Krieg in Libyen: Noman Benotman im Gespräch:"Gaddafi wird um nichts in der Welt aufgeben"

An der Front im Osten Libyens herrscht ein Patt: Trotz der Unterstützung der Nato gelingt es den Aufständischen nicht, weiter in den Westen vorzudringen. Der Ex-Dschihadist und Libyen-Experte Noman Benotman spricht im Interview mit sueddeutsche.de über die Strategie der Allianz, den Einfluss der Islamisten auf die Rebellen - und die Zukunft Gaddafis.

Kathrin Haimerl

Der Libyer Noman Benotman gehörte bis 2002 zu den führenden Köpfen der Dschihadisten in Libyen: Als einer der Anführer der terroristischen "Libysch-Islamischen Kampfgruppe" (Al-Jama'a al-Islamiyyah al-Muqatilah bi-Libya, engl.: Libyan Islamic Fighting Group/LIFG) kämpfte er jahrelang gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi. In der LIFG schlossen sich 1995 Libyer zusammen, die in Afghanistan gegen die Truppen der Sowjetunion gekämpft hatten. Ziel der Organisation war es, in Libyen einen islamistischen Staat zu errichten. 1996 bekannte sich die Gruppe zu dem gescheiterten Attentat auf Gaddafi. Die LIFG hatte enge Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida: In einem Trainingslager in Afghanistan traf Benotman mehrfach auf Osama bin Laden. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schwor Benotman dem Terror ab und distanzierte sich in mehreren öffentlichen Briefen an die Al-Qaida-Führer von deren Zielen. Er gehört heute zu den prominentesten Kritikern des Terrornetzwerks und arbeitet als Analyst bei der Londoner Quilliam Foundation, einer Denkfabrik, die sich kritisch mit Extremismus auseinandersetzt. Benotman ist außerdem ein Vertrauter des ehemaligen libyschen Außenministers Mussa Kussa, der Ende März nach London geflohen ist.

Libya unrest

Kämpfer der Rebellen an der Front bei Adschdabija: Der Libyer Noman Benotman hält eine politische Lösung im Libyen-Konflikt in den nächsten Wochen für kaum möglich.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Benotman, Sie waren einer der führenden Köpfe der LIFG und kämpften jahrelang gegen Gaddafi. Welche Rolle spielen die Islamisten beim aktuellen Aufstand gegen das Regime?

Noman Benotman: Sie sind nicht die treibende Kraft hinter den Aufständischen. Sie stehen nicht hinter der Protestbewegung, ich betone das immer wieder. Es ist das Volk. Aber weil sie als Libyer auch Teil des Volks sind, haben sie das Recht, sich an den aktuellen Entwicklungen zu beteiligen.

sueddeutsche.de: Welche islamistischen Gruppen gibt es in Libyen?

Benotman: Da wären beispielsweise die Salafiten, die Muslimbruderschaft, die Sufi, wir haben einige Dschihadisten - aber al-Qaida existiert in Libyen nicht.

sueddeutsche.de: Vor einigen Wochen erklärte die Nato allerdings, dass sie Al-Qaida-Kämpfer unter den Rebellen vermutet.

Benotman: Hier liegt ein großes Missverständnis vor. Al-Qaida würde diese Möglichkeit gerne ausnutzen. Wenn es einen Konflikt oder Krieg gibt, haben sie ein Interesse daran, diesen für die eigene Sache zu instrumentalisieren. Dass sich in der vergangenen Zeit mehrere führende Köpfe per Videobotschaft zur Situation in Libyen geäußert haben, belegt dies. Allerdings existiert in Libyen al-Qaida als Gruppe mit einer hierarchischen Organisation nicht. Wenn Gaddafi behauptet, al-Qaida stecke hinter dem Aufstand, ist das reine Propaganda. Richtig ist: Es gibt in Libyen eine Dschihadistenbewegung. Allerdings werden hier häufig die ehemaligen Mitglieder der Libysch-Islamischen Kampftruppe mit einigen unabhängigen Dschihadisten vermischt, die keiner Gruppe angehören.

sueddeutsche.de: Frühere Kämpfer der LIFG unterstützen also heute die libysche oppositionelle Bewegung. Welche Interessen verfolgen sie dabei?

Benotman: Seit 2007 beobachten wir in Libyen einen Wandel, einen Prozess der Deradikalisierung. Dieser endete damit, dass das Regime bis zu 900 Gefangene freiließ, unter ihnen 200 ehemalige LIFG-Kämpfer. Diese Leute helfen nun ihrem Volk - aus unterschiedlichen Motivationen. Sie kommen aus verschiedenen Teilen des Landes. Man kann ihnen nicht verbieten, sich an der Oppositionsbewegung zu beteiligen, nur weil sie ehemalige Mitglieder der LIFG sind.

sueddeutsche.de: Welche Gruppen umfasst die libysche Opposition?

Benotman: Im Moment gibt es keine politische Gruppe, Partei oder Bewegung, die von sich behauptet, hinter dem Aufstand zu stehen. Das ist sehr wichtig. Die Opposition besteht aus Zehntausenden Menschen von verschiedenen Stämmen, aus unterschiedlichen Teilen des Landes. Wenn von der Opposition die Rede ist, dann ist tatsächlich das libysche Volk gemeint. Es sind die ganz gewöhnlichen, normalen Libyer. Sie pochen auf ihr Recht, ein demokratisches System zu errichten. Auch für die Regierung im Osten Libyens (dem Nationalrat in Bengasi, Anm. d. Red.) darf das Wort Opposition nicht im herkömmlichen Sinn verwendet werden. Es ist ein signifikanter Teil der libyschen Bevölkerung, der dahinter steht. Die Zeit für politische Opposition bricht an, wenn wir es schaffen, diesen Krieg zu beenden. Dann braucht es wahrscheinlich eine Übergangsperiode von ein bis zwei Jahren.

sueddeutsche.de: Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, das Gaddafi zum Aufgeben bewegen könnte?

Benotman: Nein. Glauben Sie mir: Um nichts in der Welt wird er aufgeben.

sueddeutsche.de: Aber der Rücktritt Gaddafis ist die Hauptforderung der Opposition und des Westens. Wie kann dieser Krieg beendet werden?

Benotman: Zurzeit scheint es fast unmöglich, einen Kompromiss zu finden. Die Opposition und die internationale Gemeinschaft haben nur ein Ziel, das da lautet: Gaddafi und seine Familie müssen gehen. Sie dürfen in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Gaddafi und seine Unterstützer halten diese Bedingung für nicht verhandelbar. Ich fürchte, ohne eine kriegerische Eskalation ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Es wird vermutlich massive Gewalt angewandt werden müssen, um Gaddafi zum Aufgeben zu zwingen.

sueddeutsche.de: Im Moment sieht es nicht so aus, als würde das UN-Mandat für den Libyen-Einsatz verschärft. Geht man von der derzeitigen Strategie der Nato aus - wie lang kann der Krieg aus Ihrer Sicht noch dauern?

Benotman: Ich stimme mit westlichen Experten überein, dass die Kämpfe noch mindestens sechs Monate andauern können. Eine Möglichkeit für eine politische Lösung in den nächsten Wochen sehe nicht.

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