Katastrophe in Japan: Atom-Debatte im Bundestag:Merkels märchenhaftes Moratorium

Die Kanzlerin gerät in Erklärungsnot. Angela Merkel weicht im Bundestag jeder Festlegung aus, was ihr AKW-Moratorium genau bedeutet - gut möglich, dass in drei Monaten einige Altreaktoren wieder anlaufen.

Thorsten Denkler, Berlin

Sie hätte es in der Hand gehabt. Angela Merkel hätte die harte Konfrontation mit der Opposition über die Zukunft der Atomenergie an diesem Donnerstag beenden können. Hätte. Sie hat es nicht getan.

"Herr Oppermann", sagt die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung zum Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Bundestag, "ich danke Ihnen für das Angebot, mit uns gemeinsam ein Abschaltgesetz zu beschließen." Dann ergänzt sie, sie finde, "dass wir dieses Angebot nicht anzunehmen brauchen".

Thomas Oppermann war am Mittwoch vorgeprescht. Er bezweifelt, dass das von Merkel verkündete Moratorium für die schwarz-gelbe AKW-Laufzeitverlängerung juristisch sauber ist. Und nicht nur Oppermann denkt so. Auch der CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder, Bruder des Unions-Fraktionschefs Volker Kauder, hält ein Gesetz für geboten. Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hält Merkels Vorgehen gar für verfassungswidrig.

Merkel wollte Entschlossenheit zeigen, als sie am Montag im Lichte der japanischen Katastrophe das Moratorium ankündigte. Drei Monate lang soll auf Grundlage des rot-grünen Atomausstiegs geprüft werden, ob die deutschen Reaktoren sicher sind. Ältere Meiler müssten dafür abgeschaltet werden, "sonst wäre das ja kein Moratorium", sagte Merkel.

Sollte die Kanzlerin bei dieser Entscheidung juristische Berater gehabt haben, dürfte sie diese inzwischen verfluchen. Denn inzwischen ist klar, dass beim Moratorium nichts klar ist.

Deal oder kein Deal?

Merkel verheddert sich an diesem Donnerstag im juristischen Klein-Klein beim Versuch, ihren Standpunkt zu erklären. Sie zitiert Paragraphen aus dem Atomgesetz, versucht die Abschaltung der acht ältesten Atomreaktoren als "aufsichtsrechtliche Maßnahme" hinzustellen. Am Mittwoch hatte sie die Entscheidung noch als "politische Erklärung" hingestellt. Die Opposition quittiert das Hin und Her mit lauten Zwischenrufen, irgendwann reicht es Merkel. "Hören Sie doch mal zu", ruft sie. Und: "Jetzt rede ich." Nur dringt sie kaum durch.

Sie fordert, sich jetzt nicht gegenseitig der juristischen Trickserei zu bezichtigen. Bleibt die Frage, wer da wen bezichtigt. Siegfried Kauder jedenfalls, Jurist und Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, sieht die Sache so: Nach der von Merkel gewählten Rechtsgrundlage im Atomgesetz müsse eine konkrete Gefahr von einem deutschen Atomkraftwerk ausgehen, um es vorläufig abschalten zu können. Also zum Beispiel, wenn Radioaktivität austritt. "Das ist in Deutschland nicht der Fall. Deshalb ist ein Aufhebungsgesetz, wenn man die Kernkraftwerke stilllegen will, unumgänglich."

Merkel verwahrt sich gegen diese Ansicht - und geht damit auf Risiko. Die Süddeutsche Zeitung hat erfahren, dass sie durchaus mit Klagen der Atomkraftwerksbetreiber zu rechnen hat. Die Stromkonzerne müssen einen solchen Schritt sogar erwägen, wenn sie ihren Aktionären gerecht werden wollen. Allerdings haben die Betreiber vier Wochen Zeit, gegen mögliche Stilllegungsbescheide Einspruch einzulegen. Das würde reichen, um die Sache bis nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hinauszuzögern.

"Dann haben Sie einen Deal gemacht"

Um Klagen zu entgehen, könnte Merkel auch einen Deal mit den Kraftwerksbetreibern eingehen. Genau den aber hat sie im Bundestag ausgeschlossen. SPD-Chef Sigmar Gabriel will sie nun darauf festnageln. Er will die "Rechtsakte" sehen, die dem Moratorium zu Grunde liegen. Wenn es diese gebe und sich die Atomwirtschaft darauf einlasse, dann sei "Historisches erreicht", sagt er. Dann würde die Atomwirtschaft zugeben, "dass von sieben ihrer Meiler eine Gefahr für Leib und Leben ausgeht". Wenn das aber nicht der Fall ist, habe man "einen Deal gemacht".

Bundestag - Merkel

Bei dem Versuch, ihren Standpunkt zu klären, verheddert sich Angela Merkel im Bundestag im juristischen Klein-Klein. Die Kanzlerin begibt sich ohne Not auf dünnes Eis.

(Foto: dpa)

Die Frage ist ohnehin, was nach dem Drei-Monats-Moratorium mit den Altreaktoren geschieht, die jetzt vorläufig abgeschaltet werden.

Merkel hat den Eindruck erweckt, alles werde durch die Katastrophe von Fukushima-1 anders. Das könnte sich als schönes Märchen herausstellen. Wer die Reden von Volker Kauder und seiner FDP-Amtskollegin Birgit Homburger gehört hat, kann kaum glauben, dass alle Kraftwerke abgeschaltet bleiben.

Volker Kauder, Fraktionschef der Unionsfraktion, hat sich am Montag noch damit hervorgetan, dass er morgens jede Änderung an den Laufzeitverlängerungen ausschloss. Dann hat ihn die real existierende Angela überholt. Jetzt sei es "natürlich völlig klar, dass man sich die Frage stellt: Wie geht es weiter?", sagte er. Die Regierung nehme es "ernst mit der Überprüfung". Das meint er wohl wörtlich. Denn die von Merkel verordnete "Denkpause, das Moratorium, also die Denkpause", wie Kauder es zur Belustigung einiger im Bundestag formuliert, könne er nur dann ernst meinen, "wenn ich nicht schon zum Start weiß, was am Ende herauskommt". Er findet ohnehin, "dass wir jetzt schon die sichersten Kernkraftwerke haben". Der alles entlarvende Satz lautet: "Sicherheit hängt nicht vom Alter der Kernkraftwerke ab."

Warum werden dann jetzt ausgerechnet die acht ältesten Meiler vorübergehend vom Netz genommen?

Dazu sagt Kauder: nichts.

Homburger war früher Umweltpolitikerin und führte als solche ein Schattendasein in der FDP. Sie galt immer als Speerspitze der Kernkraftbefürworter, und sie bleibt sich auch jetzt treu: "Mit uns gibt es keinen Sicherheitsrabatt", sagt sie, aber auch "kein hektisches Über-Bord-Werfen von Entscheidungen." Ihre Hoffnung: die "ergebnisoffene Prüfung".

Selbst Merkel sagt, es könne nur "möglicherweise" passieren, dass danach "Anlagen schneller vom Netz zu nehmen sind". Und dass sie nicht bereit sei, dauerhaft auf deutsche Atomkraft zu verzichten, um dann aus dem Ausland Atomstrom zu importieren. Das klingt nach einer Politik der Hintertürchen. Erst mal alles prüfen - und hoffen, dass der Spuk in drei Monaten vorüber ist.

Wenn sich die Kanzlerin da mal nicht verschätzt.

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