Leiharbeit in deutschen Meilern:"Auf eklige Art verheizt"

In deutschen Atomkraftwerken werden Tausende Leiharbeiter für gefährliche Aufgaben eingesetzt. Die SPD ist ebenso empört wie die Grünen - und warnt davor, die Gesundheit der Arbeitssuchenden zu gefährden. In der Union wittert man hingegen ein "populistisches Spiel" der Linken.

Oliver Das Gupta

Die im Bundestag vertretenen Parteien haben die Nachricht über den massiven Einsatz von Leiharbeitern in deutschen Kernkraftwerken unterschiedlich aufgenommen. Fachpolitiker von SPD und Grünen sprechen von einem Skandal, die FDP kündigt an, Betreiber von Kernkraftwerken zu der Causa konsultieren zu wollen.

Ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks Krümmel bei Geesthacht während Wartungsarbeiten neben dem Brennelemente-Lagerbecken und dem Flutraum mit dem geöffneten Reaktor.

Riskante Tätigkeit: Ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks Krümmel bei Geesthacht während Wartungsarbeiten neben dem Brennelemente-Lagerbecken und dem Flutraum mit dem geöffneten Reaktor.

(Foto: dpa)

In der Unionsfraktion blockt man ab und vermutet dahinter "reine Panikmache" der Linkspartei, die das Thema durch eine Anfrage an die Bundesregierung ins Rollen gebracht hatte. Und Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) betont lapidar: "Für eigenes und fremdes AKW-Personal gelten die gleichen Strahlenschutzvorschriften."

Zur Erinnerung: Die Süddeutsche Zeitung hatte berichtet, in Meilern würden zahlreiche Leiharbeiter für gefährliche Arbeiten eingesetzt. Diese Arbeiter seien einer deutlich höheren Strahlenbelastung ausgesetzt als Stammbeschäftigte, schrieb die SZ unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken.

Demnach wurden 2009 in den 17 deutschen Leichtwasserreaktoren knapp 6000 Mitarbeiter überwacht, die zum eigenen Personal zählten. Deutlich höher war mit mehr als 24.000 Menschen im selben Jahr die Zahl des überwachten Fremdpersonals, zu denen die Bundesregierung Leih- und Werkarbeiter zählt.

SPD-Expertin: Arbeitssuchende werden verheizt

"Die Zahlen untermauern, wie zynisch und profitgierig Betreiber und viele Leiharbeitsfirmen sind", sagt Anette Kramme zu sueddeutsche.de. Die arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion sieht dadurch Arbeitssuchende "auf besonders eklige Art verheizt". Eindringlich warnt Kramme davor, bei Atomkraftwerken am Personal zu sparen: "Wer hier billige Ungelernte einsetzt, gefährdet nicht nur deren Gesundheit, sondern die der gesamten Bevölkerung."

Sozialdemokratin Kramme spricht wie die Grünen von einem "Skandal". Beate Müller-Gemmecke, die Sprecherin für Arbeitnehmerrechte ihrer Fraktion, findet, der Fall zeige "wie Leiharbeit missbraucht wird": Die Betroffenen würden zu Beschäftigen zweiter Klasse degradiert.

Der SZ-Bericht löste auch bei den Liberalen Erstaunen aus: Er habe die Nachricht gar nicht glauben können, sagt Klaus Breil, der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion. "Wir gehen davon aus, dass in einem deutschen Kernkraftwerk dieselben Arbeitsstanddarsds für alle dort beschäftigen Mitarbeiter gelten", versichert Breil im Gespräch mit sueddeutsche.de. Er wolle bei den Betreibern nachhaken und sich vergewissern, ob diese Standards eingehalten werden.

Union schimpft über "Populismus" und "Panikmache"

Wie der für Reaktorsicherheit zuständige CDU-Minister Röttgen geht man in der Unionsfraktion davon aus, dass dieselben Normen für alle gelten. Bei CDU und CSU reagiert man verärgert und wittert eine Finte der Linken: Energiepolitiker Georg Nüßlein betont, dass in deutschen Meilern für alle Beschäftigten strenge Vorschriften gelten - und ist erbost: "Die Linken versuchen mit dieser Anfrage offenbar, das arbeitsmarktpolitische Instrument der Leiharbeit zu verunglimpfen", so der CSU-Politiker zu sueddeutsche.de. "Das ist ein durchsichtiges Spiel, das ich auf dieser populistischen Ebene nicht mitspiele." Nüßlein spricht von "reiner Panikmache".

Auch sein Fraktionskollege Karl Schiewerling von der CDU winkt ab: "Entscheidend ist nicht, ob es sich um Leiharbeiter oder Stammpersonal handelt." Für den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der Unionsfraktion ist "entscheidend, dass bei niemandem eine Gesundheitsgefährdung oder Überschreitung der Grenzwerte an Strahlenbelastung eintritt. Offensichtlich wird dies dem Bericht nach auch eingehalten."

Auf Gewerkschaftsseite hingegen ist man alarmiert: Verdi forderte die Atomkonzerne inzwischen auf, die generellen Arbeits- und Gesundheitsstandards auch auf Fremd- und Leiharbeitnehmer auszuweiten. Es könne nicht sein, dass diese Kollegen einem vielfachen Risiko ausgesetzt würden, sagte der Verdi-Fachgruppenleiter für Energie und Bergbau, Sven Bergelin, der Nachrichtenagentur AFP.

Der Verein Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) kritisierte die hohe Arbeitsbelastung der Fremdarbeiter, die mitunter Zehn-Stunden-Schichten in gefährlicher Umgebung verbrächten. Den Betroffenen werde "eine wahnsinnige Verantwortung" aufgebürdet, kritisierte der Strahlungsexperte Henrik Paulitz. Die bestehenden Strahlen-Grenzwerte wies Paulitz als "statistische Zufallsgröße" zurück, die ignoriere, dass Menschen unterschiedlich strahlensensibel seien.

Widerspruch gegen eine nicht gemachte Behauptung

Ein Sprecher des Stromkonzerns RWE sagte der Nachrichtenagentur dapd: "In unseren Kraftwerken gibt es bei den Arbeitnehmern keine Unterschiede. Hier gilt für unsere Mitarbeiter und die der Partnerfirmen: Arbeitssicherheit hat oberste Priorität."

Vom AKW-Betreiber Eon heißt es, die Strahlenschutzwerte seien in Deutschland gesetzlich vorgegeben, und zwar für alle strahlenexponierten Personen - egal ob Eigen-, Fremd- oder Leiharbeiter. Sie seien so gestaltet, "dass sie Gesundheitsrisiken vollständig ausschließen". Es werde in Deutschland lückenlos behördlich überwachst, dass die gesetzlichen Strahlenschutzwerte eingehalten würden.

Der vermeintliche Widerspruch der Atomkonzerne geht allerdings ins Leere: Aus dem SZ-Bericht war nicht hervorgegangen, dass sich die Strahlenschutzvorschriften von Festangestellten und Leiharbeitern unterscheiden.

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