Fall Sarrazin:Bundespräsident Wulff in der Zwickmühle

Christian Wulff hat sich im Fall Sarrazin in ein Dilemma manövriert, aus dem ihm fatalerweise nur noch einer heraushelfen kann.

Thorsten Denkler

Es war keiner da, der ihn zurückgehalten hätte. Im Gegenteil: Sein Sprecher und alter Vertrauter Olaf Glaeseker stand sogar neben ihm, als er die Sätze sagte, die ihm jetzt das Leben schwermachen. Der eigentlich über den Dingen schwebende, an der Tagespolitik schon von Amts wegen desinteressierte Bundespräsident äußerte sich zur Causa Sarrazin - vor laufender Kamera. Quasi im Vorbeigehen.

Wulff  Lengsfeld

Auf dem Tisch von Christian Wulff liegt der Antrag des Vorstandes der Bundesbank, Sarrazin aus dem Amt als Vorstandsmitglied zu entlassen. Ein völlig neuer und damit unerprobter Fall.

(Foto: dpa)

Christian Wulff forderte die Bundesbank auf, dazu beizutragen "dass die Diskussion Deutschland nicht schadet, vor allem auch international". Das war in der Art und Weise nicht sonderlich präsidial. Das war eine subtile Aussage, die die Lesart zuließ, dass nur ein Rausschmiss Sarrazins die Lösung sein kann. Mit diesem Satz hat sich Wulff selbst in eine Zwickmühle begeben, aus der ihn nur noch einer befreien kann: Sarrazin selbst.

Auf dem Tisch von Wulff liegt der Antrag des Vorstandes der Bundesbank, Sarrazin aus dem Amt als Vorstandsmitglied zu entlassen. Ein völlig neuer und damit unerprobter Fall. Das Bundesbankgesetz sieht eine Entlassung von Bundesbank-Vorständen nicht vor. Das soll helfen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Der Arbeitsvertrag von Sarrazin soll zwar eine Klausel enthalten, wonach er mit Entlassung rechnen muss, wenn er der Bundesbank schadet. Aber wer will diesen Schaden bemessen?

Es ist ja nicht einmal sicher, ob diese Klausel in diesem Fall Bestand hat, weil sie Grundrechte wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung berührt. Sarrazin hat übrigens immer Wert darauf gelegt, dass er sich in der Integrationsdebatte lediglich als Privatmann äußert. Wer will ihm das verbieten?

Jetzt muss Wulff entscheiden, ob er dem Antrag der Bundesbank stattgibt. An diesem Freitag erwartet er eine Stellungnahme der Bundesregierung, die im Finanzministerium vorbereitet wird. Darin soll es aber nur darum gehen, ob der Entlassungsantrag formaljuristisch in Ordnung ist. Die tatsächliche Prüfung muss Wulff schon selbst übernehmen. Dafür muss er den Fall möglichst objektiv beleuchten. Zumindest darf er nicht den Anschein erwecken, er sei befangen. Genau das aber hat er mit seiner öffentlichen Äußerung getan.

Deswegen ist egal, wie sich Wulff entscheidet: Er wird nicht sauber aus der Sache herauskommen. Weist er den Entlassungsantrag zurück, demoliert er das Image von Bundesbank-Chef Axel Weber und damit das Ansehen der Bundesbank. Zudem will Weber Chef der Europäischen Zentralbank werden, was sicher auch im Interesse der Kanzlerin wäre. Seine Chancen dürften nicht steigen, wenn er nicht einmal in der Lage zu sein scheint, eines seiner Vorstandsmitglieder zur Ordnung zu rufen.

Welche Alternative ist die schlimmere?

Gibt er aber dem Entlassungsgesuch statt, wird jeder die Unvoreingenommenheit des Bundespräsidenten als Institution in Frage stellen. Die Frage ist nur noch, welche der beiden Alternativen die schlimmere ist.

Wulff hat sich offenbar noch nicht vom Habitus eines Ministerpräsidenten lösen können. In Niedersachen war er Machtmensch. Er wusste, an welchen Fäden er zu ziehen hatte, um Personen zu verhindern oder aufsteigen zu lassen, um Entscheidungsprozesse so zu steuern, dass sie in seinem Sinne verlaufen. Im Bundespräsidialamt aber ist das alles nicht gefragt. Es schadet ihm und dem Amt, wenn er sich geriert, als wäre er immer noch Regierungschef.

Dass ihm das Gefühl für die präsidiale Amtsführung noch fehlt, zeigen auch andere Beispiele: Seinen Sommerurlaub verbrachte er in der monströsen Villa seines Freundes Carsten Maschmeyer - ein Finanzhai, der sich mit merkwürdigen Vertriebsmethoden das Finanzimperium AWD aufbaute. Tausende Anleger haben Maschmeyers Vertreter mit falschen Versprechungen in den Ruin getrieben. Inzwischen hat er AWD verkauft.

Oder wie Wulff Fußball-Bundestrainer Jogi Löw auf einer Pressekonferenz in Südafrika mal eben jovial mitteilte, dass dieser das Bundesverdienstkreuz bekommen werde. Als wäre das Bundesverdienstkreuz ein Ehrenabzeichen, das der Bundespräsident mal eben spontan verschenken kann.

Der Bundespräsident ist noch keine 100 Tage im Amt. Da gebietet es die Fairness, sich mit Urteilen über ihn zurückzuhalten. Aber bedenklich ist schon, dass der Bundespräsident jetzt in einem Dilemma steckt, aus das ihn nur noch Thilo Sarrazin befreien kann. Der müsste nur freiwillig gehen - ob nun mit oder ohne Abfindung, das ist einerlei. Nur: Genau daran scheint Sarrazin überhaupt nicht denken zu wollen.

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