne politische Gewalt gegen Politiker, Bürgerrechtler und studentische Aktivisten, stattdessen mit Rassenaussöhnung in den USA, Entspannungspolitik weltweit und fairer Behandlung der Dritten Welt.

Nackte Machtausübung, Intrige, Lüge und sexueller Betrug

All dieses wird, kontrafaktisch zwar, aber inbrünstig, Kennedy als Programm zugeschrieben - hätte er nur länger gelebt. Dass lediglich ein "dummer, kleiner Kommunist" vom Schlage Lee Harvey Oswalds ihren Mann erschossen haben soll: diese Vorstellung empfand bereits Jackie Kennedy als Zumutung. "Er hatte noch nicht einmal die Befriedigung", sagte sie dem Historiker William Manchester, "wegen der Bürgerrechte ermordet zu werden."

Dem Sinnlosen einen Sinn zu geben oder das Unverständliche partout begreifbar zu machen, scheint ein nie versiegendes Bedürfnis zu sein. Welcher verstiegene Unsinn dabei herauskommen kann, demonstrieren nicht nur Heerscharen von Verschwörungsaposteln, sondern auch der Journalist Bill O'Reilly in seinem als Melodram konzipierten Buch "Killing Kennedy". Schenkte man ihm Glauben, so fiel die Lichtgestalt Kennedy einer bösartigen Inkarnation des Weltgeistes zum Opfer - oder dem auf Amerika lastenden schwarzen Fluch der Vorsehung.

Man muss es zitieren, um es glaubhaft zu machen: "Lincoln wurde 1860 ins Präsidentenamt gewählt, Kennedy 1960. Beide wurden an einem Freitag ermordet, in Gegenwart ihrer Frauen. Ihre Nachfolger stammten beide aus dem Süden der USA, trugen beide den Namen Johnson und waren zuvor Senator gewesen. Andrew Johnson wurde 1808 geboren, Lyndon B. Johnson 1908." Und so weiter bis zur finalen Pointe: "Der Mörder Booth verübte sein Attentat in einem Theater und floh in einen Lagerraum, während der Attentäter Oswald seine Schüsse von einem Lagerhaus aus abfeuerte und dann in ein Filmtheater floh."

Zugegebenermaßen bewegt sich O'Reilly nicht durchgängig auf diesem Niveau. Aber aufs Ganze gesehen, hat er ein banales Buch verfasst, eine Homestory, die in Glamour-Magazinen statt im nüchternen Genre des Sachbuches ihren passenden Ort hat.

Dabei stören weniger die haarsträubenden politischen Fehlurteile - etwa die schrille Kostümierung Nikita Chruschtschows als Wiedergänger Stalins - denn vielmehr der penetrante Versuch, einer in die Jahre gekommenen Rede von "Camelot" neues Leben einzuhauchen, der auf Jackie Kennedy zurückgehenden Stilisierung also, wonach das Weiße Haus ihres Mannes ein Spiegelbild des mondänen, vom mythischen König Artus in Wales unterhaltenen Hofes war. Immer wieder "umwerfend" findet der Autor diese Welt. Und kein Lektor weit und breit, der sich an solch sprachlicher Einfalt stören würde.

Den illusionslosen Alan Posener mit seiner eleganten Prosa zu lesen, ist demgegenüber eine Wohltat. Auch er kann, wie gesagt, nicht mit Neuigkeiten aufwarten. Umso mehr beeindruckt, wie er auf knappem Raum trittsicher eine unüberschaubar gewordene biografische Literatur abschreitet, das Wesentliche herausstreicht und präzise abwägt. Dabei hält er etwas in der Balance, woran die meisten Kritiker in der Regel scheitern: Die Legende Kennedy zu destruieren, aber trotzdem den Respekt vor der Person des Präsidenten nicht zu verlieren.

Von wegen "Camelot"! "Hinter der glanzvollen Fassade verbergen sich nackte Machtausübung, Missgunst, Intrige, Lüge und sexueller Betrug." Schon seine Jugend hatte JFK in Umständen verbracht, die man niemandem wünschen möchte. Unter der Fuchtel eines Patriarchen nämlich, der so ziemlich alles tolerierte außer menschlicher Schwäche: Zweiter zu sein war in dieser Welt nie eine Option. Und gegen den Strom zu schwimmen, kam deshalb nur in Frage, wenn man früher als andere erkannte, dass sich die Strömung verändert hatte.

