Kommunistische Partei:China, das Reich der Gerontokraten

Der einzige Ausweg für China ist die Reform des politischen Systems. Wenn sich ein Land mit einem solchen Potenzial von der Tyrannei des Kommunismus befreien kann, wird das die Welt verändern. Doch die Entscheidungsgewalt liegt in der Hand von Chinas Oligarchie plus seiner Gerontokratie.

Wei Jingsheng

Der 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) erregt weltweit fast so viel Aufmerksamkeit wie die US-Präsidentschaftswahl. Viele denken, dass diese beiden Anlässe das Schicksal der Menschheit entscheiden werden. Ob die USA zu alter Stärke zurückfinden können, ist selbstverständlich sehr wichtig. Aber warum plötzlich auch China?

China, das letzte und größte kommunistische Land der Welt, steht an einem Wendepunkt. Wie die Sowjetunion vor 20 Jahren müsste es sich komplett verändern. In China lebt die größte Bevölkerung der Welt. Das Land ist mittlerweile die zweitgrößte Volkswirtschaft. Und was seine militärische Stärke betrifft, steht China auf Rang drei der Welt. Wenn sich ein Land mit einem solchen Potenzial von der Tyrannei des kommunistischen Systems befreien kann, wird das die Welt auf geradezu revolutionäre Weise politisch und wirtschaftlich verändern, ja verbessern.

Höchste Alarmstufe

Chinas derzeit halbstaatliche Wirtschaft ist nicht auf Dauer angelegt. Das Land hat zwei Optionen: Entweder macht die Regierung daraus eine echte Marktwirtschaft - dann könnte die stetige positive Wirtschaftsentwicklung weitergehen. Oder der Staatsanteil an der Wirtschaft wird wieder ausgeweitet - mit dem Ergebnis, dass wir, wie früher, eine von der Kommunistischen Partei gelenkte Wirtschaft vorfänden. Im ersten Fall wird die Einparteienherrschaft der KPCh irgendwann zusammenbrechen.

Das zweite Szenario dagegen beschreibt, was das kommunistische Regime im vergangenen Jahrzehnt getan hat. Dies aber wird ganz sicher in den Niedergang der chinesischen Wirtschaft münden. Ohnehin hat der Gini-Koeffizient Chinas, der die ungleiche Verteilung der Ressourcen in einem Land abbildet, bereits den Wert von 0,4 überschritten - das bedeutet höchste Alarmstufe. Diese Ungerechtigkeit könnte zur Revolution führen. In den vergangenen zweitausend Jahren chinesischer Geschichte wurden alle Dynastien gestürzt, weil der Wohlstand zu ungleich verteilt war. Und eine Revolution würde ebenfalls den Zusammenbruch der Einparteienherrschaft bedeuten.

Eine ganze Reihe von Mitgliedern der Kommunistischen Partei ist sich dieser Gefahr bewusst. Genauso wie der Durchschnittschinese hoffen diese Parteimitglieder auf eine Reform des politischen Systems. Das ist der einzige Ausweg für China. Es ist auch der einzige Grund, warum die Menschen diesen Parteikongress so genau verfolgen. Einige Leute innerhalb der neuen Generation der kollektiven Führung lassen sie wissen, dass sie bereit zu Reformen sind. Der scheidende Premierminister Wen Jiabao gehört dazu. Aber auch andere - zum Beispiel der neue rechte Flügel der Partei oder die sogenannte "Bruderschaft der Yan'an-Kinder". Selbst erklärte Linke tun das, Sima Nan zum Beispiel und der Autor und Professor Kong Qingdong; dann wiederum Rechte wie der ehemalige Banker Qin Xiao.

Tatsächlich wartet fast jeder darauf, dass das politische System reformiert wird. Diese Reform muss viele Interessen zusammenbinden. Viele reiche und mächtige Menschen werden dadurch an Macht und Geld verlieren, viele arme Menschen werden profitieren und ihre Menschenrechte gesichert sehen. Diese politische Reform wird daher vor allem die Unterstützung der Armen haben - die Reichen dagegen werden Widerstand leisten.

