Dürre in Kalifornien:Klimawandel und andere Scherze

Im bevökerungsreichsten US-Bundesstaat geht das Wasser aus. Aber die Menschen dort tun so, als ginge sie der Notstand nicht wirklich etwas an.

Von Jürgen Schmieder

In der Bar in Venice Beach direkt am Pazifischen Ozean ist es mal wieder Zeit zum Fingerzeigen. "Wer spart Wasser?", brüllt der junge Kerl hinter dem Tresen. Die Reaktion der Anwesenden gleicht einem Pawlowschen Reflex: Alle deuten mit linkem Daumen auf sich selbst und grölen: "Ich spare Wasser!" In der rechten Hand halten sie eine Bierflasche, deren Inhalt nun - so verlangen es die Regeln - sogleich und in einem Zug die Kehle hinuntergespült wird. "Biertrinken gegen die Dürre" lautet das Motto in diesem Etablissement, das findig eine bemerkenswerte Statistik zu Marketingzwecken nutzt.

In dieser Studie ist zum Beispiel vermerkt, dass zur Produktion von einem Liter Bier insgesamt etwa 250 Liter Wasser benötigt werden. Das ist überaus sparsam im Vergleich zu anderen Getränken, eine kleine Auswahl: Für einen Liter Wein werden 446 Liter Wasser benötigt, für Champagner 546 und für Milch gar 703 Liter. Also zeigen die Biertrinker in dieser Bar geradewegs mit dem Daumen auf sich, den moralischen Zeigefinger aber richten sie auf all jene, die womöglich Ananassaft (813 Liter Wasser) bestellen oder gar Nüsschen essen. Für die Produktion einer Mandel braucht es knapp vier Liter Wasser, wer sich also eine Handvoll in den Mund wirft, der könnte auch gleich 50 Liter Wasser auf die Straße kippen. Dann, so die blitzgescheite Schlussfolgerung der Trinkfreunde von Venice Beach, doch lieber ein Bier trinken (und vielleicht den Garten nicht mehr gießen).

Die Schneemengen in der Sierra Nevada sind auf einem Rekordtief

So geht es zu im US-Bundesstaat Kalifornien, der gerade die schlimmste Dürre seiner Geschichte erlebt: das vierte Dürrejahr in Folge. Die Schneemengen in der Sierra Nevada, deren dramatisch sinkende Höhe ein verlässlicher Indikator für den Wassernotstand ist, waren noch nie so gering wie seit dem Beginn regelmäßiger Messungen im Jahr 1950. Die Talsperren sind nicht einmal mehr zu zwei Dritteln gefüllt. Die Niederschläge liegen deutlich unter der Norm. Und dabei hatte der mit 38 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste US-Bundesstaat erst von 2004 bis 2010 unter einer schweren Trockenheit zu leiden. Das alles aber wäre vielleicht nicht einmal ganz so dramatisch, wäre Kalifornien nicht zugleich der Obst- und Gemüsegarten Amerikas.

"Die Welt hat sich verändert, also müssen wir uns auch verändern", sagt Gouverneur Jerry Brown: "Die Vorstellung, dass da jeder einen netten kleinen Rasen vor der Haustür hat, den er jeden Tag bewässern darf, ist eine Sache der Vergangenheit." Ähnlich hatte er schon vor einem Jahr geredet, damals hatte er den Notstand ausgerufen und die Bewohner dazu aufgefordert, ihren Wasserverbrauch um 20 Prozent zu senken. Freiwillig.

Zum Selbstverständnis scheinen Verschwendung und Überfluss zu gehören

Das Resultat ist, freundlich ausgedrückt, bescheiden. Nicht unbedingt überraschend in einem Bundesstaat, in dem zum Selbstverständnis der Menschen zweifellos Verschwendung und Überfluss gehören: Im Februar verbrauchten die Kalifornier exakt 2,9 Prozent weniger Wasser als im gleichen Monat vor zwei Jahren. "Das ist total enttäuschend und Grund dafür, strengere Maßnahmen zu ergreifen", sagt Felicia Marcus, Vorsitzende der kalifornischen Wasserbehörde: "Die Menschen hoffen andauernd auf Regen, doch ist das keine Strategie, um dieser gewaltigen Dürre zu begegnen."

Was jedoch ist die richtige Strategie? Brown, 77 Jahre alt, absolviert gerade seine vierte und letzte Amtszeit, ihm geht es nicht mehr um den Sieg bei der nächsten Wahl, sondern um das Vermächtnis als Gouverneur. Er würde gerne in die Geschichte eingehen als derjenige, der für eine schnelle Bahnverbindung zwischen Los Angeles und San Francisco gesorgt hat, als Pionier erneuerbarer Energien, als umweltfreundlicher Visionär - jedoch keinesfalls als der, unter dessen Führung der Bundesstaat ausgetrocknet ist. Brown hat angeordnet, dass Städte und Gemeinden ihren Wasserverbrauch innerhalb von neun Monaten um durchschnittlich 25 Prozent reduzieren müssen. Nicht freiwillig. Verpflichtend. Wer sich nicht daran hält, dem drohen Bußgelder.

