Coaching von Politikern im Wahlkampf:Trainingsziel Charisma

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Kanzlerin Angela Merkel setzt im Wahlkampf gezielt persönliche Akzente.

(Foto: AFP)

Kanzlerin Merkel spricht öffentlich über schöne Männeraugen, Herausforderer Steinbrück über seinen Jugendjob als Parkplatzwächter: Die persönliche Wirkung ist im Wahlkampf wichtiger denn je. Doch anders als Wirtschaftsführer geben nur wenige Politiker zu, sich der Hilfe eines Profi-Coaches zu bedienen - sie fürchten die Folgen.

Von Ulrike Heidenreich

An der Führungsakademie der SPD werden aufschlussreiche Kurse angeboten. Über den bewussten Einsatz von Sprache beispielsweise. Kommunikationspannen, die nun dem entlassenen Pressesprecher Michael Donnermeyer angelastet werden, ließen sich damit eventuell verhindern. An der Akademie der Sozialdemokraten gibt es außerdem eine Art Selbst-Coaching-Kurs, in dem sich Ausstrahlung und Charisma stärken lassen. Wer daran teil nimmt? Streng geheim.

Eines ist aber sicher: Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, tut es nicht. Mag er noch so durch den Wahlkampf rumpeln, er wolle gar nicht erst versuchen, sich zu ändern oder coachen zu lassen - das würde ohnehin als Schauspielerei entlarvt, hat Steinbrück einmal gesagt. Damit liegt er voll auf der Linie deutscher Politiker. Die Spitzenmanager in der Wirtschaft hierzulande lassen sich auf schwierige Auftritte vorbereiten, auch im Ausland geht wenig ohne den Profi-Berater. Doch der Politiker in Deutschland mag es lieber ungeschminkt, authentisch. Das funktioniert mal mehr, mal weniger.

Fragt man in den Berliner Parteizentralen nach, ob ihre Protagonisten sich ab und zu in ihrer Wirkung von Profis abchecken lassen, klingt die Reaktion so, als wolle man extrem ansteckende Krankheiten der Politiker hinausposaunen. "Hochvertrauliche und sensible Vorgänge", heißt es bei der SPD. "Geht sehr stark in den persönlichen Bereich", wehrt man bei der FDP ab.

Einer der wenigen Politiker, der freimütig erzählt hat, dass er sich professionell hat coachen lassen, ist SPD-Chef Sigmar Gabriel. Nach seiner Abwahl als niedersächsischer Ministerpräsident lernte er nach eigenem Bekunden auf diese Weise, wie man es schafft, gelassen mit Niederlagen umzugehen. Und wie groß der Stellenwert eines Berufes neben Familie und Privatleben überhaupt sein darf, damit es einem gut geht. Gabriel empfahl diese Methode jedem Politiker, der an einem kritischen Punkt ankomme und etwas dazulernen wolle. Dem Stern sagte er: "In der Wirtschaft ist solch ein Coaching normal, in der Politik ist es immer noch verpönt."

Angst vor der Offenbarung persönlicher Schwächen

Woran das liegt? Der Sozialwissenschaftler Ulrich Sollmann, der als Coach in Wirtschaft und Politik arbeitet, sagt: "Viele Politiker haben richtig Angst vor psychologischer Beratung, vor den persönlichen Schwächen, die da offenbart werden." Dieser Typus Machtmensch habe Sorge, die Kontrolle zu verlieren. Zudem fürchteten sie, der Besuch beim Coach können ihnen als Schwäche und Inkompetenz ausgelegt werden - falls er denn bekannt würde.

Von Kanzlerin Angela Merkel weiß man, dass sie sich 2005 vor dem Fernsehduell mit Gerhard Schröder von dem ehemaligen ZDF-Moderator Alexander Niemetz hat beraten lassen. Die Lektionen beschränkten sich auf reines Sprechtraining und das Auftreten vor der Kamera. Merkel modellierte also unter professioneller Aufsicht an ihrer Gestik, ihrem Lächeln, ihrem Gesichtsausdruck. Schröder, der fernseherfahrene Kanzler, hatte auf Benimm-Stunden verzichtet. Aber auch er lernte für das Duell: Fakten, Zahlen und Argumente, die ihm die Experten im Kanzleramt aufgeschrieben hatten.