Die Armen haben keinen Einfluss

In China ist die Zahl der Armen sehr groß, und doch haben sie keinen Einfluss. Ja: Ironischerweise haben im sich kommunistisch nennenden China die Massen fast keinerlei Entscheidungsgewalt. Sogar die Tausenden Vertreter der Kommunistischen Partei in Peking haben nur minimalen Einfluss. Denn die wahre Macht liegt in den Händen einiger weniger hundert amtierender und ehemaliger Mitglieder des Zentralkomittees der Kommunistischen Partei oder, wie es auch oft genannt wird, in der Hand von Chinas Oligarchie plus seiner Gerontokratie.

Das ständige Komittee des KPCh-Politbüros - die Oligarchie - entscheidet über fast alle wichtigen Themen. Die alten Männer - der ehemalige Parteichef Jiang Zemin, Ex-Premier Zhu Rongji oder die lang gedienten Qiao Shi und Li Ruihuan - sind bei diesen Entscheidungen involviert. Sie, die Georontokraten, wie die Chinesen sie nennen, beteiligen sich noch heute aktiv an den Entscheidungen über die künftige politische Linie und über die Besetzung neuer Posten auf höchsten Ebenen.

Vom ersten Tag des Kongresses an konnte man schon erkennen, dass die Situation verfahren ist. Die alten Mitglieder der Kommunistischen Partei tragen ihre Köpfe hoch erhoben und straffen ihre Schultern wie zum Kampf, während sie durch die Reihen des Kongresses und in der Geschichte vorangehen. Ihre politischen Berichte legten den Ton fest, den die nachfolgenden Oligarchen zu singen haben: Weder sollt ihr zum linksgerichteten Kommunismus Mao Zedongs zurückkehren - das überhaupt zu insinuieren ist ohnehin totaler Unsinn, weil ja jeder weiß, dass das gar nicht mehr möglich ist. Aber ihr sollt auch nicht auf die ins Verderben führende Straße einbiegen, die China zu einer Demokratie machen würde. In anderen Worten: Das Riesenschiff Titanic soll die bewährte Route Richtung Eisberg nehmen, der schon am Horizont zu erkennen ist.

Kaltes Wasser über alle Reformwilligen

Aber der politische Bericht kann ohnehin vernachlässigt werden. Er wurde zwar viel beachtet, aber er goss eigentlich nur kaltes Wasser über alle Reformwilligen. Seine eigentliche Bedeutung liegt tatsächlich nur darin, dass die Kader verkündeten, nicht vom Weg abzuweichen.

Doch die Geschichte wartet immer mit Umständen auf, die sich plötzlich verändern, sie ist geprägt vom Auf und Ab. Viele setzen ihre Hoffnungen in die neue Generation der Partei und wünschen sich, dass sie ihre Versprechungen an die alten Tyrannen in den Mülleimer kippt, nachdem sie tatsächlich an die Macht gekommen ist. In der Sowjetunion haben das Nikita Chruschtschow und Michail Gorbatschow getan. In China taten es Deng Xiaoping und Hua Guofeng. Und auch im alten China gibt es viele solcher Geschichten. Kaiserin Wu Zetian, die in der Tang-Dynastie (618-907 n.Chr.) lebte, zum Beispiel reformierte das alte System, nachdem sie als Frau gegen heftige Widerstände den Thron bestiegen und sogar eine neue Dynastie gegründet hatte.

Wie viele Menschen hege auch ich die Hoffnung auf eine Reform. Allerdings sehe ich noch einen weiteren großen Stolperstein dafür, dass sie Wirklichkeit wird: Die mächtigen Demokratien dieser Erde wollen Chinas billige Arbeitskräfte nicht verlieren. Das erschwert die Demokratisierung Chinas. Und verlängert das Leid von fast einem Viertel der Menschheit.

Wei Jingsheng, 62, wandelte sich vom Maoisten zum Kritiker des Systems. Insgesamt saß er 15 Jahre in chinesischen Gefängnissen. Seit 1997 lebt er in den USA.

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