Korruption in Spanien:Der Fluch von El Escorial

AZNAR-TOCHTER HEIRATET

Traumhochzeit oder lukrativer Geschäftstermin? Spaniens damaliger Premier José Maria Aznar mit Tochter Ana im Jahr 2002

(Foto: DPA/DPAWEB)

Es war eine Traumhochzeit: Nahe der Begräbnisstätte der spanischen Könige feierte der damalige spanische Premier Aznar 2002 die Hochzeit seiner Tochter. Immer mehr hochrangige Gäste des illustren Termins werden nun als korrupt überführt. Brautvater Aznar könnte der Nächste sein.

Von Thomas Urban, Madrid

Es ist keineswegs ein Dominikanerpater, der sich in seiner weißen Kutte unter die Demonstranten auf dem Platz vor dem Parlament in Madrid gemischt hat. Vielmehr handelt es sich um einen Papstdarsteller, auf seinem handgemalten Schild steht in großen Lettern: "Rajoy, tritt auch zurück!" Doch der Ministerpräsident hat schon in der vergangenen Woche erklärt, dass er nicht daran denke, sein Amt aufzugeben. "Ich habe nie Schwarzgeld angenommen", kommentierte er die nun aufgetauchten Listen, nach denen führende Politiker der konservativen Volkspartei (PP) viele Jahre lang aus einer schwarzen Kasse Geld in bar bekommen haben sollen.

Zumindest beschreibt dies in aller Ausführlichkeit die linksliberale Tageszeitung El País, die Kopien dieser handgeschriebenen Listen veröffentlicht hat. Nach Meinung von Grafologen hat sie der frühere PP-Schatzmeister Luis Bárcenas geführt. Der hatte außerdem 22 Millionen Euro ungeklärter Herkunft auf einem Konto in der Schweiz gebunkert, wie vor drei Wochen durch eine Mitteilung der Behörden dort bekannt wurde.

Mariano Rajoy schickte eine PP-Sprecherin vor, die erklärte, die Listen besagten nichts, jedermann hätte sie niederschreiben können. Für ihn spricht in den Augen mancher Kommentatoren, dass er nicht als Freund Bárcenas' galt, dass er ihn sogar vor vier Jahren dazu gedrängt hat, alle Parteiämter aufzugeben. Allerdings wurde nun bekannt, dass Bárcenas bis Ende 2012 weiter von der PP Gelder bezog, dass die Partei sogar seine Sozialversicherung übernommen hatte. Insgesamt hat sie ihm laut den Berichten 400.000 Euro überwiesen. "Schweigegeld?", wie nun die Madrider Presse fragt.

Klage wegen übler Nachrede

Der Ex-Schatzmeister gehörte zu den Gefolgsleuten des früheren PP-Chefs José Maria Aznar, der von 1996 bis 2004 Ministerpräsident war und weiterhin als graue Eminenz der Partei galt. Das "System Aznar" prägt Spanien dadurch bis heute. Doch soll es um seine Beziehungen zu dem einstigen politischen Weggefährten Rajoy seit Langem nicht zum Besten stehen.

Nun trat Aznar zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ins Rampenlicht. Er kündigte an, El País wegen übler Nachrede zu verklagen. Die Zeitung hatte berichtet, offenbar hätten in der Zeit, als er die PP führte, Unternehmer, vor allem aus der Baubranche, die schwarzen Kassen der Partei gefüllt, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Auch das konservative Konkurrenzblatt El Mundo, das bislang Stütze der PP war, hat sich auf Aznar eingeschossen. Über seine angeblichen Erfolge als Regierungschef urteilte es kühl: Die Folge seiner Politik sei, dass Spanien der Ruin droht.

Das System Aznar

In Aznars Amtszeit war das Bodenrecht liberalisiert worden, überdies befeuerten Steuervergünstigungen sowie die Zinspolitik der Regierung einen nie gekannten Bauboom. Aznar wurde international für dieses "Wirtschaftswunder" auf Pump gefeiert, sein Wirtschafts- und Finanzminister Rodrigo Rato stieg deswegen gar zum Chef des Internationalen Währungsfonds auf. Er sah schon eine goldene Zukunft Madrids als Finanzzentrum von Weltrang. Im ganzen Land flossen Milliarden in öffentliche Prestigebauten, Millionen Spanier nahmen Immobilienkredite auf. Als aber die Immobilienblase vor fünf Jahren platzte, regierte bereits der Sozialist José Luis Zapatero, der dann die Krise lange schlicht leugnete. Und Aznar erklärte ihn zum Schuldigen für das ganze Desaster.

