Kopfpauschale gestoppt:CSU: Schicksalstage der Regierung Merkel

"Entscheidend ist nicht der Koalitionsfrieden": Die CSU zerpflückt die Gesundheitsreform von FDP-Minister Rösler - und erntet Widerspruch aus der Unionsfraktion im Bundestag.

Mike Szymanski und Oliver Das Gupta

Bis spät in die Nacht sitzt Horst Seehofer am Dienstag mit seinen Gesundheitsexperten in der Münchner Staatskanzlei. Es wird viel gerechnet, viel diskutiert. Dann, ganz am Ende, greift Seehofer zum Telefon und informiert Kanzlerin Angela Merkel schon einmal vorab. Aus München droht Ärger.

Treffen Seehofer - Rösler

Opponenten in Sachen Kopfpauschale: Gesundheitsminister Rösler (li., FDP) und CSU-Chef Seehofer

(Foto: dpa)

Auch Philipp Röslers neues Konzept für eine Gesundheitsreform fällt bei der CSU durch. Seehofer will die Kopfpauschale, die der liberale Bundesgesundheitsminister einführen will, genauso wenig wie den nach Einkommen abgestuften Beitragssatz. In dieser Nacht hat die CSU begonnen, das neben Steuersenkungen zweite wichtige Projekt der FDP zu begraben.

Als hätte die Kanzlerin nicht schon genug Probleme. Jetzt reizt CSU-Chef Seehofer den Koalitionspartner aufs Äußerste. Ohne Zustimmung der CSU dürfte sich auch Angela Merkel schwertun, die Reform mitzutragen. Rösler war am Montag eigens nach München gereist, um persönlich bei Seehofer für seine Ideen zu werben. Merkel hatte noch ausrichten lassen, sie erwarte sich "gute Klärungen". Überhaupt nichts hatte sich geklärt.

Am Mittwochvormittag holt sich Seehofer für die Ablehnung die Zustimmung im CSU-Präsidium. In dem Gremium ist man sich schnell einig. Gegen Mittag schickt Seehofer seinen Gesundheitsminister Markus Söder vor die Presse, es ist ein kurzes Statement. "Wir werden den Vorschlag von Philipp Rösler nicht mittragen", sagt der CSU-Politiker. Man habe lange geprüft und sich viel Zeit genommen. "Es funktioniert in der Praxis nicht."

Es ist aber nicht nur ein einfaches Nein aus Bayern. Söder rechnet mit Röslers Konzept regelrecht ab: Die Kopfpauschale verstoße gegen das "soziale Gerechtigkeitsempfinden", die sechs neuen Tarifstufen, durch die Rösler den bisherigen einheitlichen Beitragssatz ersetzen will, mache "Millionen Menschen zu Bittstellern". Zudem sei es bürokratisch kaum umzusetzen.

Grundsätzliches von Söder

Und dann wird Söder noch sehr grundsätzlich: Weil Rösler die Mittelschicht sogar mehr als bisher belaste, verstoße das Konzept gegen die Grundphilosophie der Koalition. "Nach acht Monaten Arbeit hatten wir gehofft, dass man mehr Vorschläge machen kann als dies", ätzt Söder. Dieses "parteipolitische Prestigeprojekt" sei jedenfalls keine Lösung.

Solche scharfen Attacken erwartet man eigentlich sonst nur von der Opposition. Als Söder gefragt wird, ob er denn nicht angesichts der vielen Probleme lieber Rücksicht auf die Koalition nehmen sollte, erklärt er lapidar: "Entscheidend ist nicht der Koalitionsfrieden. Wir brauchen eine gute Lösung für die Zukunft." Die Koalition in Berlin erlebe in diesen Wochen ihre Bewährungsprobe. Von "Schicksalstagen" spricht Söder sogar. Höher kann er den Streit gar nicht hängen.

