Cameron mit erneuter EU-Kritik:"Europa fällt in der Welt zurück"

Vorreiter bei Erfindergeist und Wirtschaftskompetenz? Diesen Status hat Europa nach Ansicht des britischen Premiers David Cameron verloren. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos übt er erneut heftige Kritik an der Staatengemeinschaft - und skizziert eine Zukunft der EU als Wirtschaftsverbund.

Von Lutz Knappmann, Davos

Er machte sich gar nicht erst die Mühe, die Wogen zu glätten. Der britische Premierminister David Cameron hat seine Ankündigung verteidigt, eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft seines Landes abzuhalten. "Es geht nicht darum, der EU den Rücken zu kehren", sagte Cameron beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Es gehe vielmehr darum, Europa voranzubringen. "Unsere Politik setzt darauf, unseren Platz in Europa zu finden", betonte Cameron. "Wir setzen uns ein für offenes, flexibles und wettbewerbsfähiges Europa."

Es gebe doch schon längst eine Debatte über die Rolle Großbritanniens in der EU, sagte Cameron. "Wir müssen offen und ehrlich miteinander reden." Viel risikoreicher sei es, nichts zu tun und die Diskussion einfach laufen zu lassen.

Einen Tag nach seiner Rede zur Zukunft Großbritanniens in der EU erneuerte der Konservative seine Kritik. Den Status als Vorreiter bei Erfindergeist und Wirtschaftskompetenz habe die EU inzwischen verloren, so sein Fazit. "Ganz Europa ist heute überholt in Sachen Innovation und Wettbewerbsfähigkeit", sagte er. "Europa fällt in der Welt zurück."

Cameron stellt sich ausdrücklich gegen eine zentralisierte EU, die von Brüssel aus gesteuert wird. "Großbritannien ist einer der wichtigen politischen Faktoren innerhalb der EU. Eine zentralisierte politische Union wird es mit mir aber nicht geben", betonte er.

"Die Zustimmung in Großbritannien ist hauchdünn"

Am Mittwoch hatte Cameron in seiner mit Spannung erwarteten Europa-Rede angekündigt, die britische Bevölkerung über die EU-Mitgliedschaft des Landes abstimmen zu lassen. Er strebe ein "In-out"-Referendum an. Die Briten sollen schlicht mit ja oder nein antworten, ob das Land in der EU bleiben soll. Abhalten will er das Votum nach der Unterhauswahl 2015, spätestens Ende 2017 - vorausgesetzt, er ist zu diesem Zeitpunkt noch Premierminister.

"Die Zustimmung in Großbritannien ist hauchdünn", wiederholte Cameron sein Argument dafür, das Volk zu befragen. Er wolle die Spielregeln in der EU neu definieren und darüber abstimmen lassen. "Nur wenig mehr als die Hälfte der EU-Staaten sind auch Teil der Gemeinschaftswährung - und Großbritannien wird wahrscheinlich nie dem Euro beitreten", so Cameron weiter. Wenn die Entwicklung in Richtung eines europäischen Nationalstaates gehe, lehne er dies ab. Es gehe ihm darum, die EU von einem Kostenfaktor für die Wirtschaft zu einem Wachstumsmotor zu machen.

In seiner Rede versuchte Cameron jedoch, nicht nur über die EU zu sprechen. Sichtlich bewusst, welches Signal er damit sendete, wandte sich Cameron den nach seiner Ansicht wichtigsten Aufgaben zu, die er als Vorsitzender der G-8-Staaten habe. Ausführlich sprach Cameron über seine Ziele: mehr freien globalen Handel zu ermöglichen, faire und niedrige Steuern einzuführen, mehr Transparenz zu schaffen, sowie Hilfe für Entwicklungsländer zu leisten.

Italiens Monti warnt vor Alleingängen

Die in Davos versammelten Staatschefs einiger EU-Staaten ließen sich nicht zu scharfer Kritik an Cameron hinreißen. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny appellierte an die Briten: "Ich wünsche mir, dass Großbritannien ein zentraler Teil der EU bleibt."

Er zeigte sich zuversichtlich, dass die britische Bevölkerung am Ende für den Verbleib in der EU stimmen werde. "In Irland hatten wir in den vergangenen 40 Jahren viele Volksabstimmungen über EU-Verträge. Wir sind Teil der EU und stolz darauf. Bei der Abstimmung über den europäischen Fiskalpakt im vergangenen Sommer hatten immerhin 60 Prozent der Iren zugestimmt. "Wir haben uns zugunsten des Euro entscheiden. Denn darin sehen wir unsere Zukunft", sagte Kenny.

Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt rief Großbritannien zur Solidarität auf und verwies auf ihr eigenes Land: "Wir hatten die Wahl: Abspalten oder solidarisch mit den Anderen bleiben. Wir sind solidarisch geblieben", sagte sie.

Italiens Ministerpräsident Mario Monti, betonte, dass die Staaten Europas nur gemeinsam agieren könnten. Keine einzelnen Länder, nicht einmal die größten, könnten alleine wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren, wenn nicht die gesamte EU Politik auf Wachstum ausgerichtet sei.

Mitarbeit: Christopher Pramstaller

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