Machtkampf in Ägypten:Parlament trotzt Militär und kommt zu Sitzung zusammen

Der Machtkampf zwischen dem ägyptischen Präsidenten Mursi und dem mächtigen Militärrat erreicht einen neuen Höhepunkt: Obwohl das Verfassungsgericht das Parlament aufgelöst hatte, kommen die Abgeordneten am Dienstag zu einer Sitzung zusammen. Nun soll ein Revisionsgericht über mögliche Neuwahlen entscheiden.

In Ägypten sucht das Parlament die offene Machtprobe mit dem Militär: Obwohl das Verfassungsgericht der Volksvertretung die Legitimität entzogen hatte, kamen die Abgeordneten am Dienstag zu einer Sitzung zusammen. Das Staatsfernsehen übertrug die Eröffnungsrede von Parlamentspräsident Saad al-Katatni. "Das Parlament kennt sehr genau seine Rechte und Pflichten", sagte er. "Ich betone, dass wir nicht im Widerspruch zu diesem Urteil stehen." Offen blieb, wie das Militär auf die Provokation reagieren würde.

Machtkampf in Ägypten: Das ägyptische Parlament trotzt dem Militär.

Das ägyptische Parlament trotzt dem Militär.

(Foto: AFP)

Das Parlament ist von islamistischen Kräften dominiert. Die Abgeordneten haben nun das Revisionsgericht aufgefordert, über mögliche Neuwahlen zu entscheiden. Sie folgten einem entsprechenden Vorschlag von al-Katatni. Die Parlamentarier aus dem linken und liberalen Spektrum blieben der Sitzung fern. Wie der neue Präsident Mohammed Mursi stammt auch al-Katatni von der einflussreichen Muslimbruderschaft. Der Machtkampf zwischen dem Militär und dem Lager der gemäßigten Islamisten hatte sich zuletzt verschärft.

Ägyptische Kommentatoren und Politiker hatte den Muslimbrüdern in den vergangenen Tagen vorgeworfen, sie respektierten die Justiz und das Prinzip der staatlichen Gewaltenteilung nicht. Al-Katatni betonte deshalb: Das Parlament respektiere das Urteil des Verfassungsgerichts. Es sei nur der Auffassung, dass es die Aufgabe des Revisionsgerichts sei, darüber zu entscheiden, wie dieses Urteil umgesetzt werden solle.

Mursi greift Autorität des Militärs an

So hatte Mursi am Wochenende erklärt, dass die Parlamentarier bis zu einer Neuwahl wieder zusammenkommen sollten. Damit griff er die Autorität des Militärs an, das nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts noch vor Mursis Wahl die Auflösung angeordnet hatte. Am Montag erklärte das Verfassungsgericht Mursis Dekret zur Wiedereinsetzung des Parlament dann für ungültig und warnte den Präsidenten, dass niemand über der Verfassung stehe. Der Gerichtshof sollte noch am Dienstag über mehrere Klagen gegen Mursis Vorgehen entscheiden.

Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich bei seinem Besuch in Ägypten zuversichtlich, dass eine Lösung des Konflikts möglich ist. Präsident Mursi habe erneut klar gemacht, dass er nicht die Entscheidung des Gerichts infrage stelle, sondern dass es um die Umsetzung des Urteils gehe. Westerwelle rief die Ägypter dazu auf, den Demokratisierungsprozess in ihrem Land fortzusetzen. "Deutschland ist auf dem Weg zur Demokratie ein Partner des ägyptischen Volkes." Er gehe davon aus, dass sich der Präsident für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pluralität einsetzen werde.

Vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts am Montag hatten Experten unterschiedliche Ansichten vertreten, was die Rechtmäßigkeit der Wiedereinsetzung des Parlaments durch Mursi betraf. Tharwat Badawi von der Universität Kairo vertrat im Gespräch mit der Zeitung Al-Ahram die Auffassung, dass der islamistische Präsident "als einzig gewählte Autorität im Lande" durchaus einen derartigen Beschluss fassen könne. Dem widersprach im Staatsfernsehen sein Kollege Mohammed al-Dhahabi, der das Dekret als "juristische Katastrophe und als Verstoß gegen juristische und verfassungsrechtliche Prinzipien" einstufte.

Das Verfassungsgericht hatte das Parlament Mitte Juni aufgelöst. Das Wahlgesetz sei verfassungswidrig und damit ein Drittel aller Parlamentssitze verfassungswidrig vergeben, teilten die Verfassungsrichter mit. Aus den über Monate hinweg laufenden Parlamentswahlen waren die Muslimbrüder als stärkste politische Kraft hervorgegangen. Die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Partei der Freiheit und Gerechtigkeit erhielt 47 Prozent der Stimme. Dahinter folgten die ultrakonservativen Salafisten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: