Grünen-Spitzenkandidatin Göring-Eckardt im Interview:"Die Grünen waren immer schon bürgerlich"

Bürgerlich statt Bürgerschreck - und damit im Bund ein möglicher Koalitionspartner für die Union? Im Gespräch mit Süddeutsche.de spricht die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt über die Werte ihrer Partei, ihre Zweifel an der Urwahl und das Verhältnis zur CDU.

Thorsten Denkler und Michael König

Bundesdelegiertenkonferenz der Gruenen

Katrin Göring-Eckardt: "Wir müssen uns nicht verbiegen, um neue Wähler zu erreichen."

(Foto: dapd)

Sie ist die Comeback-Grüne der vergangenen Wochen: Seitdem die Parteibasis Katrin Göring-Eckardt zum Teil des Spitzenduos für die Bundestagswahl 2013 gewählt hat, gilt die 46-jährige Thüringerin wieder als Hoffnungsträgerin. Auch politisch hat ihre Kandidatur Folgen: Ihre eher bürgerliche Ausrichtung lässt einige Realos schon wieder von Schwarz-Grün träumen. Doch was hält Göring-Eckardt überhaupt von solchen Planspielen? Im Interview mit SZ.de spricht sie über die bürgerlichen Eigenschaften ihrer Partei, ihren Urwahl-Erfolg und über das Verhältnis der Grünen zur Union.

SZ.de: Frau Göring-Eckardt, wie geht es Ihnen damit, dass Ihr Gesicht bald bundesweit plakatiert wird?

Katrin Göring-Eckardt: Diese Erfahrung macht man ja Stück für Stück. Das fängt im Wahlkreis an, dann im eigenen Bundesland. Schließlich wird man im Urlaub erkannt. Das wird sich verstärken, aber das schreckt mich nicht. Manche werden mich weiter in Joggingklamotten oder im Supermarkt Salat einkaufen sehen. Das ist dann halt so.

Auf dem Parteitag gabe es ein Einmarsch-Choreografie für Sie und Jürgen Trittin. Fröhliche Pop-Musik und gedimmtes Licht. Trittin schien das gefallen zu haben. Und Ihnen?

Ich muss mich nicht ständig produzieren. Als Tochter eines Tanzlehrers und in der Kirche sozialisiert weiß ich aber, wie Auftritt und Liturgie geht. Das sollte vor allem den Delegierten Spaß machen. Sie sollen merken, sie sind Teil des Ganzen. Das ist keine Inszenierung für zwei Leute, sondern symbolisiert das Zusammenspiel mit denen, die alle gemeinsam diesen Wahlkampf wuppen.

Früher hätten die Grünen etwas von "Ton, Steine, Scherben" gespielt. Heute eingängigen Mainstream-Pop von "Feist". Ist das das Kennzeichen der Grünen im Jahr 2012?

Auch wenn unsere Ideen und Gedanken heute immer mehr zum Mainstream werden, müssen wir um die Sache selber noch kämpfen. Heute reden zwar schon alle über Nachhaltigkeit und Ökologie. Damit ist es aber nicht getan. Hinter mancher Verpackung unserer politischen Mitbewerber versteckt sich eine große Leere.

Die Urwahl war eine Aktion, die gut in den aktuellen Mainstream passte. Sie waren anfangs skeptisch. Warum?

Ich fürchtete, die Urwahl könne uns intern zu viel Kraft kosten. Möglicherweise würden wir übereinander herfallen oder uns werde ein Konflikt angedichtet, den es gar nicht gibt.

Und?

Das ist alles nicht passiert. Die Urwahl hat die Partei mobilisiert. Wir haben so viel Öffentlichkeit für grüne Themen herstellen können.

Die Teamlösung, die Sie sich gewünscht hatten, gibt es jetzt nicht.

Doch. Wir haben zwei Spitzenkandidaten, die sind klar vorn, aber gleichzeitig zwei Parteivorsitzende, die wiedergewählt worden sind. Beide mit sehr guten Ergebnissen. Wir haben eine Fraktionsvorsitzende, die im vergangenen Jahr sehr überzeugend wiedergewählt worden ist. Alle werden ihren Beitrag leisten.

Wie erklären Sie sich, dass alle über Ihren Urwahl-Sieg so überrascht waren?

Für viele Mitglieder war es vielleicht gar keine Überraschung, die haben mich schließlich gewählt. Aber sicherlich für die Beobachter und die Medien, die plötzlich aufmerkten und meinten, die Partei sei doch anders, als alle immer denken. Das hat uns sicher nicht geschadet.

Sie wurden unterschätzt und können sich jetzt freuen, dass Sie gewonnen haben.

Es geht nicht um mich als Person, sondern um die Frage, wie wir am besten Wählerinnen und Wähler gewinnen können. Mit welchen Personen, mit welchen Themen? Ich bin auch nicht allein gewählt worden, sondern zusammen mit Jürgen Trittin. Zusammen bilden wir ein Spitzenteam, das Politik für den Alltag verständlich macht und klar die Alternativen zu Schwarz-Gelb aufzeigt. Das ist die Hauptbotschaft.

Sind Sie jetzt das Gesicht der von vielen Grünen ersehnten personellen Erneuerung?

Na ja, so neu bin ich jetzt auch nicht mehr. Weder in der Partei noch in der Öffentlichkeit. Dass es diesen Wunsch gab, kann man sicher nicht verhehlen. Aber zu behaupten, dass das jetzt der große Generationenwechsel wäre, das wäre übertrieben.