Im Kern also war und blieb Kennedy ein instinktiver Konservativer, der im Zweifel den Geist der Zeit lieber hofierte als herausforderte. Dass er einer Preisgabe demokratischer Rechte, einem "freiwilligen Totalitarismus" gar, das Wort redete, mag auf viele seiner Bewunderer befremdlich wirken; zu seiner Zeit setzte sich Kennedy damit an die Spitze jener, denen zwecks Immunisierung gegen reale oder imaginierte Feinde jedes Mittel Recht war.

Wie der elegantere Vorfahre von George W. Bush

Mitunter tritt er wie der elegantere Vorfahr von Richard Nixon oder George W. Bush auf. Aber im Unterschied zu diesen konnte er mit Intellektuellen umgehen, wissend, dass sie nur "so lange gegenüber der Macht skeptisch bleiben, bis man ihnen anbietet, daran teilzuhaben". Womit Alan Posener eine weitere Quelle der Kennedy-Mythologie benennt.

TV-Duell zwischen J. F.Kennedy und Nixon 1960

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Richard Nixon (r) und sein demokratischer Kontrahent John F. Kennedy (l) nach ihrem Fernsehduell in Washington am 7. Oktober 1960. Kennedy gewann die Wahl knapp - wenige Jahre später wurde Nixon Präsident.

(Foto: dpa)

Während der 1036 Tage im Weißen Haus wurde John F. Kennedy die Angst nie los, als Schwächling, Zauderer oder Beschwichtiger wahrgenommen zu werden. Folgerichtig neigte er zu einer auftrumpfenden militanten Rhetorik, die ihn am Ende aber doch zu blamieren drohte, weil er den selbst gestellten Glaubwürdigkeitsfallen nur mit der Bereitschaft zum Kompromiss entkommen konnte.

Dass er in der Praxis seinen leichtfertigen Reden wiederholt die Spitze nahm - sich beispielsweise von Chruschtschow in der jahrelang schwelenden Krise um Berlin nicht provozieren ließ und im Juni 1963 gar zu einer dauerhaften Kooperation mit Moskau aufrief -, ist nicht gering zu schätzen. Aber auch kein Grund zu großformatigen Phantasien.

Die hartnäckig kolportierte Behauptung von einem fest ins Auge gefassten Kurswechsel in Vietnam etwa hält Posener mit guten Gründen für Wunschdenken. Denn gerade dort wollte Kennedy die revolutionäre Bestimmung Amerikas und dessen Kraft zur Bändigung des Kommunismus unter Beweis stellen.

Der Mythos ist gegen Wissen resistent

Wie immer man die Akzente setzen mag, am meisten irritiert nach wie vor die vielfach aufgeworfene und von Alan Posener schonungslos rekapitulierte Frage: War John F. Kennedy für das Amt des Präsidenten überhaupt geeignet? Heutzutage würde kein Kandidat eine derartige Krankenakte verheimlichen und auch nur eine Vorwahl überstehen können.

Ob und in welchem Umfang die Abhängigkeit von Medikamenten und die tagtägliche Behandlung mit Cocktails aus Schmerzmitteln und Stimmungsaufhellern Kennedys Urteilskraft beeinträchtigt haben, ist schwer zu sagen. "Dass aber ein derart kranker und von chemischen Stimmungen abhängiger Mann den Finger am atomaren Abzug hat, ist im Rückblick beängstigend."

Der Mythos indes ist gegen Wissen resistent. In diesem Fall umso mehr, weil das Publikum am Versprechen einer besseren Zukunft festhalten möchte. Und an der Sehnsucht nach einer Lichtgestalt, die von erhabener Tragik umweht sein muss, um strahlen können.

Dass ausgerechnet John F. Kennedy dafür eine der treffendsten Umschreibungen fand, ist kein Zufall; er hat sich ausweislich seiner Selbstinszenierung bereits zu Lebzeiten an das Rollenmodell gehalten: "Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge - absichtsvoll, künstlich, unehrlich -, sondern der Mythos - hartnäckig, verführerisch und unrealistisch."

Alan Posener: John F. Kennedy. Biografie. Rowohlt, Reinbek 2013, 200 S., 18,95 Euro.

Bill O'Reilly (mit Martin Dugard): Killing Kennedy. Das Ende des amerikanischen Traums. Aus dem Amerikanischen von Maria Zybak und Bernhard Jendricke. Droemer, München 2013, 400 S., 19,99 Euro.

Bernd Greiner arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung und lehrt am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg. Er ist u.a. Herausgeber einer sechsbändigen Reihe über den Kalten Krieg (Hamburger Edition).

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