Seitdem debattieren die Menschen heftig darüber, ob diese Maßnahme zielführend ist und wer denn nun wirklich verantwortlich ist für den Wassermangel. Schuld sind natürlich immer die anderen, das selbstgefällige Daumendeuten und Fingerzeigen in der Bar in Venice Beach ist da nur ein Beispiel für die allgemeine Stimmung. Jede einzelne Gruppe (und seien es die Biertrinker) weist die Schuld von sich und präsentiert ein Studie, die ihre These zu unterstützen scheint.

So kam kürzlich heraus, dass die Bewohner wohlhabender Orte wie Beverly Hills, Malibu und Palos Verdes pro Tag durchschnittlich mehr als 570 Liter Wasser verbrauchen. In den ärmeren Gegenden im Süden von Los Angeles benötigt ein Bewohner dagegen durchschnittlich nur 170 Liter, in Santa Ana gar nur 144 Liter. Brown ließ seine Anordnungen deshalb nach Bezirken staffeln. Gemeinden wie Beverly Hills müssen den Verbrauch um 35 Prozent reduzieren, Los Angeles um 20 Prozent, das ohnehin sparsame San Francisco indes nur um zehn Prozent.

Die Villenbesitzer mit den wunderbar gepflegten und deshalb durstigen Gärten fühlen sich nun ungerecht behandelt, verweisen auf offizielle Zahlen der Wasserbehörde, denen zufolge sie ihren Verbrauch in den vergangenen sechs Monaten bereits von 855 auf 570 Liter gesenkt haben. Viel gewichtiger aber ist noch ein anderes Argument: Warum verpflichtet Brown nicht Kaliforniens Bauern zum Wassersparen? Denn die verbrauchen schließlich 80 Prozent des verfügbaren Wassers.

Brown hat die Landwirtschaft aber explizit vom Sparzwang ausgenommen: "Natürlich könnte man solche Maßnahmen ergreifen, wenn man Nahrungsmittel woanders produzieren und importieren möchte." Die Dürre habe die 46,4-Milliarden-Dollar-Industrie ohnehin schon hart genug getroffen: Einige Farmer würden bereits "wirklich leiden".

"Das Fingerzeigen bringt niemandem etwas. Es gibt keine Entschuldigungen mehr."

Viele Kalifornier verweisen indes gern auf die Landwirtschaft, sozusagen um Opfer auch von ihren Landsleuten im Rest der USA zu fordern. Natürlich werden Nüsse und Früchte in Kalifornien angebaut, Rinder werden hier gezüchtet - doch konsumiert werden Kaliforniens Erzeugnisse überall im Land. Jeder, der eine kalifornische Tomate isst oder Milch kalifornischer Kühe trinkt, wäre damit ein Stück weit mitverantwortlich für den Wasserverbrauch an der Westküste. Für ein Steak etwa (von den Kartoffeln und Brokkoli dazu und dem Glas Wein zu schweigen) werden 3500 Liter Wasser benötigt. Selbst deutsche Verbraucher könnte man in diese Rechnung einbeziehen. Schließlich wurden im vergangenen Jahr Mandeln im Wert von 6,5 Milliarden Dollar in Kalifornien geerntet und vor allem nach Europa (und China und Japan) exportiert. Auch die Landwirte wehren sich mit einer Studie. Danach verbrauchen Kaliforniens Farmer nur deshalb 80 Prozent des Wassers, weil der Umweltschutz so stark ist. Könnten sie den Anteil des Wassers nutzen, der bisher ungenutzt in geschützten Wildbächen und Flüssen fließt, würde sich ihr Anteil am allgemeinen Wasserverbrauch halbieren. Das Wall Street Journal hat deshalb bereits einen Artikel mit der Überschrift "Kaliforniens grüne Dürre" veröffentlicht. Schuld sind immer die anderen.

"Das Fingerzeigen bringt niemandem etwas", sagt dazu Felicia Marcus, die Chefin der kalifornischen Wasserbehörde. "Die Menschen wissen jetzt, dass es eine gewaltige Dürre gibt, sie tun derzeit nur nicht genug dagegen." Sie wirbt nun für effektivere Toilettenspülungen, für Kunstrasen in den Gärten und wenn nötig für noch höhere Gebühren für Verschwender: "In diesen harten Zeiten muss jeder seinen Teil beitragen. Es gibt keine Entschuldigungen mehr."

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