Die Grünen liegen nicht mehr in den Gräben

Sie haben in Ihrer Rede auf dem Parteitag gesagt, Sie wollen die Wähler der CDU erreichen. In dieser Klarheit war das von den Grünen noch nicht zu hören. Welches Angebot wollen Sie den Wählern von CDU und CSU machen, damit sie zu Ihnen kommen?

Wir müssen uns nicht verbiegen, um neue Wähler zu erreichen. Viele sind ja schon zu uns gewandert. In Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen, zuletzt in Stuttgart. Die Gesellschaft hat sich verändert. Durch die Klima-, die Finanz-, und die Wirtschaftskrise sagen sehr viel mehr Menschen, dass unsere Wirtschaftsweise, unsere Lebensweise auf Dauer so nicht funktionieren kann. Werte wie Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Zusammenhalt der Gesellschaft, oder Umweltschutz haben neues Gewicht bekommen. Diese Menschen können wir mit unseren Themen ansprechen.

Vor 20 Jahren galten die Grünen als Bürgerschreck, heute als Lieblinge der Bürger. Ist das die späte Versöhnung der Grünen mit ihrer eigenen Spießigkeit?

Die Grünen waren immer schon bürgerlich im besten Sinne. In Westdeutschland sind sie entstanden aus Bürgerinitiativen, in Ostdeutschland aus der Bürgerbewegung, deshalb kann man getrost von einer Fortsetzung dessen sprechen, womit wir gestartet sind. Ob es Mitglieder der Grünen gibt, die spießig sind, weiß ich nicht. Das ist aber nicht gerade eine politische Kategorie.

Es geht um das Lebensgefühl, dass die Grünen bedienen.

Dass in grünen Haushalten jetzt die Spitzendeckchen liegen, das nehme ich nicht an. Richtig ist, dass uns die Frage umtreibt, was gutes Leben ist, was das Leben eigentlich ausmacht? Weil es einem nicht unbedingt besser geht, nur weil man mehr hat.

Das sagen die Grünen aus der Position derer heraus, die es sich leisten können.

Nein, eben nicht. Wir sagen das aus der Position derer heraus, die sehr gut wissen, wie es denen geht, die ganz am Rande stehen. Die Lehrerin, die bei den Grünen ist, weiß ganz genau, dass viele Kinder schon in der vierten Klasse an eine Decke stoßen. Eine Decke, durch die sie niemals durchkommen werden, nur weil ihre Eltern ihnen nicht das mitgeben konnten, was sie dafür bräuchten. Sie weiß sehr genau, wie es den Leuten geht, die sich nicht mal die Winterstiefel für die Kinder leisten können. Da gibt es eine enge Bindung, weil viele von uns entweder beruflich, durch ihr privates Engagement oder weil sie es einfach selbst erlebt haben Bescheid wissen. Wir wissen genau wie und wo es wehtut.

Wann werden die Grünen ihre mehrheitliche Abneigung gegen die Union aufgeben, um mit der CDU/CSU im Bund koalieren zu können?

Es geht um inhaltliche Gründe. Die Grünen liegen nicht mehr in den Gräben und sagen, mit den Schwarzen reden wir nicht. Diese Zeiten sind vorbei. Aber es ist auch ganz klar: Es gibt inhaltlich keine gemeinsamen Gesprächsthemen.

Der Wahlsieger von Stuttgart, Fritz Kuhn, hat gesagt: Er müsse nicht mit einer Partei koalieren, von der er ständig, wir zitieren, "in die Fresse bekommen" habe. Das klingt nicht so entspannt, wie Sie das gerade formulieren.

In Stuttgart hat die CDU ganz normale bürgerliche Tugenden aufgegeben. Das war auch schon im Landtagswahlkampf so. Ich bin im Landtagswahlkampf in vielen Städten unterwegs gewesen, da sagten die Leute: Wir haben einen konservativen Kandidaten und einen, der sich nicht benehmen kann. Mit dem Konservativen meinten sie Kretschmann, mit dem anderen Mappus.

Und jetzt ist Peer Steinbrück Ihr Wunschpartner?

Es ist der Kandidat der SPD. Wir wissen auf der Bundesebene ganz gut, wie das war, als wir 1998 angefangen haben, mit der SPD zu regieren. Da gab es Themen, da lagen Welten zwischen uns. Ich denke an die Energiepolitik, gerade die Kohle, den Atomausstieg, die Innen- und Bürgerrechtspolitik. Und gemeinsam regieren geht nur auf Augenhöhe. Da hat die SPD doch dazugelernt, "Basta" gibt es nicht mehr.

Und wenn nicht, dann machen Sie es doch mit der CDU.

Ich kann ja verstehen, dass die uns als Strohhalm sehen, wenn sich die FDP auf außerparlamentarische Zeiten einstellt. Aber da bin ich mit der Bundeskanzlerin ausnahmsweise total einig. Sie hat gesagt: Ich kann mir das nicht vorstellen mit den Grünen.

Warum nicht? Wenn es mit der SPD nicht reicht, eine große Koalition scheitert und nur noch Schwarz-Grün als Option übrig bleibt, werden Sie es schon aus staatspolitischer Verantwortung mit Merkel versuchen müssen. Und sagen Sie nicht, Sie könnten sie nicht leiden.

Die Grünen sind eine Inhalts-Partei. Wir wissen genau, dass man ein bestimmtes Maß an inhaltlicher Übereinstimmung braucht. Die zahlenmäßige Möglichkeit zu regieren genügt nicht. Um das zu erkennen, reicht ja schon allein der Blick auf die verstaubte Familienpolitik der Union. Die hat mit der Lebensrealität der Leute nichts zu tun. Die Ersten in der Union fangen sogar schon wieder an, über die Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken zu reden. Uns geht es um Inhalte, nicht um Personen.

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