Chemiepark Bitterfeld:Labors auf Stelzen

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Chemiewerke wie in Bitterfeld gelten als hochwassersicher. Dennoch hat man die Produktion dort gedrosselt.

Holger Wormer und Detlef Esslinger

(SZ vom 17.08.2002) - Die Gegend um Bitterfeld ist flach und deshalb beschäftigt die Menschen vor allem eine Frage: Wohin wird das Wasser spülen, sollten die Dämme brechen? Ist der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen gefährdet, dieses kilometerweite Areal, auf dem 350 Unternehmen ihre Produktionsstätte haben?

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte am Freitag, trotz der Bedrohung durch das Hochwasser setzten manche Firmen dort die Produktion von Stoffen fort, die bei der Berührung mit Wasser explodieren könnten.

Wer darüber mit Matthias Gabriel spricht, dem Chef des Chemieparks, er- lebt einen Mann in Rage. "Was soll der Quatsch?", sagt er, "das ist Panikma- che." Gabriel sagt, der größte Teil des Chemieparks liege nicht nur mehrere Kilometer von der Goitzsche entfernt, sondern vor allem auch ein bis zehn Meter oberhalb. "Und Wasser fließt nicht nach oben."

Unklarheit über Risiken

Somit könnten die dort produzierten Stoffe auch nicht zu einer Gefahr werden. Sachsen-Anhalts Umweltministerin Petra Wernicke (CDU) dagegen hat erklärt: "Wenn die geplanten Maßnahmen zur Entlastung der Goitzsche nicht greifen, ist das Wasser in 30 Stunden im Chemiepark."

Dazu sagt Gabriel, allenfalls "kleine Teilbereiche" könnten von der Flut erreicht werden. Dort aber seien "alle Sicherheitsvorkehrungen" getroffen worden, viele Firmen hätten ihre Produktion gedrosselt, zudem seien gefährliche Substanzen durch Rohrleitungen geschützt.

Viel Baupersonal und Technik im Chemiepark

Im Chemiepark läuft zur Zeit ein großes Bauprogramm mit einem Volumen von 120 Millionen Euro. Der Vorteil in Zeiten des Hochwassers: Es befindet sich viel Technik, Material und Baupersonal auf dem Gelände.

Gabriel weist darauf hin, diese Mannschaft habe am Freitag den Durchstich von der Goitzsche zum alten Tagebau von Rösa, weit östlich von Bitterfeld organisiert. Drei Stunden hätten die Arbeiten gedauert, seit Freitagnachmittag fließe das Wasser durch ein künstliches Flussbett ab.

Wie groß die Gefährdung von Mensch und Umwelt entlang des 727 Kilometer langen deutschen Elbufers durch Chemikalien tatsächlich ist, können Experten derzeit kaum beurteilen. Seit gestern versucht die Störfall- Kommission des Umweltbundesministerium sich in Bitterfeld ein Bild zu machen.

Giftige Substanzen könnten theoretisch nicht nur aus Chemiewerken, sondern auch aus Altlasten ins Elbwasser gelangen - ausgerechnet nachdem die in den letzten Jahren verbesserte Wasserqualität des Flusses kürzlich mit einem "Elbe- Badetag" gefeiert worden war.

Üblicherweise achten Chemiefirmen in Deutschland allerdings schon bei der Planung darauf, dass sie Produktionsanlagen möglichst nicht in Hochwassergebieten bauen. Lässt sich das für einzelne Betriebsteile nicht vermeiden, so werden diese in der Regel künstlich erhöht angelegt.

Auch Bayer produziert in Bitterfeld

Das Gelände, auf dem etwa das Bayer-Werk in Bitterfeld steht, wurde vor dem Bau der Anlage um 1,60 Meter aufgeschüttet. Bei BASF in Ludwigshafen, wo man zweimal jährlich mit kleineren Rheinhochwassern rechnen muss, hat man die Labors zur Wasseranalyse auf Stelzen gebaut, andere Gebäude sind mit verschließbaren Luken versehen und Transformatoren stehen auf aufgeschütteten Hügeln.

Allgemeingültige Vorschriften für den Hochwasserschutz von Chemieanlagen gebe es jedoch nicht, sagt Johann Fritzmann, zuständig für die Abwasserüberwachung der BASF. Spezielle Herstellungsprozesse, die stärker gefährdet sind als andere, gebe es ebenfalls nicht.

Am meisten bereite den Ingenieuren bei Hochwasser ein generelles Problem Kopfzerbrechen: Da viele chemische Reaktionen große Mengen Wärme produzieren, müssen spezielle Pumpen dafür sorgen, dass auch bei Überschwemmungen der Kühlwasserkreislauf des Werks intakt bleibt. Erst ab einem bestimmten Pegel bleibt dann nichts anderes übrig, als die Produktion einzustellen. "Das habe ich in 25Jahren aber noch nicht erlebt", sagt Fritzmann.

Mehr Sorgen als der Chemiepark Bitterfeld bereiten den Experten derzeit Altlasten und Chemikalienabfälle in der Nähe des tschechischen Elbufers. So lagern auf dem Gelände der Chemiefabrik "Spolana" nach Greenpeace- Angaben Quecksilber und giftige Dioxine, die das Hochwasser ausspülen könnte.

Experten sorgen sich um Dioxine

Zwar sind Dioxine wie das Seveso-Gift "2,3,7,8-TCDD" äußerst schlecht wasserlöslich, sie können aber an Partikeln haften und mit diesen fortgeschwemmt werden. Im günstigsten Fall setzen sich belastete Schwebstoffe schon nach wenigen Kilometern wieder im Sediment ab, ohne größeren Schaden anzurichten. Schlimmstenfalls können sie ein Fischsterben zur Folge haben.

Ähnliche Unsicherheit herrscht über die Gefahr durch ausgespülte Schwermetalle wie Quecksilber: "Dazu müsste man relativ genau wissen, was in welcher Menge in den Fluss gelangt", sagt Holger Brackemann vom Fachgebiet Wasserwirtschaft am Umweltbundesamt. Bis Messwerte vorliegen, setzt man auf dasselbe Phänomen, von dem auch die Bedrohung ausgeht: "Im Moment ist ja relativ viel Wasser unterwegs", sagt Brackemann. Schadstoffe würden deshalb möglicherweise so stark verdünnt, dass sie nicht mehr giftig sind.

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