Bürgerbeteiligung an Großprojekten:Diskussion unerwünscht

Mehr Mitsprache fürs Volk? Die Bundesregierung zieht andere Konsequenzen aus den Bürgerprotesten um Stuttgart 21. Künftig soll es im Ermessen der Behörden liegen, ob die Bürger ihre Einwände vortragen dürfen.

Wolfgang Janisch

Der vehemente Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 hat die Forderung nach einer stärkeren Bürgerbeteiligung ausgelöst - die Bundesregierung indes will nun offenkundig die gegenteilige Konsequenz ziehen: Nach einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums soll der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren "fakultativ" sein.

Jahresrueckblick Dezember 2010: Protest gegen 'Stuttgart 21'

Bürgerproteste gegen das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21. Die Bundesregierung will nun die Beteiigung der Bürger im Planfeststellungsverfahren einschränken.

(Foto: dapd)

Das heißt: Es stünde dann im Ermessen der Behörde, ob sie den Bürgern Gelegenheit gibt, ihre Einwände mit Vertretern der Verwaltung zu diskutieren. Der Bund für Umwelt und Naturschutz wertet dies als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Bürgern, auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) äußert Bedenken.

Das Reformprojekt stellt sich auf den ersten Blick als durchaus sinnvolle Maßnahme zur Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren dar. Die Vorschriften aus sechs Gesetzen zur Eisenbahn, zu den Fern- und den Wasserstraßen, zum Luftverkehr, zur Energiewirtschaft sowie zur Planung von Magnetschwebebahnen sollen vereinheitlicht werden. Für behördliche Stellungnahmen werden zwingende Fristen eingeführt, zugleich wird es Klägern erschwert, eine Planung wegen Formfehlern gerichtlich zu kippen.

Auch beim zentralen Punkt - dem Erörterungstermin - will das Innenministerium glauben machen, es handle sich um eine vergleichsweise unbedeutende Neuerung. Der Behörde werde damit lediglich die Möglichkeit eröffnet, auf den Termin zu verzichten, wenn er "erkennbar seine Befriedungsfunktion nicht erfüllen kann". Dies werde die Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Außerdem: Schon jetzt stellten es die meisten betroffenen Gesetze ins Ermessen der Behörde, eine öffentliche Erörterung anzuberaumen - Fehlentwicklungen hätten sich dabei nicht ergeben.

Zwar ist der Hinweis auf das derzeit geltende Ermessen der Behörden zutreffend. So heißt es etwa im Eisenbahngesetz: "Die Anhörungsbehörde kann auf eine Erörterung verzichten." Ein Blick in die Begründung des Entwurfs - die für die anschließende Verwaltungspraxis maßgeblich sein könnte - lässt allerdings vermuten: Dem Innenministerium ist vor allem daran gelegen, der Verwaltung die mühsame und zeitraubende Auseinandersetzung mit den Bürgern zu ersparen - zumal bei kontroversen Projekten wie Stuttgart 21.

Süffisante Frage

Bei manchen Großvorhaben mit einer großen Zahl von Einwendern, so heißt es dort, sei der Erörterungstermin in der Praxis kaum noch zu steuern und werde zuweilen auch gezielt gestört, etwa durch zahlreiche Befangenheitsanträge. Und weiter: "Ihre Funktion kann die Erörterung auch dann nicht erfüllen, wenn Vorhaben erkennbar aus sachfremden Erwägungen kategorisch abgelehnt werden."

Der Entwurf soll also gezielte Obstruktion ausschließen. Das bringt den Anwaltverein in seiner Stellungnahme zu der süffisanten Frage, wer eigentlich darüber entscheide, welche Einwendungen ernsthaft seien und welche nicht.

DAV-Anwalt Thomas Lüttgau stellt außerdem die politische Klugheit des Entwurfs in Frage. Ein Verzicht auf den Termin mache das Planungsverfahren keineswegs schneller, denn zeitaufwendig sei das frühe Stadium der Planfeststellung und nicht etwa die am Ende des Verfahrens stehende Erörterung. "Unter Beschleunigungsaspekten spielt das keine Rolle", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Auf der anderen Seite sei die befriedende Wirkung nicht zu unterschätzen. Bei komplexen Großvorhaben seien Betroffene oft überfordert, ihre Einwände innerhalb der Sechs-Wochen-Frist zu Papier zu bringen. Ihre Bedenken könnten sie daher häufig erst in der direkten Diskussion mit der Behörde auf den Punkt bringen - womit die Erörterung für Transparenz und Klarheit sorge.

Im Entwurf lässt das Ministerium freilich auch Problembewusstsein erkennen. Im geplanten E-Gouvernement-Gesetz solle beispielsweise vorgeschrieben werden, dass die Behörden die entscheidenden Dokumente auch elektronisch im Internet zugänglich machen. Und die Konsequenz aus Stuttgart 21 müsse sein, die Bürger schon im Vorfeld der konkreten Planung einzubeziehen und nicht erst am Ende eines langen Verfahrens. Wie das geschehen soll - dazu jedoch schweigt der Entwurf.

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