Eichel:"Wir leben über unsere Verhältnisse"

Wegen dramatischer Steuerausfälle hat Finanzminister Hans Eichel (SPD) eine Neuorientierung der Staatsaufgaben gefordert. Steuerschätzer haben bis 2006 Einnahme-Ausfälle von etwa 126 Milliarden Euro vorhersagt. Zudem ist in den ersten drei Monaten die Wirtschaftsleistung um 0,2Prozent geschrumpft.

Andreas Hoffmann und Robert Jacobi

(SZ vom 16.5. 2003) - Alle staatlichen Leistungen müssten überprüft, die Sozialreformen umgesetzt und Subventionen abgebaut werden. Die Agenda 2010 des Kanzlers sei ohne Alternative.

Die Ursache für die dramatische Krise der Staatsfinanzen sei eine seit "drei Jahren anhaltende Schwäche der Wirtschaft in Deutschland und in der Welt", sagte er. Darauf seien die öffentlichen Etats nicht eingestellt gewesen.

"Leistungsmoratorium"

Für den Rest der Legislaturperiode sei ein "Leistungsmoratorium" nötig.

Zugleich forderte Eichel die Opposition zur Zusammenarbeit auf: "Es ist jetzt keine Zeit mehr für eine Rückkehr in die Schützengräben." Nötig sei eine "gemeinsame Kraftanstrengung", so begrüßte er den Vorstoß des Fraktionsvize Friedrich Merz (CDU) sich über den Subventionsabbau zu verständigen.

Vehement lehnte Eichel es ab, die Mehrwertsteuer zu erhöhen: "Wir können nicht alle Entscheidungen auf künftige Generationen schieben."

Zwang des Stabilitätspakts

Zuvor hatte er das Ergebnis der Steuerschätzung vorgestellt. Danach müssen Bund, Länder und Gemeinden bis 2006 mit 126 Milliarden Euro weniger Einnahmen rechnen, als bisher erwartet.

Im laufenden Jahr dürften wegen des schwachen Wachstums 8,7 Milliarden Euro weniger Steuern anfallen. Der Fehlbetrag wird 2004 bei gut 34 Milliarden Euro liegen und bis 2006 auf 44 Milliarden Euro steigen. Grund für die schwachen Staatseinnahmen ist die flaue Konjunktur.

Im ersten Quartal 2003 ist die deutsche Wirtschaftsleistung überraschend um 0,2 Prozent gesunken, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag bekannt gab.

Grund dafür war der strenge Winter und die schwache Baukonjunktur. In ihrer Prognose haben die Steuerschätzer diese Angaben aber kaum berücktsichtigt, da sie sich weitgehend auf die als optimistisch geltende Regierungsprognose von 0,75 Prozent Wachstum stützen mussten.

Neue 13-Milliarden-Lücke

Für Eichel bringen die Zahlen neue Haushaltsprobleme. Er veranschlagte die Lücke im laufenden Etat auf gut 13 Milliarden Euro. Diese lasse sich nur über einen Nachtragshaushalt mit einer höheren Neuverschuldung schließen. Dazu muss er die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklären.

Andernfalls würde der Haushalt gegen das Grundgesetz verstoßen, weil die Neuverschuldung die Summe der Investitionen übersteigt.

Nächstes Jahr soll alles gut werden

Für 2004 will der Finanzminister aber einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen. Dazu will er ein milliardenschweres Sparpaket vorlegen.

Anders als in diesem und dem vergangenen Jahr sollen die Brüsseler Vorgaben für den Stabilitätspakts eingehalten werden, wonach das öffentliche Defizit drei Prozent des Bruttoinlandprodukts nicht übersteigen soll.

Nach den pessismistischen Meldungen der Wiesbadener Statistiker zum Wachstum rechnet die Wirtschaft für dieses Jahr nicht mehr mit einem nennenswerten Aufschwung. "Das Wachstum wird erneut ganz unwesentlich über Null liegen", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Deutschland werde aber nicht in eine Rezession abgleiten.

Michael Rogowski, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, kritisierte die Regierungspolitik: "Wer die Steuern erhöht und obendrein über weitere massive Steuererhöhungen diskutiert, darf sich nicht wundern, wenn die Konjunktur nicht anspringt."

Alarmstimmung bei Ländern und Opposition

In den Ländern und bei der Opposition lösten die Zahlen Alarmstimmung aus. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) sprach von "mehr als besorgniserregenden Zahlen"und forderte einen raschen Subventionsabbau. Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) wertete die Zahlen als "dramatischen Beleg für das Scheitern von Rot-Grün".

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