Hinter den Kulissen der US-Parteitage:Alle finden die Bundeskanzlerin ziemlich super

Sind die US-Parteitage nur eine aufgeblasene Show? Sollten Journalisten nicht lieber über dringliche Alltagsprobleme berichten? Das fragte uns Journalistik-Professor Jeff Jarvis. Doch wer da war, konnte viel mitnehmen. Ein persönlicher Rückblick auf Regenschirm-Berge, Begegnungen mit Delegierten und die Faszination Teleprompter.

Matthias Kolb, Charlotte

The Democratic National Convention (DNC)

Bei der Rede von Präsident Barack Obama kochten auf der Convention der Demokraten die Emotionen hoch.

(Foto: Bloomberg)

"Warum seid ihr in Tampa?" Es war eine provokante Frage, die Jeff Jarvis uns Journalisten stellte, die zu den amerikanischen Parteitagen von Republikanern und Demokraten nach Tampa und Charlotte reisten. Sollten wir nicht lieber über dringliche Alltagsprobleme berichten? Der Zwischenruf ist berechtigt. Einerseits. Andererseits habe ich bei den Conventions viel über den US-Politbetrieb und Amerika gelernt.

Das erste Mal ist immer etwas Besonderes. Allein deswegen werden mir die Parteitage lange in Erinnerung bleiben. Durch Erzählungen von Kollegen und Medienberichte war ich vorbereitet auf lange Anfahrtswege, viele Sicherheitskontrollen und einen bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Ablauf, der kaum Überraschungen oder echte Debatten zulässt. Doch dann kam Clint Eastwood mit seinem Stuhl-Sketch, alle redeten über eastwooding und die sorgfältig geplante Choreographie der republikanischen Strategen war über den Haufen geworfen.

Natürlich wusste ich auch, dass 15.000 Journalisten anreisen würden - es waren also deutlich mehr Medienvertreter anwesend als Delegierte (2286 bei den Republikanern, etwa 6000 bei den Demokraten). "This is a convention of the media, by the media and for the media", schrieb Dana Milbank in der Washington Post über das Spektakel und all jene Dinge, mit denen die Journalisten - Massagestühle, Diskussionen und kostenloser Alkohol - bei Laune gehalten werden. Für das Rahmenprogramm blieb mir keine Zeit, dennoch habe ich (fast) jede Minute rund um die Conventions genossen.

Rückblickend gibt es drei Gründe, weshalb es meiner Meinung nach unerlässlich war, nach Tampa und Charlotte zu reisen.

Die Parteitage erlauben es, nah dran zu sein. Das klingt zunächst paradox, wenn man lange Wege durch abgesperrte Straßen zurücklegen muss, alle zehn Meter Polizisten oder Soldaten begegnet und mehrmals täglich Security-Checks wie am Flughafen über sich ergehen lassen muss. Bizarr auch: Obwohl es in Tampa und Charlotte bei schwül-heißem Wetter an vielen Nachmittagen wie aus Kübeln schüttete, waren Regenschirme verboten. Also türmten sich neben den Röntgenscannern und Eingangstüren die Schirme, und jeder, der einen brauchte, nahm sich bei Bedarf einen mit.

Ist man aber einmal in der Halle, dann sind sie alle da: Die Tea-Party-Ikone Michelle Bachmann wird von CNN interviewt, die Anhänger des libertären Kauzes Ron Paul berichten, wie sie von der Parteiführung schikaniert wurden, Senatoren geben Autogramme und die Delegierten mit den schrägsten Outfits (Best-of im Video) posieren für Fotos. Bei den Republikanern waren die Delegierten eher alt und weiß ("50 shades of white", witzelte David Letterman), bei den Demokraten jünger und bunter (in Charlotte wurde auch der Müll kompostiert).

Natürlich sind die meisten Anwesenden auf Parteilinie und viele Antworten nicht überraschend, aber die Gelegenheit, in wenigen Tagen mit so vielen Menschen aus allen Teilen diese riesigen Landes zu sprechen, bietet sich nur selten.

