Menschenrechte in der Ukraine:Krieg um die Wahrheit

Ukraine says 34 people killed in fighting in the east

Szenen der Zerstörung: In Donezk sind zahlreiche Häuser durch den Beschuss der ukrainischen Armee unbewohnbar.

(Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)
  • Human Rights Watch und Amnesty International üben Kritik an der ukrainischen Armee. Kiew weist jeden Vorwurf von sich.
  • Milizionäre berichten von rigiden Maßnahmen in der Truppe.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Wenn man dem Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums Andrij Lyssenko zuhört, dann gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass die ukrainische Armee im Kampf gegen Separatisten jemals Streubomben eingesetzt hat. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hatte das am Dienstag gemeldet und betont, man habe eine Woche lang in der Ostukraine die Kampfhandlungen beobachtet. Obwohl es bei vielen Angriffen, die während der offiziell geltenden Waffenruhe stattfanden, schwierig gewesen sei herauszufinden, wo die Streubomben herkamen, so deuteten zahlreiche Indizien doch auf die ukrainische Armee, so HRW.

Erst kürzlich war in Donezk ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes durch eine solche Bombe umgekommen, die sich nach dem Abschuss in sogenannte Submunition aufspaltet. 114 Staaten weltweit sind der Streubomben-Konvention mittlerweile beigetreten. Die Ukraine ist nicht unter darunter.

Kiew fordert Beweise

Lyssenko referierte auf einer Pressekonferenz in Kiew ausführlich über die jüngsten Auseinandersetzungen im Kriegsgebiet, über Hilfslieferungen und zerstörte Gaspipelines, bevor er zu dem Vorwurf von Human Rights Watch Stellung nahm. Er müsse dringend darum bitten, mit solchen Vorwürfen besonders vorsichtig zu sein; schließlich gebe es einen Befehl von Oberbefehlshaber und Präsident Petro Poroschenko, niemals in Wohngebiete hineinzuschießen, international geächetete Munition werden selbstredend nicht benutzt. Und diejenigen, die das behaupteten, bitte er, "ballistische Beweise" vorzulegen.

Auch die Meldung von Amnesty International vom Vortag, nicht nur die Separatisten, sondern auch ukrainische Soldaten hätten Gefangene der Gegenseite hingerichtet, dementierte der Ministeriumssprecher vehement. Man behandele alle Gefangenen so, wie es das Gesetz vorschreibe.

50 Stockschläge

Der Stabschef des Präsidenten, Valerij Tschalij, redete sich kurz darauf in Rage. Wer behaupte, die Ukraine setze Clusterbomben ein, der wolle das Land weiter destabilisieren. Überhaupt gelte es, das ganze Bild zu betrachten. Die Grenze zu Russland sei offen, russische Soldaten seien entgegen der Zusage von Präsident Wladimir Putin nicht abgezogen worden, schweres Gerät aus Russland sei weiterhin im Einsatz. Tschalijs Wutausbruch hinterließ allerdings viele Zweifel, zumal Soldaten von der Front weniger entschieden dementieren, dass mit allen Mitteln gekämpft wird, weil der Feind übermächtig sei und man um das eigene Überleben wie um das Überleben der Nation bange.

Vasilij Schuchewitsch zum Beispiel, Nachkomme eines vor allem in der Westukraine verehrten Generals der nationalistischen Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), ist als Freiwilliger im Osten des Landes. Er dient bei einem Bataillon, das nach dem kürzlich während der "Antiterroroperation" umgekommenen General Kulschitzky benannt ist. Seine Einheit untersteht offiziell der Nationalgarde. Schuchewitsch, der gerade auf Heimaturlaub in Kiew ist, spricht von rigider Disziplin in der Truppe. Wer nach Alkohol rieche, werde schon mal mit 50 Stockschlägen bestraft. Und natürlich misshandele man keine Gefangenen, es gebe auch keine Exekutionen, allerdings: Scharfschützen würden nicht gefangen genommen. "Snipers der Gegenseite, wenn man ihrer habhaft wird, werden erschossen."

Wem die anderen Gefangenen übergeben würden, das entscheide jeweils der Bataillons-Kommandant - entweder dem Geheimdienst oder speziellen Gruppen. Und auch ein Mitglied einer Kampfeinheit des Rechten Sektors berichtet, feindliche Scharfschützen würden gejagt und im Zweifel liquidiert.

Regierung verweist darauf, dass Cluster-Bomben auch von Separatisten stammen können

Tatsächlich sprechen beide Milizionäre nicht für die reguläre Armee. Aber mittlerweile wurden einige frühere Freiwilligen-Verbände, etwa das derzeit nahe Mariopol stationierte Asow-Bataillon, dem Innenministerium unterstellt, das es nach Angaben von Asow-Kämpfern auch ausrüstet. Hier kämpfen zahlreiche Rechtsradikale im Verbund mit Freiwilligen aus westlichen Ländern, so etwa der schwedische Scharfschütze Michael Skillt, der sich in sozialen Netzwerken seiner Attacken auf Separatisten rühmt und vor einem Nazi-Emblem posiert.

Letzten Berichten zufolge sind auch einige russische Freiwillige in den Krieg für die Ukraine gezogen; georgische und polnische Kämpfer sind schon länger da. Kampfverbände wie Asow oder Aidar, das dem Verteidigungsministerium untersteht, sind in der Ukraine bekannt dafür, dass sie brutaler kämpfen als andere Einheiten. Dass dies Kriegsverbrechen einschließt, wird dementiert.

Im Präsidialamt in Kiew und im Verteidigungsministerium legt man Wert darauf, dass die Cluster-Bomben laut HRW auch von den Separatisten eingesetzt worden sein könnten. Diese Möglichkeit steht nämlich auch im Bericht der Menschenrechtsorganisation. Von den Rebellen war dazu zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

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