FDP nach dem Rücktritt Lindners:Partei in Abwicklung

Christian Lindners Rücktrittserklärung war so blutarm wie die Partei, für die er Generalsekretär war. Sie wurde nur noch unterboten von der blutleeren Erklärung des FDP-Chefs Rösler, die deutlich machte: Die Zeit dieser FDP ist vorbei. Das letzte Kapital der Liberalen war die Jugend ihrer Führung. Sie haben auch dieses Kapital noch verspielt.

Heribert Prantl

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Rücktritt des FDP-Generalsekretärs zu bewerten. Erstens: Christian Lindner gibt sein Amt auf in tiefster Resignation, weil er seine Partei in einem heillosen Zustand glaubt und er selbst keine Rettung mehr weiß. Zweitens: Christian Lindner tritt zurück, um sodann gegen den Vorsitzenden Philipp Rösler anzutreten. Die für die FDP erträglichere Variante wäre die zweite. Es könnte dann diese abgewrackte Partei noch einmal letzte Hoffnung schöpfen: da rüstet sich einer zum entscheidenden Kampf, da will einer etwas erreichen - für sich, für seine Partei, für den politischen Liberalismus, der in der heutigen FDP kaum noch zu finden ist.

Die FDP hätte Glück im Unglück, wenn es so wäre. Nur: Sie hat dieses Glück nicht. Wer Lindner bei seiner dürftigen Rücktrittserklärung gesehen hat, der weiß: Kämpfer sehen anders aus, Kämpfer reden anders, Kämpfer sagen, wofür sie kämpfen. Lindner hatte nichts mehr zu sagen. Seine Rücktrittserklärung war so blutarm wie die Partei, für die er Generalsekretär war. Lindners Erklärung wurde freilich noch unterboten von der des Parteivorsitzenden Philipp Rösler: Diese war nicht blutarm, sondern blutleer. Es steht ein blutleerer Vorsitzender an der Spitze einer blutarmen Partei.

Die Konstitution der FDP ist nicht mehr nur traurig, sondern verheerend. Es ist zum Erbarmen, was aus einer einst großen kleinen stolzen Partei geworden ist. Was erinnert heute noch an die FDP, der einst Scheel und Genscher ein Gesicht gegeben haben, was erinnert an die FDP, die einst mit den CDU/CSU-Innenministern um die Rechtsstaatlichkeit der Republik gerungen hat? Die wenige Kraft, die in der Führung der FDP noch da ist, reicht nur, um sich selbst auf die Nerven zu gehen oder um zurückzutreten. Vielleicht fehlte Lindner das nötige Quantum an Härte. Vielleicht fehlte ihm ein Machtgen. Vielleicht scheute er deshalb zurück, zum Parteivorsitz zu greifen, als es um Westerwelles Nachfolge ging. Hier hat einer aufgegeben, der sich und die Partei aufgegeben hat.

Der zurückgetretene Generalsekretär galt als der letzte Hoffnungsträger der Partei, als einer, der - vielleicht - an die gescheiten Zeiten eines Ralf Dahrendorf oder eines Karl Hermann Flach hätte anschließen können. Er war der letzte Bannerträger des politischen Liberalismus in der Aktivitas der Partei. Nun ist dieser Liberalismus nur noch im Austrag zu finden. Es ist bezeichnend, wer vom Noch-Parteichef als Nachfolger von Lindner im Amt des Generalsekretärs aufgetischt wird: Es ist der konservative Patrick Döring, der bei den Jungen Liberalen "Stahlhelm" genannt wurde; einer also, der mit den rechtsstaatsliberalen Traditionen der FDP wenig am Hut hat, die Lindner eigentlich vertreten wollte.

Lindner hatte die Zeit nicht, er hatte die Kraft nicht, er war als Generalsekretär fast ausgelastet damit, seinen untauglichen Parteichef Rösler und dessen im Außenministerium schwadronierenden Vorgänger Westerwelle nach außen zu verteidigen. Er erschöpfte sich in der Defensive. Er nahm sich keine Zeit mehr für das, was am Notwendigsten gewesen wäre: als Vorsitzender der Programmkommission die Partei neu aufzustellen. Mit einem neuen Programm sollte gezeigt werden, dass die FDP noch ist, worauf sich ihre Wähler früher etwas zugute gehalten haben: eine kluge Partei, die Freiheit und Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit immer wieder neu definieren kann. Lindner wollte die Partei aus ihrem wirtschaftsliberalen Gefängnis befreien. Die Befreiungsaktion mündete im Chaos: Nach einem Jahr unlustig-uninspirierten Schaffens gleicht der Entwurf eines neuen Parteiprogramms dem Zustand der Partei: ein Trümmerhaufen.

Entweder unverfroren oder unendlich dumm

Die FDP kriegt immer weniger Stimmen, weil in dieser Partei nichts mehr stimmt. Ihre Steuer- und Finanzpolitik ist die schon vielmals aufgebackene FDP-Politik von vorgestern. Und ihre Demokratiepolitik ist eine Farce. Die FDP wirbt für direkte Demokratie, für das Plebiszit auf Bundesebene also. Wenn sie aber diese direkte Demokratie in der eigenen Partei praktizieren soll, wird daraus eine desaströse Angelegenheit: Erst hat die Parteispitze den Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm zu verhindern gesucht; als ihr das nicht gelungen ist, hat sie versucht, mit Verfahrenstricks das Ergebnis der Abstimmung zu manipulieren.

Parteichef Rösler, der in der Euro-Rettungsfrage durch Herumeiern aufgefallen ist, hat dann etwas getan, was schon fast den Straftatbestand der Wählertäuschung erfüllt: Er hat das Mitgliederbegehren bei noch laufender Abstimmung für gescheitert erklärt. Das war entweder unverfroren oder unendlich dumm. Er hat damit nicht die Abstimmung geköpft, sondern sich selbst; er hat es nur noch nicht gemerkt.

Alles hat seine Zeit. Die Zeit dieser FDP ist vorbei. Die Union regiert mit einem Koalitionspartner, der die Buchstaben "i. L." hinter seinen Namen schreiben kann: FDP in Liquidation. Ihr letztes Kapital war die Jugend ihrer Führung. Sie hat auch dieses Kapital noch verspielt. Wie schnell die Abwicklung abgewickelt wird, hängt auch vom Ausgang des FDP-Mitgliederentscheids zum Euro-Rettungsschirm ab. Es kann passieren, dass auch die schwarz-gelbe Koalition vorzeitig liquidiert werden muss.

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