Kretschmann beim Grünen-Parteitag:Der Gefeierte mit der Gebrauchsanleitung

Bundesparteitag Bündnis 90/Die Grünen

Gebührender Abstand: Jürgen Trittin (links) und Katrin Göring-Eckardt feiern Winfried Kretschmann.

(Foto: dpa)

Ist das harmonisch: Die Grünen beenden ihren Parteitag mit großen Luftballons, Musik und einer Rede von Winfried Kretschmann. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hatte die Parteispitze tagelang genervt. Jetzt feiern ihn die Grünen dafür, dass er den Streit in einen moralischen Sieg umdeutet.

Von Michael König, Berlin

Da stehen sie und himmeln ihn an. Links Jürgen Trittin, den Kopf geneigt, die Hände gefaltet wie bei Dürer. Rechts Katrin Göring-Eckardt, die Hände auf dem Rücken, wie im Kirchenchor. Das Spitzenduo der Grünen hält Abstand, wartet den Applaus ab, lächelt. Eine Minute, zwei Minuten, zweieinhalb Minuten.

In der Mitte steht Winfried Kretschmann und nimmt die Huldigung entgegen. Seine Vorredner sind geherzt worden und mit Geschenken überhäuft. Bei Kretschmann läuft das anders. Nicht einmal Parteichefin Claudia Roth startet einer ihrer berüchtigten Umarmungsattacken. Kretschmann ist der Unberührbare, Kretschmann ist nach Joschka Fischer der neue Heilige der Grünen.

"Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir blockieren nicht, wir gestalten. Wir treten in die Pedale, nicht auf die Bremse." Solche Sätze sagt Kretschmann. Pastorale Sätze ohne Feuer, ohne Wucht, aber die Grünen feiern ihn dafür.

Der Hype um den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg ist beinahe gespenstisch. Tagelang hat er die Grünen-Spitze gequält. Er schickte einen offenen Brief an die Parteizentrale, der Trittin zu einem Wutanfall animiert hat. Er legte im SZ-Interview nach und distanzierte sich vom Wahlprogramm seiner eigenen Partei. Zu viel Wirtschaftsfeindlichkeit, zu hoch die Steuern.

Viele Spitzengrüne waren sauer, nicht nur Trittin. Alle gegen Kretschmann, hieß es am Freitagabend. Als Boris Palmer, Kretschmanns Berater und Bruder im Geiste, am Samstag am Rednerpult stand, wurde er ausgebuht und ausgepfiffen, seine Anträge mit großer Mehrheit abgeschmettert.

Wie würde Kretschmann darauf reagieren, das war die Frage. Er macht es sich einfach. Kretschmann liefert eine Art Gebrauchsanleitung zu seiner Kritik nach. Er verkauft den Streit so, dass die Grünen am Ende als moralische Sieger dastehen, allen anderen Parteien überlegen:

"Ich habe jetzt oft genug gehört, dass das taktisch nicht klug war, was ich gemacht habe. Aber wenn wir Kontroversen haben, dann tragen wir das aus, statt uns wie die anderen in die Büsche zu schlagen.

Die Leute können uns vertrauen, denn wir täuschen nicht eine Geschlossenheit vor, sondern wir streiten und stellen sie dann her. Dann kann sich die Bürgerschaft darauf verlassen, das die Geschlossenheit da ist und nicht gleich wieder über die Wupper geht."

Ist das heuchlerisch? Das kann man so sehen, aber das tun die Grünen nicht, zumindest nicht öffentlich. Zwar bekommt Kretschmann weniger lauten Applaus als etwa Claudia Roth, die am Samstag die beste Rede dieses Parteitags gehalten hat. Dafür ist er länger, nachhaltiger.

Die Delegierten klatschen sogar, als Kretschmann von sich in der dritten Person Singular spricht: "Überall sieht man grüne Minister, und in Baden-Württemberg sogar einen grünen Ministerpräsidenten."

Kretschmann darf das. Alle freuen sich mit ihm, und die Parteitagsregie lässt zum Schluss riesige grüne Ballons in die Halle bringen. Die Grünen werfen sie in die Höhe, einer explodiert. Es gibt einen Knall, und was bleibt, ist heiße Luft.

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