Exklusives Obama-Porträt in "Vanity Fair":Basketball mit Barack

Sechs Monate konnte Michael Lewis den US-Präsidenten aus nächster Nähe beobachten. Der Reporter warf Körbe mit dem überehrgeizigen Obama und fragte nach dessen Alltag im Weißen Haus, seiner Lieblingslektüre und dem Verlust der persönlichen Freiheit. Am Beispiel des Libyen-Kriegs zeigt er, wie Obama Entscheidungen trifft und wo die Grenzen der Macht liegen.

Matthias Kolb, Washington

U.S. President Obama and British Prime Minister Cameron talk at NCAA basketball tournament game in Ohio

Ein Barack Obama wirft nicht nur locker ein paar Körbe, er will gefordert werden. Es sei denn, er sitzt nur auf der Tribüne - wie hier mit Großbritanniens Premierminister David Cameron bei einem College-Basketballspiel.

(Foto: REUTERS)

Es ist ein Zufall, der einen den Kopf schütteln lässt. Am Dienstag erschien die in Washingtoner Politkreisen mit Spannung erwartete Oktober-Ausgabe von Vanity Fair mit einem ausführlichen Porträt über Barack Obama. Geschrieben hat den Text Michael Lewis, Autor zweier Bestseller über die Finanzwelt (Wall Street Poker sowie The Big Short), der den 44. US-Präsidenten ein halbes Jahr lang begleiten durfte. Lewis stellt seine Charakterstudie dem Schicksal des Navigationsoffiziers Tyler Stark gegenüber. Dessen Flugzeug wurde am 21. März 2011 über Bengasi abgeschossen - also über jener Stadt, in kurz nach dem Erscheinen des Portraits der US-Botschafter Chris Stevens sowie drei weitere Amerikaner bei einem Angriff auf das US-Konsulat ums Leben kamen.

Die Bestürzung darüber, dass nach 32 Jahren wieder ein US-Diplomat im Dienst getötet wurde, sowie die Debatte über die vorschnellen Kommentare des Republikaner-Kandidaten Mitt Romney (mehr in dieser Süddeutsche.de-Analyse) haben Lewis' Stück einiges von der Medienaufmerksamkeit genommen. Dabei offenbart der Text des 51-Jährigen interessante Einblicke in den Alltag des ersten afroamerikanischen Präsidenten ("Ich trage nur blaue oder graue Anzüge, damit ich mir jeden Tag über eine Sache weniger Gedanken machen muss") und verrät viel über dessen außenpolitische Überzeugungen und die Art, wie er Entscheidungen trifft.

Lewis schildert aus Obamas Sicht, wie es zu den zunächst von den USA durchgeführten Nato-Luftangriffen auf Libyen kam. Es ist typisch für Obama, dass er sich in Meetings verschiedene Meinungen und Argumente vortragen lässt, um am Ende seine Entscheidung zu treffen. Nach Beratungen mit Militärs sei ihm klar gewesen, dass eine reine Flugverbotszone, wie von Paris und London gefordert, Gaddafi nicht vom Morden abhalten würde, da seine Soldaten mit Panzern durch die Wüste rasten. "Das Schlimmste wäre es gewesen, eine no-fly-zone durchzusetzen, die sich als wirkungslos erweist, wodurch die Rufe nach mehr Engagement noch lauter werden", sagte er dem Vanity-Fair-Reporter.

Obama sei verärgert gewesen, dass ihm keine weiteren Optionen genannt wurden, so Teilnehmer der Sitzung. Er bittet also jüngere Mitarbeiter um ihre Meinung - sie plädieren für mehr Engagement, um nicht wie in Ruanda Mitte der neunziger Jahre tatenlos einem Völkermord zuzusehen. Selbst den entsprechenden Vorschlag zu machen oder in größerer Runde mit zu diskutieren, kommt für Obama nicht in Frage: "Wenn ich Fragen stellen würde, bekäme ich andere Antworten. Es schützt meinen Prozess, zur richtigen Entscheidung zu kommen."

Beim nächsten Treffen lag der gewünschte Plan auf den Tisch - eine UN-Resolution mit Flugverbotszone und der Erlaubnis, "alle nötigen Mittel" einzusetzen sowie der Plan, dass Amerika den Anfang machen würde, bevor die europäischen Nato-Partner übernehmen. Lewis fasst Obamas Plan so zusammen: "Wir übernehmen den Großteil der Bombardements, weil wir die einzigen sind, die das sofort machen können, aber ihr räumt den Mist später auf."

Enttäuschung über den Polit-Messias

Laut Lewis hat Obama diesen Schritt allein durchgesetzt, um zu verhindern, dass ein Diktator sein eigenes Volk töten lässt, während der Rest des Kabinetts die Meinung vertreten habe: "Was haben wir in Libyen verloren?" Das Schicksal des abgeschossenen Navigators Tyler Stark, der schließlich von Rebellen entdeckt und nach Bengasi gebracht wurde, sei einer jener Momente gewesen, in denen auch der vermeintlich mächtigste Mann der Welt die Grenzen des eigenen Einflusses spürt. Wäre Stark getötet oder vom Gaddafi-Regime für Propaganda-Auftritte missbraucht worden, hätte sich der bisherige Narrativ - Amerika hilft einem Volk, seinen Diktator zu stürzen und Demokratie einzuführen - grundlegend verändert, schreibt Lewis. Das Volk hätte gefragt: "Wie kann uns dieser Präsident, der im Wahlkampf versprochen hat, die Kriege in Afghanistan und im Irak zu beenden, in einen neuen Konflikt führen, in dem einer unserer Soldaten stirbt?"