Überzeugender für den Wähler wirken

Für Coach Sollmann sind weder die perfekte Gesichtskontrolle noch das sichere Herunterbeten von Zahlen ausreichend: "Politiker werden heutzutage stärker als Menschen, als Personen gesehen." Um im Wettbewerb selbstbewusst dazustehen, bräuchten sie tiefergehende Trainingseinheiten. Politiker sollten sich folgende Fragen stellen und lösen: "Was macht das mit mir in meiner Rolle als Politiker und als Mensch? Wo sind meine Schmerzgrenzen, was kann ich akzeptieren?" Was sich wie das Gemurmel in zermürbenden Selbsterfahrungskursen anhört, wirkt bei Managern aus der Wirtschaft segensreich. Auch Politiker könnten dadurch lernen, sich treu zu bleiben - und damit für den Wähler überzeugender zu wirken, so der Coach.

Das Ego nicht an der Garderobe abgeben

Reines Sprechtraining kann übrigens auch den gegenteiligen Effekt haben. Wie etwa bei Edmund Stoiber: Als der Kanzlerkandidat im Fernseh-Duell 2002 plötzlich mit geschliffenen Sätzen, einer korrekten Subjekt-Prädikat-Objekt-Abfolge und keinerlei "Äähhhs" überraschte, schadete ihm das eher. "Die persönliche Wirkung war ihm abtrainiert worden", sagt Kommunikationsberater Sollmann.

"Nonverbales Wirkungsverhalten" nennt man das, was in diesem Bundestagswahlkampf im Vordergrund stehen wird. "Das ist die allgemeine Entwicklung durch die Medien, das lässt sich nicht aufhalten," so der Sozialwissenschaftler. Kanzlerin Merkel kontrolliert ihre Präsenz auf Bildern bereits akkurat, indem sie von Fotografen vorab wissen will, aus welchem Winkel sie die Bilder aufnehmen werden. Totale Kontrolle - umso mehr versteht man, warum Merkel die Paparazzi-Aufnahmen aus dem Hinterhalt beim Familienurlaub in Italien so sehr empört hatten.

Merkels "kamelartige Fähigkeit"

Der ideale Auftritt eines Politikers, sagt der Frankfurter Manager-Trainer Stefan Wachtel, bedeute, "sich ernsthaft auf eine Rolle vorzubereiten und nicht einfach nur authentisch zu sein". Dies heißt aber nicht, dass ein Mensch, der in der Politik nach oben kommen möchte, sein Ego an der Garderobe abgeben muss. Er solle lediglich auf die sogenannte Anschlussfähigkeit achten, so formuliert es zumindest Coach Sollmann: "Die Formulierungen, die Sprechweise darf der Politiker behalten. Aber wichtig ist, in welchen Kontext er es verpackt und was er zusätzlich sagt."

Ganz wichtig ist es laut verschiedener Wahlforscher auch, ab und zu private Details preiszugeben - ohne sich zu entblättern. Kanzlerin Merkel hatte bei einer Veranstaltung der Zeitschrift Brigitte persönlichere Akzente gesetzt, indem sie zum Beispiel erzählte, dass schöne Augen Männer für sie besonders attraktiv machten. Oder dass sie über eine "kamelartige Fähigkeit" verfüge, Schlaf zu speichern.

Peer Steinbrück tut sich schwer mit derlei Bekenntnissen und rettet sich gerne in Hohn und Spott: "Es werden demnächst Babyfotos von mir veröffentlicht", scherzte er neulich. Seine Familie wolle er aus dem Wahlkampf heraushalten. Es werde vereinzelte Auftritte mit seiner Frau geben, seine drei Kinder seien sehr zurückhaltend: "Sie können nichts machen, was aufgesetzt oder geschauspielert wirkt."

Ein "intimes" Bekenntnis von Kanzlerkandidat Steinbrück

In letzter Zeit hat sich Steinbrück dann aber ein wenig geöffnet. So ließ er sich dazu hinreißen, zu erzählen, dass er in seiner Jugend in Hamburg als Parkplatzwächter bei der damals noch Volksparkstadion genannten Fußballarena des HSV gearbeitet habe: "Da habe ich die größte Karriere meines Lebens gemacht. Ich bin innerhalb eines Jahres von den Fahrrädern über die Motorräder zu den Autos aufgestiegen." Und neulich verriet der Kanzlerkandidat der SPD sogar sein Lieblingstier. Es ist das Nashorn: "Weil es ganz langsam anfängt zu laufen, aber wenn es einmal läuft, nicht aufzuhalten ist." Für Peer Steinbrück ist das fast schon ein intimes Bekenntnis.

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