Gewalt in Ägypten:Schändliche Antwort des Westens

Soldiers stand guard on armoured personnel carrier positioned outside Ramses Square, near al-Fath mosque in Cairo

Ägyptens Militär geht mit großer Brutalität gegen Demonstranten vor. 

(Foto: REUTERS)

Mohammed Mursis Sturz war nichts anderes als ein Putsch - und die aktuellen Gewaltorgien gegen die Muslimbrüder sind Massaker. Trotzdem schaut der Westen nur tatenlos zu, während Ägyptens alte Militär- und Geheimdienstgarde die Macht wieder an sich reißt. Doch Amerika und Europa fällt nicht mehr ein, als über die Brutalität zu jammern. Ist das nur naiv? Oder zynisch?

Ein Kommentar von Hubert Wetzel

Zuerst das Offensichtliche: Ägyptens Militärmachthaber kümmern sich einen Dreck um den Westen. Europa und Amerika können bitten, drängen, warnen - die Junta lässt die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi mit Bulldozern von den Straßen räumen. Selten wurde dem Westen seine Impotenz in Nahost so blutig vor Augen geführt.

Die Antwort des Westens ist schändlich. Die EU-Länder wollen nächste Woche eine gemeinsame Linie finden, bis dahin (und wohl auch danach) wird es bei entrüsteten Erklärungen bleiben. Barack Obama, Präsident jenes Landes, das Ägyptens Armee seit Jahrzehnten päppelt, sagte ein Militärmanöver ab. Das "Foto des Tages" des Weißen Hauses zeigte am Freitag Obama im ernsten Gespräch mit seiner Sicherheitsberaterin Susan Rice. Krise im Griff, sollte das bedeuten. Das ist keine Außenpolitik, sondern absurdes Theater.

Um das Nichtstun zu entschuldigen, verweisen Realpolitiker oft darauf, wie schwierig die Lage in Kairo sei. Wenn die USA ihre Militärhilfe für Ägypten einstellten, heißt es, stünden tags darauf Saudis und Russen als Zahlmeister bereit. Außerdem garantiere Ägyptens Armee den Frieden mit Israel. Und überhaupt, auch die Muslimbrüder trügen Schuld an der tödlichen Eskalation, sie müssten ja nicht demonstrieren.

Das mag alles so sein. Der Westen hat mit solchen Argumenten schon immer Putsche schöngeredet. Und eine gewisse Kaltschnäuzigkeit im Umgang mit Ägypten wäre ja erträglich, wenn sie irgendeinem Ziel diente, zu irgendeiner Strategie passte. Aber das ist nicht zu erkennen. Obama redete von der Unterstützung Amerikas für das Menschenrecht auf friedlichen Protest. Zugleich erklärte er die USA für neutral im ägyptischen Machtkampf. Wie das zusammengehen soll, wenn in Kairo friedliche Proteste niederkartätscht werden, blieb sein Geheimnis. Er warf Mursi vor, dessen Regierung hätte nicht "die Ansichten aller Ägypter respektiert". Mit dieser Begründung könnte jeder US-Republikaner die Armee zur Meuterei auffordern.

Zynisch oder nur naiv?

Die Lage in Kairo ist kompliziert. Aber so kompliziert nun auch wieder nicht: Mursi war ein unfähiger, unbelehrbarer, islamistischer Präsident. Aber er war eben der gewählte Präsident - ein Status, der aus Sicht der westlichen Demokratien einen gewissen Wert haben sollte. Sein Sturz war nicht, wie Obama sagte, ein "Dazwischengehen des Militärs", sondern ein Putsch. Die Gewaltorgie der Polizei gegen Demonstranten am Dienstag war ein Massaker. Amerika und Europa haben tatenlos zugeschaut, wie Ägyptens alte Militär- und Geheimdienstgarde die Macht wieder an sich gerissen hat; nun jammert der Westen, weil die Generäle ihre Gegner mit den Mitteln von Armee und Geheimdienst bekämpfen. Ist das zynisch oder nur naiv?

Vielleicht hat der Westen in Ägypten tatsächlich nichts zu melden. Vielleicht sind Europa und die USA nur Zuschauer. Aber wenn 500 oder mehr tote Zivilisten auf der Straße liegen, sollten man die Dinge wenigstens mal beim Namen nennen. Sonst wird man irgendwann zum Komplizen.

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