Äußerst interessant ist in diesem Kontext Obamas Reaktion auf die Nachricht, dass ihm 2009 der Friedensnobelpreis verliehen werde: "Ich hielt es erst für einen Scherz. Dann war mir sofort klar, dass mir diese Auszeichnung Probleme schaffen würde." Mit dem Schreiben der Dankesrede habe er erst zwei Tage zuvor angefangen: Ausgerüstet mit Zitaten von Gandhi, Thomas von Aquin oder Martin Luther King über das Wesen des Kriegs legte Obama dar, weshalb militärische Gewalt manchmal nötig sei, um die Welt zu verbessern. Wenn seine Fans auf beiden Seiten des Atlantiks zugehört hätten (Video), wäre ihnen viel Enttäuschung über den Polit-Messias erspart geblieben.

Unbändiger Ehrgeiz und Siegeswillen

Vor dem Hintergrund der explosiven Lage in Nahost sind diese Details aufschlussreich, doch die meisten Vanity-Fair-Leser werden sich auf die Schilderungen des Alltags stürzen. So sieht der Tag des Präsidenten aus: Aufstehen um 7 Uhr, Workout zwischen 7:30 und 8:30, entweder ein blauer oder grauer Anzug, Frühstück und dann Termine von 9 Uhr an. Heilig ist das Abendessen mit Gattin Michelle und den Töchtern. Halbwegs allein sei Obama nur zwischen 22 Uhr, wenn Michelle zu Bett gehe, und 1 Uhr: Dann sitze er in seinem Privatbüro, lese Akten, Memos und Briefe von Bürgern, während nebenbei der Sportsender ESPN laufe.

Überhaupt der Sport: Lewis darf an einem Sonntag mit dem fast gleichaltrigen Obama zum Basketball. Worauf er sich da eingelassen hat, wird dem Journalisten klar, als Obama in Sorge gerät, weil er seinen Mundschutz vergessen hat. Ein Barack Obama wirft nicht nur locker ein paar Körbe, er will gefordert werden. Also besteht die Mannschaft fast ausschließlich aus ehemaligen College-Spielern oder Ex-Profis, viele sind Ende 20 und niemand schont den Präsidenten, weil alle die Regel kennen: "Wer gegen Obama nicht alles gibt, der wird nicht mehr eingeladen."

Über den unbändigen Ehrgeiz und Siegeswillen Obamas ist viel geschrieben worden - in einem Porträt für die New York Times mit dem sprechenden Titel "Competitor-in-chief" zitierte Jodi Kantor einen Spruch, den der Präsident einmal zu Praktikanten gesagt hat: "Wenn ihr mal Kinder habt, lasst sie gewinnen. Bis sie ein Jahr alt sind, dann müsst ihr wieder gewinnen." In der Vanity Fair wird Obamas bester Freund Marty Nesbitt mit einem ähnlichen Satz zitiert: "Spiele, bei denen ein Unentschieden möglich ist, spielen wir nicht."

Sechs Monate lang durfte Michael Lewis immer wieder beobachten und der Stolz über den exklusiven Zugang ist in jedem Absatz des grandiosen Texts zu spüren. Dass er die Obama-Zitate vor Drucklegung autorisieren lassen musste (Details über Freigabe-Debatte in US-Medien), findet der 51-Jährige nicht schlimm: Nur gegen fünf Prozent der Aussagen sei ein Veto eingelegt worden. So erfährt man von Lewis, dass Obama kaum fernsieht, weil er die Kabel-Nachrichtensender für "vergiftet" hält, sondern stattdessen lieber zu Magazinen wie The New Yorker, The Atlantic oder The Economist greift oder Romane liest - zuletzt lag Vom Ende einer Geschichte von Julian Barnes auf dem Nachttisch.

Träume und Hoffnungen des amerikanischen Volkes

An Bord des Präsidentenflugzeugs Air Force One bittet der Reporter den Präsidenten, sich vorzustellen, er müsse ihn, Lewis, in einer halben Stunde auf das höchste Staatsamt vorbereiten. Obama verweist auf die wichtigste Aufgabe: "Denk an die Träume und Hoffnungen, die das amerikanische Volk in dich setzt. Dies muss deine Entscheidungen leiten". Sowohl Bill Clinton als auch George W. Bush hätten diese Verantwortung verstanden. Außerdem sei es wichtig, regelmäßig Sport zu treiben, den Alltag von Nebensächlichkeiten freizuhalten und extrem diszipliniert zu sein.

Der Preis für den Wohnsitz im Weißen Haus sei hoch, meint Obama. Man zahle mit seiner persönlichen Freiheit und dem Schutz der Anonymität, denn es sei unmöglich, allein durch die Stadt zu streifen. Der Alltag sei so verplant und die Sicherheitsvorkehrungen so strikt, dass es kaum Überraschungen gebe - etwa zufällig Bekannte in einem Restaurant zu treffen. Nach knapp vier Jahren lautet Obamas Fazit: "Man passt sich an die Lage an, aber man gewöhnt sich nicht daran. Zumindest ich habe mich nicht dran gewöhnt."

Linktipp: Michael Lewis' ausführliches Porträt über US-Präsident Barack Obama in der aktuellen Aufgabe von Vanity Fair ist online in voller Länge nachzulesen. In einem Interview mit NPR spricht Michael Lewis über seine Zeit mit Obama.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: