Die Weihnachtszeit ist vorbei, manche Fragen an Christian Wulff sind geblieben. Der Bundespräsident mag glauben, er habe reinen Tisch gemacht, doch er hat zu viele Krümel übersehen. Die werden nun von den Medien zusammengetragen, Ergebnis offen. Dass die schwarz-gelbe Koalition fordert, die Debatte müsse enden, geschenkt. Dass aber eine FDP-Justizministerin das Argument vertritt, die Wahrnehmung von Grundrechten könne eine staatliche Institution beschädigen, ist bemerkenswert. Und was Wulff selbst geritten hat, sich schon im Dezember über Recherchen persönlich zu beschweren, bleibt einstweilen das Geheimnis des Bundespräsidenten.
Als Angela Merkel im Juni 2010 Wulff für das Amt vorschlug, nannte sie ihn einen "wunderbaren Kandidaten". Daraus ist mittlerweile ein wundersamer Präsident geworden. Wulff, sagte Merkel, sei einem "Wertesystem verhaftet, das Orientierung gibt". Die Orientierung, die Wulff nun in eigener Sache anbietet, ist aber nur von begrenztem Wert. Manche Antwort gibt es noch nicht. Manche Antwort wirft neue Fragen auf. Und manche Antwort verliert nicht allein schon dadurch ihre Wunderlichkeit, dass sie gegeben wurde. Dies gilt vor allem für die günstigen Konditionen von Wulffs Übergangskredit und für die zeitlichen Zusammenhänge zwischen medialen Recherchen und Wulffs Handeln.
Bittere Ironie
Die Nominierung Wulffs nach Horst Köhlers Rücktritt war eine machtpolitische Entscheidung Merkels. Die Ironie besteht darin, dass es nach dem Quereinsteiger Köhler wieder ein "richtiger" Politiker sein sollte - und dieser nun wegen eines mittlerweile von ihm selbst eingestandenen politischen Fehlers in Not geraten ist. Eines Fehlers übrigens, den Wulff erst bedauert hat, nachdem genau die Recherchen zu Berichten geworden waren, über die er sich beschwert hatte.
Ob die CDU-Vorsitzende Merkel jemals wirklich Vertrauen in die Person ihres einstigen Stellvertreters hatte, sei mal dahingestellt. Ganz sicher ist: Das "vollste Vertrauen", das Merkel nun dem Präsidenten ausgesprochen hat, meint keine Freundlichkeit - es formuliert eine Erwartung: Merkel vertraut darauf, dass Wulff die Dinge aufklärt, keineswegs darauf, dass es nichts aufzuklären gebe. Die Kanzlerin brauchte nicht erst den Fall Guttenberg, um Schlupflöcher zu schätzen, durch die sie entkommen kann, wenn andere trotz ihrer Unterstützung fallen. Merkels politisches Wertesystem gibt ihr da eine klare Orientierung.
Ein Rücktritt Wulffs wäre für die Kanzlerin Merkel unerfreulich, aber verkraftbar. Die Vorsicht der Opposition mag partiell dem Respekt vor dem Amt geschuldet sein, ganz gewiss aber der Sorge vor unkalkulierbaren Folgen im Falle eines Rücktritts. Wer immer aber von einer drohenden Staatskrise redet, hat womöglich zu wenig Vertrauen in eine Verfassung, deren Stärke gerade darin besteht, dass sie sich der Fehlbarkeit ihrer Amtsträger bisher noch stets gewachsen gezeigt hat.