Konservative Verschwörung gegen Brandt:Agenten, Verräter und andere Berufene

Willy Brandt bei der Vereidigung zum Bundeskanzler, 1969

Willy Brandt am 21. Oktober 1969 bei der Vereidigung zum Bundeskanzler im Bundestag in Bonn.

(Foto: DPA)

Betrieb die Union einen eigenen alternativen Geheimdienst? Eine Politikwissenschaftlerin hat aus jahrzehntealten Akten eine kleine Sensation geschöpft: 1969 konspirierten Politiker der CDU und der CSU, um den gerade zum Bundeskanzler gewählten Willy Brandt wieder zu stürzen.

Von Willi Winkler

Anders als die Menschen sind Akten unsterblich. Sie vergilben, sie werden vom Umpacken brüchig, die Schrift verblasst, die Löcher, die das kleine "a" der alten Schreibmaschinen markiert hat, fallen irgendwann aus der Seite, Millionen Blätter verschimmeln, verbrennen, und ein paar werden in der Not vielleicht auch aufgegessen, aber die schiere Masse überlebt. Sie überlebt jeden Krieg und jeden Regierungswechsel. Denn Akten sind der Arbeitsnachweis der Bürokratie. Eher scheiden die Beamten aus dem Leben als diese unscheinbaren Dokumente auf mehr oder weniger holzfreiem Papier.

Aus den unsterblichen Akten hat die Politikwissenschaftlerin Stefanie Waske eine kleine Sensation geschöpft, die in der Zeit von diesem Donnerstag bekannt gemacht wird: Politiker der CDU und der CSU konspirierten 1969, um den eben zum Bundeskanzler gewählten Willy Brandt wieder zu stürzen. Sie begnügten sich nicht mit radikalen Sprüchen an Provinzstammtischen, sondern bastelten, so Stefanie Waske, einen eigenen Geheimdienst zusammen, der weltweit Informationen sammelte, mit denen Politiker und Sympathisanten von CDU und CSU versorgt wurden mit dem Ziel, die sozialliberale Koalition aus dem Amt zu jagen. Das war aber gar nicht einfach.

Die Bundestagswahl 1969 hatte keinen ganz unerwarteten, aber für die CDU/CSU recht unerfreulichen Ausgang genommen. Knapp drei Jahre hatte eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD regiert, an der Spitze Bundeskanzler Kiesinger, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, und Willy Brandt, der Widerstandskämpfer und Emigrant. Schon seit der Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 hatte sich abgezeichnet, dass die FDP, einst Auffangbecken für arbeitslose Berufssoldaten und andere Ewiggestrige, sich weg von der konservativen, noch immer vom Schatten Konrad Adenauers beherrschten CDU/CSU, nach links, hin zur SPD orientieren würde. Sie verlor deshalb einen großen Teil ihrer Wähler. Doch brachten es SPD und FDP am Ende auf eine knappe Mehrheit von acht Abgeordneten. Wahlentscheidend war womöglich das knappe Abschneiden der NPD; ihre 4,3 Prozent fehlten der Union.

Der amerikanische Metternich Henry Kissinger tröstete seinen Fast-Namensvetter Kiesinger deshalb mit dem machiavellistischen Satz: "Du hättest mehr - oder weniger NPD gebraucht." Demokratie und freie Wahlen hin oder her - die Kränkung, dass nach zwanzig Jahren Unionsherrschaft eine SPD-geführte Regierung das Land übernehmen sollte, war bei den Konservativen nicht so leicht zu verwinden. Es gibt Hinweise darauf, dass die CDU/CSU, dass namentlich der ebenso machthungrige wie glücklose Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel Hilfe beim großen Bruder suchte. Barzel reiste schon im Herbst 1969 nach Washington, um sich mit dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und dessen Sicherheitsberater Henry Kissinger über die Lage und vor allem darüber zu sprechen, wie die eben installierte sozialliberale Koalition wieder ausgehebelt werden könnte.

Kein Kommentar von CDU und CSU

Stefanie Waske hat nicht wenige Belege dafür zusammengetragen, dass Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, der Großvater des namensgleichen kurzzeitigen Verteidigungsministers, zusammen mit einem anderen Freiherrn, nämlich Hans Christoph von Stauffenberg, nach der Niederlage von 1969 eine Art Nebengeheimdienst aufbaute. So hat Frau Waske eine nicht näher spezifizierte "Aufzeichnung" gefunden, wonach sich Kiesinger, Franz Josef Strauß, Guttenberg und der notorische Hans Globke im Herbst 1969 zur "Gründung eines Informationsdienstes für die Opposition" verabredeten. Da traf es sich gut, dass Stauffenberg bereits für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hatte und sich deshalb im klandestinen Gewerbe auskannte. Die Verbindung mit einem weiteren Adeligen, dem Prinzen Casimir von Sayn-Wittgenstein, der Jahrzehnte später in der CDU-Spendenaffäre als besonders geriebener Gauner groß herauskommen sollte, erwies sich als vorteilhaft, denn der alternative Dienst wollte finanziert sein. Der Prinz sorgte für die nötigen Spenden; woher sie stammten, weiß Die Zeit leider nicht anzugeben. Umso deutlicher die Herkunft weiterer Drittmittel: Sie wurden von dem BND-Abteilungsleiter Hans Langemann zu einem großen Teil bei seinem Arbeitgeber abgezweigt.

Während Brandt und sein Außenminister Walter Scheel die Aussöhnung mit dem Osten anstrebten, was im Amerikanischen bald mit einem deutschen Lehnwort "Realpolitik" hieß, sabotierte die Aristokraten-Fronde die Entspannungspolitik nach Kräften. Informanten mit Decknamen wie "Petrus" oder "Hervier" versorgten die Dunkelmänner mit Informationen, sodass über gewogene Blätter wie (die damals noch existierende) Quick oder Bild beispielsweise Geheimpapiere veröffentlicht werden konnten. Kissinger, selber auf dem Weg zum Entspannungspolitiker, mahnte diplomatisch zur Vorsicht: "Es mag möglich sein, die gegenwärtige Regierung zu stürzen, offen bleibt aber, ob hierfür nicht Risiken eingehandelt werden, die eine CDU/CSU-Regierung in größte Schwierigkeiten bringen kann (sic!)."

Die Zeit und Stefanie Waske haben der journalistischen Sorgfaltspflicht genügt und ihre Erkenntnisse CDU und CSU vorgelegt. Dort sei der Sachverhalt unbekannt hieß es, und natürlich: "Kein Kommentar." Auch Henry Kissinger, der gewiss mehr weiß, will nichts davon wissen.

Ganz taufrisch ist die Geschichte dennoch nicht. Erich Schmidt-Eenbohm erwähnt in seinem Buch "Undercover" (1998 erschienen), das sich dabei ebenfalls auf das Langemann-Protokoll stützt, dass Guttenberg beim BND in den Sechzigerjahren als Sonderverbindung "Drucker" beziehungsweise "Schriftsetzer" geführt wurde. "Gefüttert mit Insiderwissen aus Pullach (dem Sitz des BND) gab der CSU-Mann jahrelang einen Hintergrunddienst für konservative Medien und Parteifreunde heraus." Details hat die Zeitschrift konkret (wie auch von Frau Waske erwähnt) bereits vor dreißig Jahren veröffentlicht.

Bezahlte Springer die Anzeigenkampagne gegen die Regierung Brandt?

So schön unheimlich sich die Geschichte liest, sie ist doch ein bisschen schmalbrüstig. Das liegt schon daran, dass es sehr schwierig ist, das Klima der frühen Siebzigerjahre in der Bundesrepublik zu rekonstruieren. So hatte Kiesinger schon zu Zeiten der Großen Koalition Brandts Sonderbeauftragten Egon Bahr vom BND überwachen lassen. In der CDU galt Guttenberg grundsätzlich als Verräter, weil er nicht bloß verwandtschaftlich den Attentätern vom 20. Juli 1944 nahestand, sondern selber, in britischer Kriegsgefangenschaft, beim Soldatensender Calais Propaganda gegen die deutsche Wehrmacht betrieben hatte. Der CSU-Vorsitzende und ehemalige Oberleutnant Strauß wollte ihn aus der Partei geworfen haben, weil er mit dem Segen Adenauers, aber ohne den von Strauß, Ende 1961 Koalitionsverhandlungen mit Herbert Wehner von der SPD aufgenommen hatte. Guttenberg selber sparte nicht mit Koseworten und erklärte über seinen großen Vorsitzenden: "Es ist der gleiche Typ, der uns tausend Jahre regiert hat."

Bis heute ist hingegen nicht vollständig erforscht, wer der CDU/CSU im Wahlkampfjahr 1972 die Anzeigenkampagne gegen die bedrängte Regierung Brandt bezahlte. War es der Springer-Verlag? Schließlich bekämpfte Axel Springer mit seiner geballten Zeitungsmacht den ehemaligen Berliner Regierenden Bürgermeister, der für seine Begriffe Deutschland an den Osten verriet. Oder war es die Industrie, die allen Ernstes die Verstaatlichung ihrer Fabriken und der Banken gleich dazu befürchtete? Ebenso wenig ist geklärt, wer mit welchem Geld dafür sorgte, dass Barzels Misstrauensvotum gegen Brandt scheiterte. War es nur die Stasi? War es nicht auch der KGB? Und warum wusste der Guttenberg-Stauffenberg'sche Geheimdienst nichts davon?

Am 27. Mai 1970 hielt der Abgeordnete Guttenberg vor dem Bundestag seine letzte Rede. Wieder warnte er vor dem "Anerkennungskurs" der Regierung Brandt/ Scheel, der dazu führen würde, dass die "Sowjetunion ihre Vorherrschaft über ganz Europa gewinnen kann". Die einstündige Rede hatte den bereits sterbenskranken Guttenberg so erschöpft, dass er sich auf dem Weg zurück an seinen Platz stützen lassen musste.

Zu den wenigen Pointen, die die westdeutsche Parlamentsgeschichte bereithält, gehört das Detail, dass einer der beiden hilfsbereiten Männer (der andere war Barzel) Leo Wagner war, der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU. Dieser Wagner arbeitete, wie viel später bekannt wurde, für die DDR-Staatssicherheit und verhinderte zwei Jahre später mit seiner Stimme, dass Willy Brandt gestürzt und Rainer Barzel an seiner Stelle zum Bundeskanzler gewählt wurde. Es gibt nicht nur Geheimdienste, sondern auch noch eine Gerechtigkeit in der Welt.

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