Nicht nur die Christsozialen in München, auch der Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion im Bundestag stellt sich gegen die Pläne des FDP-Gesundheitsministers. "Man hätte versuchen müssen, über Einsparungen mehr zu erreichen", sagte der stellvertretende Unionsfraktionschef und Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, Michael Fuchs, der Financial Times Deutschland. Stattdessen wolle Rösler jetzt die Arbeitgeberbeiträge erhöhen.

CDU-Gesundheitsexperte Spahn: Reform ist Chance für Schwarz-Gelb

Die FDP reagierte inzwischen auf die mitunter harschen Töne aus der Union. Als erste Liberale meldeten sich ausgerechnet die Polit-Partner von CSU-Chef Seehofer im Freistaat zu Wort. Thomas Hacker, FDP-Fraktionschef im Bayerischen Landtag, griff den Mitkoalitionär direkt an: "Die CSU lernt offenbar nicht dazu, dass Verträge wie der Koalitionsvertrag einzuhalten sind und dass man gemeinsame Projekte nicht einseitig aufkündigen kann", schimpfte Hacker. Eindringlich warnte er davor, "das taktische Spiel aus der Zeit vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen fortzusetzen". So könne man das Vertrauen der Bevölkerung nicht gewinnen.

Mildere Töne kamen aus der Berliner Parteizentrale der Freidemokraten. FDP-Generalsekretär Christian Lindner erklärte in einer kurzen Pressemitteilung, man wolle die Gesundheitsversorgung krisenfest machen. Die Menschen erwarteten eine "fundierte Debatte und nicht reflexhafte Ablehnung", so Lindner in Richtung München. "Die CSU muss erkennen, dass sie eine Verantwortung über bayerische Regionalinteressen hinaus hat."

Der Gesundheitsminister nahm bislang nicht selbst Stellung zu der Causa, wohl aber sein Amt: Ministeriumssprecher Christian Lipicki sagte zu sueddeutsche.de, Röslers Modell sei stabil, gerecht und transparent. "Wer das Konzept ablehnt, sollte in der Lage sein, selbst konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen."

"Es fällt kein Geld vom Himmel - das weiß auch die CSU"

Immerhin bekam Rösler gefühlten Zuspruch aus der Union, vom gesundheitspolitischen Sprecher der CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag, Jens Spahn: "Den Vorschlag von Minister Rösler werden wir in der Unionsfraktion konstruktiv prüfen und offene Punkte diskutieren", sagte Spahn zu sueddeutsche.de. Dem schwelenden Streit kann er sogar etwas abgewinnen: "Ich bin froh, dass die Debatte zur Gesundheitsreform jetzt konkret wird".

Spahn kritisierte das schroffe Abkanzeln von Röslers Model in München: "Wer den Vorschlag vorschnell pauschal ablehnt, muss sagen, wo das fehlende Geld stattdessen herkommen soll". Nichts tun sei keine Alternative, warnte der Gesundheitsexperte, dafür sei das Defizit im kommenden Jahr zu groß. "Und es wird auch kein Geld vom Himmel fallen. Das weiß auch die CSU."

Der Christdemokrat unterstrich, dass die Gesundheitsreform eines der zentralen Themen der schwarz-gelben Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel sei. Während die CSU von "Schicksalstagen" der Regierung spricht, sieht Spahn auf dem Feld der Gesundheitspolitik eine Möglichkeit für Schwarz-Gelb, sich positiv in Szene zu setzen. "In der aktuell nicht leichten Lage" enthalte das Thema die "Chance, Handlungsfähigkeit zu beweisen".

Er rate allen Beteiligten, gelassen und konstruktiv in die Beratungen zu gehen, sagte Jens Spahn. Es brauche den "ersthaften Willen aller Beteiligten, zeitnah zu einer umsetzbaren Lösung zu kommen."

Dieser Appell galt wohl weniger der FDP, als CSU-Chef Seehofer und seinem forschen Gesundheitsminister.

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