Drohnenangriffe der USA in Pakistan:Lautstark protestieren, stillschweigend dulden

Men step on a U.S flag during an anti-American rally  organized by Shabab-e-Milli, the youth wing of the Jamaat-e-Islami party, in Peshawar

Mit Füßen getreten: Für das Ansehen der USA in der muslimischen Nation sind die gezielten Tötungen aus der Luft eine Katastrophe.

(Foto: REUTERS)

Pakistan leidet wie kein anderes Land unter dem US-Drohnenkrieg. Doch auch Premier Sharif wird ihn wohl nicht beenden. Sein Land wird an der Tradition des rhetorischen Doppelspiels festhalten.

Von Tobias Matern

Er hatte Signale an die Taliban ausgesandt, bald sollten angeblich erste Gespräche stattfinden. Doch bevor Pakistans neuer Premierminister Nawaz Sharif, der an diesem Mittwoch vereidigt werden soll, seine Fähigkeiten unter Beweis hätte stellen können, mit den Islamisten einen Frieden auszuhandeln, ist der Prozess schon wieder beendet. Zwar protestierte der designierte Regierungschef pflichtschuldig, nachdem eine US-Drohne den Stellvertreter der pakistanischen Taliban, Waliur Rehman, in Nord-Waziristan getötet hatte. Er nannte den Einsatz eine Souveränitätsverletzung und verwies darauf, das Drohnenprogramm werde als "eine Verletzung internationalen Rechts und der UN-Charter" eingestuft. Aber die Taliban haben nach der Drohnenattacke umgehend erklärt, sich mit dieser Regierung nicht an einen Tisch setzen zu wollen.

Wie in keinem zweiten Land der Welt hat US-Präsident Barack Obama die unbemannten Flugzeuge in Pakistans Grenzgebiet zu Afghanistan im Kampf gegen mutmaßliche Terroristen eingesetzt. Von seinem Vorgänger George W. Bush initiiert, baute der Präsident das von der CIA betriebene Programm deutlich aus - und befahl bisher etwa sechsmal mehr Angriffe. Doch für das bereits miserable Image der USA in der muslimischen Nation sind die gezielten Tötungen aus der Luft eine Katastrophe. Die große Mehrheit der Pakistaner verachtet die mit dem Joystick gesteuerten Killermaschinen. Eine gesellschaftliche Debatte, welcher Teil der extremistischen Bedrohung, der sich Pakistan ausgesetzt sieht, selbst verschuldet ist, bleibt weitgehend aus: Die Wut auf die amerikanischen Drohnen eignet sich für die pakistanischen Entscheidungsträger, um von eigenen Versäumnissen abzulenken.

Analysten sind sich aber nach wie vor einig, dass Pakistans Regierung und Militär an der Tradition des pakistanischen Doppelspiels beim Thema Drohnen festhalten werden. Das Verhalten Islamabads weise in dieser Angelegenheit "schizophrene" Züge auf, befindet die International Crisis Group (ICG) in einer Studie. Einerseits geißelt die Elite des Landes die Angriffe regelmäßig, stillschweigend dulde oder befördere das Establishment das Programm aber. "Solange die pakistanische Armee nicht die Taliban in die Schranken weist, bleiben Drohnen die einzige Option" der Amerikaner im Antiterrorkampf, sagt auch die unabhängige pakistanische Sicherheitsanalystin Ayesha Siddiqa.

Zwar hat US-Präsident Barack Obama kürzlich erklärt, der Einsatz der Drohnen werde strengeren Regeln unterworfen. Die sogenannten signature strikes, bei denen Verdächtige bereits aufgrund ihres Bewegungsprofils attackiert worden sind, sollen ausbleiben, die Zahl der Einsätze insgesamt verringert werden. Aber die gezielte Attacke gegen Taliban-Vize Rehman zeigt, dass Obama weiterhin auf die umstrittenen Drohnen setzt - noch bevor die neue pakistanische Regierung überhaupt offiziell ihre Amtsgeschäfte aufgenommen hat. Sicherheitsexpertin Siddiqa geht davon aus, dass sich auch Sharif trotz anderslautender Rhetorik kein vollständiges Aussetzen der US-Einsätze wünsche.

Gespaltene Rhetorik Pakistans

Die Vorgänger des neuen Regierungschefs hatten immer wieder öffentlich lautstark gegen die Drohnen Protest eingelegt, um das eigene Volk zu beruhigen. Aber sowohl Ex-Premier Jusuf Raza Gilani als auch der frühere Militärmachthaber Pervez Musharraf haben sich alles andere als gegen das Programm aufgelehnt - das zeigen Gesprächsprotokolle. Musharraf räumte in einem CNN-Interview ein, während seiner Zeit als Staatschef sei den US-Einsätzen zugestimmt worden, wenn "die Zeit nicht ausgereicht hat, dass unser eigenes Militär eingreift". Und Noch-Staatschef Asif Ali Zardari hatte, wie die von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Depeschen offenbaren, im Gespräch mit einer amerikanischen Delegation gesagt, die pakistanische Regierung wolle die Drohnen selbst einsetzen, "damit wir nicht von den Medien oder sonst irgendwem kritisiert werden können". Pakistans Regierung hatte demnach bislang keine Bedenken wegen der möglichen Verstöße gegen internationales Recht oder der Souveränitätsverletzung, sondern wollte selbst die Kontrolle über das Programm erlangen. Zwar werde es Sharif vermeiden, seine Zustimmung zu den US-Drohnen bei öffentlichen Auftritten oder hinter geschlossenen Türen zu Protokoll zu geben, ist sich die Analystin Siddiqa sicher. Aber auch er wisse kein anderes Mittel, als die Einsätze über pakistanischem Gebiet zu dulden.

Nach einer Statistik des amerikanischen Instituts New America Foundation haben die USA mit dem Angriff auf den pakistanischen Taliban-Vize seit Beginn des Programms im Jahr 2004 exakt 356 Drohnenangriffe in Pakistan vorgenommen. Dabei seien zwischen 2014 und 3343 Menschen ums Leben gekommen, davon bis zu 307 Zivilisten und bis zu 2706 Militante. Menschenrechtsgruppen sprechen von deutlich mehr getöteten Zivilisten, aber genaue Zahlen gibt es nicht, weil kaum belastbare Informationen zu den Angriffen bekannt sind. Die Statistik basiert auf Medienberichten aus einer Region, die für unabhängige Beobachter unzugänglich ist.

Für die Menschen in den Stammesgebieten ist die Präsenz der Drohnen, die stundenlang über dem Einsatzgebiet kreisen, eine immense psychische Belastung. "Das Brummen des Propellers erinnert einen ständig daran, dass der Tod droht", schrieb der amerikanische Journalist David Rohde über die unbemannten Flugzeuge, die er während seiner Zeit als Gefangener der Taliban häufig zu sehen und hören bekam.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: