Schuldenkrise in Europa:Einer haftet für den anderen

Zwei Jahre Löscheinsatz, doch die Euro-Krise schwelt weiter. Die Gefahr, dass sich die lokalen Brände in Griechenland, Spanien, Italien und anderswo zu einer gigantischen, alles verschlingenden Feuerwalze verbinden, ist sogar größer denn je. Alle Krisenländer müssen handeln, aber Deutschland steht der größte Kurswechsel bevor.

Claus Hulverscheidt

Betrachtet man es rein vom Ergebnis her, dann ist die Sache eindeutig: Auch nach zweijährigem Löscheinsatz schwelt die Euro-Krise weiter, ja, die Gefahr, dass sich die lokalen Brände in Griechenland, Spanien, Italien und anderswo zu einer gigantischen, alles verschlingenden Feuerwalze verbinden, ist sogar größer denn je.

Berlusconi-Blatt nach Draghis Äußerungen: ´Viertes Reich"

Eine italienische Zeitung kommentiert die Äußerungen von EZB-Chef Mario Draghi zur Rettung des Euro: "Heil Angela", heißt es auf der Titelseite unter einem Foto, das die Kanzlerin zeigt.

(Foto: dpa)

Auch Angela Merkel, die das Krisenmanagement seit Jahresende 2010 dominiert hat, wird sich eingestehen müssen, dass ihre Strategie gescheitert ist.

Es wäre somit ein Leichtes, verbal über die Kanzlerin herzufallen, so wie es Weltenlenker vom Schlage eines Sigmar Gabriel seit Monaten tun. Dass ein politischer Weg nicht zum Ziel führt, bedeutet aber noch lange nicht, dass eine Fahrt in die entgegengesetzte Richtung Erfolg versprechender gewesen wäre. Im Gegenteil: Hätte Merkel den vielen Forderungen nach bedingungsloser Hilfe für Athen, nach einer Flutung Europas mit Zentralbankgeld, nach einer Umgehung der EU-Verträge einfach nachgegeben, wäre die Feuerwalze vielleicht längst über den Kontinent hinweggefegt.

Kurswechsel für Deutschland

Niemand also hat Anlass, sich über den anderen zu erheben. Wenn die Krise nicht im Desaster enden soll, dann werden vielmehr alle Beteiligten in den nächsten Wochen Positionen räumen müssen. Das wird ein Kraftakt, denn die politischen und ideologischen Gräben sind tief.

Griechenland etwa muss endlich den Verdacht ausräumen, dass es nur spart, weil man es von außen dazu zwingt. Spanien muss seine Bankenprobleme offen benennen und marode Häuser schließen. Italien muss Reformen nicht nur ankündigen, sondern auch eins zu eins umsetzen. Frankreich darf nicht länger nur über eine politische Integration reden, es muss auch bereit sein, Kompetenzen tatsächlich an Europa abzutreten.

Und Deutschland? Den Deutschen steht von allen Nationen der größte Kurswechsel bevor. Zwei Jahre lang hat die schwarz-gelbe Koalition gehofft, der Euro, das deutsche Exportwunder, Ruhe und Stabilität in Europa, das alles lasse sich zum Nulltarif erhalten. Das Gegenteil ist richtig: Wenn Union und FDP Europa als Hort von Frieden, Freiheit und Wohlstand bewahren wollen, dann werden sie akzeptieren müssen, dass zu einem solchen Europa auch eine gemeinsame Schuldenhaftung gehört.

Dobrindts Kritik ist eine Unverschämtheit

Das heißt nicht, dass die Schulden über Nacht vergemeinschaftet werden sollten, oder dass eine der vorliegenden Ideen - ob sie nun Euro-Bonds, Tilgungsfonds oder Banklizenz heißen - uneingeschränkt taugen würde. Es wäre aber der Mühe wert, die Modelle in ihre Einzelteile zu zerlegen und darüber zu sinnieren, ob sie sich nicht doch noch zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen lassen.

Die Idee des Sachverständigenrats etwa, alle Schulden oberhalb von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu poolen, birgt ebenso bedenkenswerte Ansätze wie der Vorschlag, einen Teil der Staatsanleihen gemeinsam und einen anderen Teil in nationaler Zuständigkeit zu emittieren. Dabei hat Merkel recht, wenn sie verlangt, dass im ersten Schritt strikte Schuldenlimits eingeführt werden müssen. Was ihr aber fehlt, ist der Mut, Bürgern und Finanzmärkten deutlich zu sagen, dass nach diesem ersten Schritt der zweite folgen muss: die Haftungsunion.

Wie es gehen kann, hat jetzt der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gezeigt. Sein Konzept, nur noch solche Staaten - die dafür aber massiv - mit Anleihekäufen zu unterstützen, die sich gegenüber dem Euro-Hilfsfonds ESM zu Reformen verpflichten, ist gemessen am bisherigen Vorgehen ein Fortschritt. Das bedeutet keineswegs, dass das Modell gefahrlos wäre und nicht diskutiert werden dürfte, im Gegenteil. Kritik aber, wie sie der notorische Tiefflieger Dobrindt jetzt an Draghi geübt hat, ist eine Unverschämtheit: Anders als der Bayer benutzt der Italiener wenigstens seinen Kopf, bevor er spricht.

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