Islamistische Gruppen in Nordafrika:Mächte der Finsternis

Von der Maghreb-Qaida bis zur Al-Shabaab-Miliz: Im Norden Afrikas entsteht ein gefährliches Netzwerk islamistischer Gruppierungen. Ihr gemeinsamer Feind ist der Westen.

Rudolph Chimelli

Zwei Anführer der al-Qaida für den Islamischen Maghreb (Aqmi) - die beiden algerischen Emire Abu Said und Mochtar Belmochtar - sollen im Herbst "Berabisch-Frauen" geheiratet haben. Berabisch, so werden auch in Nigeria die Stämme arabischer Herkunft genannt, die im Norden des Landes siedeln. Dies ist das jüngste Indiz für eine mögliche Zusammenarbeit zwischen der Maghreb-Qaida, die ihre Tätigkeit aus den dichter besiedelten Gebieten Algeriens in die Sahelzone verlegt hat, und den radikal-islamischen Boko-Haram-Rebellen, die sich zu den Anschlägen auf christliche Kirchen bekennen. Diese Kontakte sind oft vermutet worden. Beweise, dass es dabei um mehr als Gesinnungsgemeinschaft geht, fehlen bisher.

Members of the hardline al Shabaab Islamist rebel group hold their weapons in Somalia's capital Mogadishu

"Wenn wir nichts tun, könnten wir einem Netzwerk gegenüberstehen, das von Ostafrika durch die Mitte (des Kontinents) reicht", zitiert Time den Kommandeur des Africa Command (Africom) der USA, General Carter Ham. Im Bild zu sehen: somalische Al-Shabaab-Milizen in Mogadischu.

(Foto: Feisal Omar/Reuters)

Auch dass die Boko Haram, wie sie selber behaupten, mit den islamistischen Al-Shabaab-Kämpfern Somalias und mit den Taliban in Afghanistan zusammenarbeiten, ist alles andere als gesichert. Die Zeitung Le Monde zitierte im Sommer einen Boko-Haram-Sprecher mit der Äußerung: "Wir wollen bekanntmachen, dass Dschihad-Kämpfer aus Somalia in Nigeria eingetroffen sind. Sie haben dort eine militärische Ausbildung durch unsere Brüder erhalten, die das Land unregierbar gemacht haben. Sehr bald werden wir den Dschihad auch hier beginnen."

Der Kommandeur des Africa Command (Africom) der USA, General Carter Ham, befürchtet solche Zusammenhänge mindestens. Nachdem die Boko Haram im August das UN-Gebäude in der nigerianischen Hauptstadt Abuja in die Luft gesprengt hatte, sagte er noch: "Wir beschäftigen uns mit Aqmi, al-Shabaab und Boko Haram einzeln. Was uns wirklich Sorgen macht, ist, dass sie das erklärte Ziel haben, ihre Anstrengungen zu koordinieren."

In seiner jüngsten Ausgabe zitierte das Magazin Time den General aus Washington: "Wenn wir nichts tun, könnten wir einem Netzwerk gegenüberstehen, das von Ostafrika durch die Mitte (des Kontinents) reicht." Die drei Organisationen hätten öffentlich erklärt, dass sie Bürger westlicher Staaten aufs Korn nehmen wollten. "Ich bin sehr, sehr besorgt", betonte Ham.

Feindbild korrupter Staat

Wie sich die Tuareg-Stämme, die mit der Sahelzone am besten vertraut sind, in diese eventuellen Kombinationen einordnen, ist ungewiss. Erst kürzlich ist eine Schmugglerkolonne der Berabisch, die das Wegegeld für ihren Rauschgifttransport nicht zahlen wollte, mit Tuareg zusammengestoßen. Nach dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes in Libyen sind etwa 2000 bis 4000 Tuareg, die vorher im Sold des Diktators standen, mit ihren schweren Waffen in die Sahelzone eingesickert. Traditionell bekennen sich die Tuareg-Nomaden - die nicht Arabisch, sondern einen Berber-Dialekt sprechen - zu einem gemäßigten Islam. Die Tuareg arbeiten mit den Al-Qaida-Aktivisten punktuell zusammen, wenn sich gemeinsame Geschäfte ergeben. Doch der fundamentalistische Islam der Aqmi oder der Boko Haram entspricht nicht ihren Gewohnheiten.

Die Aqmi-Kämpfer, überwiegend Algerier, werden auf nicht mehr als 400 geschätzt. Aber sie operieren in einem Gebiet, das so groß ist wie Europa: in der Sahelzone Algeriens, Malis, Mauretaniens und Nigers sowie in den Grenzregionen Tschads und Libyens. Sie profitieren davon, dass sie keinen potenten militärischen Gegner haben. Zwar haben die vier unmittelbar beteiligten Staaten ein gemeinsames militärisches Kommando zur Bekämpfung des Sahara-Terrorismus (Cemoc) gebildet. Doch es ist nie operativ geworden: Die Algerier, die als einzige über starke Verbände verfügen, wollen ihre Truppen nicht jenseits ihrer Grenzen einsetzen.

In einer ganz anderen Situation sind die Boko Haram, die von den Streitkräften Nigerias konsequent bekämpft werden. Ihr Gründer, der Prediger Mohammed Jussuf, ist vor zwei Jahren von Soldaten getötet worden. Als er seine Kampf-Organisation vor bald zehn Jahren ins Leben rief, richtete sich diese nicht gegen die Christen oder deren Institutionen. Das Ziel waren Einrichtungen des als korrupt geltenden Staates und speziell westliche Erziehungsmethoden, gegen die Vordenker schon zur französischen Kolonialzeit polemisiert hatten. "Boko" heißt in der Haussa-Sprache so viel wie "Schwindelei", womit in diesem Fall westlicher Unterricht gemeint ist. "Haram" bedeutet auf Arabisch "verboten". Am Anfang fand die Boko Haram Anhänger vor allem unter Studenten, Universitätsabsolventen und im Mittelstand.

Dass sich die Organisation gegen christliche Kirchen wandte und die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts, forderte, wurde als Zeichen der Hinwendung zu den Ideen von al-Qaida gesehen.

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