SMILE, please

Zwei Gespräche sind mir besonders in Erinnerung geblieben: In Tampa war Evan Draim sehr gefragt, weil er mit 17 der jüngste aller Stimmberechtigten war. Er berichtete mir vom "Krieg gegen Studenten", den Obama führe und dass der US-Präsident mit den sozialen Themen nur ablenken wolle. Sein Credo - weniger Staatsausgaben, Steuern runter, mehr Deregulierung - ist typisch für die Grand Old Party 2012 und auf Nachfragen ("Wäre mehr Kompromissbereitschaft nicht besser?") reagiert er mit Phrasen, die ich alle von Fox News kenne.

Antonio Montoya aus Iowa geht es um andere Themen: Er macht Wahlkampf für Obama, damit Schwule heiraten können und die "Frauenrechte" bewahrt bleiben. Folgerichtig trägt der 18-Jährige zu seinem Afro ein lila Shirt mit "LGBT for Obama". Wie Evan ist er jugendlich euphorisch und viele seiner Argumente hat Antonio aus den einschlägigen Medien - in diesem Fall von MSNBC und liberalen Blogs (Fotos und Zitate der beiden sind hier zu sehen und zu hören).

Insgesamt wirkten die Demokraten auf mich weniger verbissen und offener als die Republikaner; zudem war die Stimmung in Charlotte besser. Allerdings waren alle extrem freundlich und hilfsbereit. Und noch etwas habe ich gelernt von den Delegierten: Alle Republikaner sowie eine große Mehrheit der Demokraten finden Bundeskanzlerin Angela Merkel ziemlich super.

Ein weiteres Argument für den Besuch der Conventions ist der Blick hinter die Kulissen des Politbetriebs. Damit meine ich weniger, dass ich einen Meter neben dem improvisierten CNN-Studio stehen oder die Korrespondenten von "The Daily Show with Jon Stewart" (grandiose Bilanz des Republikanerparteitags) bei ihren unkonventionellen Interviews beobachten konnte. Nahezu rund um die Uhr geben Politiker, Berater und selbsternannte Experten Interviews, sie versuchen die Agenda zu beeinflussen und bereits Stunden vor den mit Spannung erwarteten Reden von Ann Romney, First Lady Michelle oder Ex-Präsident Bill Clinton sind die wichtigsten Auszüge bei Politico oder der New York Times nachzulesen.

Dies hatte Journalistik-Professor Jeff Jarvis vergessen: Die Conventions machen Journalisten hoffentlich bewusst, wie man sie täglich zu steuern sucht. Dass Ausländer nur Plätze am Rande der Bühne (Fotos aus Tampa und Charlotte) erhalten, hat auch Vorteile: Wer den Teleprompter im Blick hat, wenn etwa Sandra Fluke für den US-Präsidenten Werbung macht, sieht das Ausmaß der Inszenierung: Mit bebender Stimme warnt die vom rechten Scharfmacher Rush Limbaugh beschimpfte Aktivistin vor Romney, bevor auf dem Teleprompter in gelben Großbuchstaben "SMILE" steht. Fluke macht eine Pause, lächelt zuckersüß und preist Obama. (Wie Bill Clinton virtuos den Teleprompter ignorierte, um seine Redezeit fast zu verdoppeln, hat The Atlantic beschrieben)

"USA, USA, USA"

Und nicht zuletzt bieten die Parteitage einen Blick in die amerikanische Seele. So wurde bei den Demokraten ebenso oft der American Dream, jenes Versprechen vom Aufstieg durch Fleiß, beschworen wie bei den Republikanern. In Charlotte schallten ebenso oft "USA, USA, USA"-Rufe (oft nach dem Hinweis, Obama habe Osama bin Laden töten lassen) durch die Halle wie in Tampa, alle zollten den Soldaten Tribut und schwärmten vom "greatest country on earth". Das klingt in deutschen Ohren etwas befremdlich, aber es hilft, manche Worte und Aktionen der Demokraten zu verstehen.

Und noch etwas beeindruckte zutiefst: Die Freundlichkeit der vielen Volunteers, jener Bürger aus Tampa und Charlotte, die ihre Freizeit opferten, damit niemand verloren ging und ihre Heimat würdig vertreten wird. So viel Engagement habe ich in Deutschland selten erlebt.

Der Autor twittert unter @matikolb über den Präsidentschaftswahlkampf in Amerika.

Linktipp: Die Lektüre der Polemik von Jeff Jarvis über die Art, wie über die amerikanischen Parteitage berichtet wird, lohnt sich. Das National Journal hat US-Korrespondenten befragt, wieso der Besuch der Conventions wichtig für ihre Arbeit ist.

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