Doch nicht nur die kurzsichtige Wirtschaftspolitik und die Beteiligung Spaniens am Irak-Krieg des damaligen US-Präsidenten George W. Bush werden Aznar heute angekreidet, sondern auch seine Großmannssucht. In einem Artikel unter der Überschrift "Der Fluch von El Escorial" wird Aznar als eitler Gockel vorgeführt, der nicht nur öffentliche Mittel für private Zwecke einsetzte, sondern sich auch mit Hofschranzen umgab. Nirgends trat das System Aznar so klar zu Tage wie 2002 in der Basilika des Klosters und Schlosses von El Escorial, der Begräbnisstätte der spanischen Könige. Dort fand die Hochzeit von Aznars damals 20 Jahre alten Tochter Ana mit dem Geschäftsmann Alejandro Agag statt.

Würdenträger als willige Statisten

Eingeladen waren 1100 Gäste, an der Spitze das Königspaar. Auch die Regierungschefs aus Portugal, Italien und Großbritannien, José Manuel Barroso, Silvio Berlusconi und Tony Blair, ließen sich die Ehre nicht nehmen, die Braut nach der Messe auf die Wange zu küssen. Das Paar hatte der Erzbischof von Madrid getraut. Mehrere Fernsehsender übertrugen die große Sause. Heute wundern sich die Kommentatoren, dass der kleine agile Aznar die Familienfeier ohne großen Widerstand zu einer "staatlichen Angelegenheit" erklären konnte - und dass alle Würdenträger, beginnend mit dem Königspaar, als Statisten offensichtlich gern dabei waren.

El Mundo beschreibt, dass viele Teilnehmer der Hochzeitsfeier der "Fluch von El Escorial" getroffen habe, beginnend mit König Juan Carlos, der wegen einer teuren Safari in Zeiten der Krise viel von seiner Beliebtheit eingebüßt hat und der sich außerdem mit der Finanzaffäre seines Schwiegersohnes Iñaki Urdangarin herumplagt. Auch Blair und Berlusconi seien bald nach der Feier vom politischen Glück verlassen worden. Und mit einigen der hochgestellten Gäste befassen sich heute Staatsanwälte und Richter; sie sollen in eine Affäre um Schmiergelder und Scheingeschäfte bei öffentlichen Bauaufträgen in mindestens dreistelliger Millionenhöhe verwickelt sein, die Behörden haben ihr das deutsche Codewort "Gürtel" gegeben. Denn zu den Gästen der Hochzeitsfeier gehörte auch der Unternehmer Francisco Correa (der Name bedeutet "Riemen" oder "Gürtel"), er soll der Kopf des korrupten Netzwerkes gewesen sein. Nach drei Jahren Untersuchungshaft kam er im vergangenen Sommer unter strengen Auflagen frei, vermutlich nur vorübergehend.

Rajoy Opfer eines Racheakts?

Gegen weitere Teilnehmer der Riesenparty von El Escorial, bei der Tausende Polizisten auf Kosten des Steuerzahlers zum Einsatz kamen, wird ermittelt. Der Regionalpräsident von Valencia, Francisco Camps, bislang einer der PP-Granden, musste 2011 wegen seiner Verwicklung in die Affäre zurücktreten. Camps hat die Finanzen seiner Region durch Protzbauten gründlich ruiniert - etwa ein riesiges Opernhaus, ein überdimensionales Wissenschafts- und Museumszentrum sowie einen bis heute nicht eröffneten Provinzflughafen, auf dem auch Jumbos landen könnten. Dem FC Valencia gestand er große Steuernachlässe zu, die Region übernahm die Bürgschaft für Kredite des Vereins - und nachdem dieser zahlungsunfähig geworden ist, hat sie für die exorbitanten Gehälter der Fußballer einzustehen.

Auch Rajoy und sein Finanzminister Cristóbal Montoro waren Gäste der Hochzeitsfeier. Werde sie der "Fluch von El Escorial" treffen, fragt ein Teil der Berichterstatter. Handelt es sich bei den Kopien der Listen, in denen Rajoys Name auftaucht, um einen Racheakt aus den eigenen Reihen? Auch darüber spekuliert die Presse in Madrid. Der frühere PP-Abgeordnete Jorge Trías hat angegeben, dass Rajoy die unter Aznar eingeführten Bargeldzahlungen an Mitglieder der Parteiführung abgestellt habe.

Und wer steckt hinter dem Kürzel "J. M."? An diese Person sind laut den Listen immer wieder größere Summen geflossen. Nur ein Mann kommt laut El Mundo dafür in Frage: José Maria Aznar. Das Blatt berichtete auch unter Berufung auf namentlich nicht genannte PP-Abgeordnete, dass Bárcenas noch mehr kompromittierendes Material in der Hinterhand habe. Er soll der PP-Führung gedroht haben, wenn sie nicht alle Hebel in Bewegung setze, um einen Prozess gegen ihn zu blockieren, könne er eine "Atombombe" explodieren lassen.

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