Außenansicht:Respekt entsteht nicht durch Drohungen

Außenansicht: Tobias Singelnstein, 39, ist Professor für Strafrecht an der Freien Universität Berlin.

Tobias Singelnstein, 39, ist Professor für Strafrecht an der Freien Universität Berlin.

(Foto: oh)

Die Koalition will Angriffe auf Polizeibeamte schärfer ahnden. Das nützt niemandem.

Von Tobias Singelnstein

Polizisten auf der Straße haben einen anspruchsvollen Job. Sie werden mit Problemen konfrontiert, die andere Instanzen nicht lösen konnten. Die zunehmende Ausdifferenzierung der Gesellschaft und ein von Konfrontation und Konkurrenz geprägtes Klima haben dies in der jüngeren Vergangenheit nicht einfacher gemacht. Mitunter kommt es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen und Angriffen auf Polizeibeamte - etwa wenn Polizisten Bürger kontrollieren oder festnehmen wollen. Harte Auseinandersetzungen mit schweren Verletzungen und längerer Dienstunfähigkeit sind in Deutschland allerdings sehr selten.

Selbstverständlich werden die Polizeibeamten in solchen Situationen durch das Strafrecht geschützt - ebenso wie jeder andere Bürger auch. Körperverletzungen oder Nötigungen sind strafbar, egal wen es betrifft. Gleichwohl will die Bundesregierung nun einen besonderen Tatbestand zum Schutz von Polizeibeamten in das Strafgesetzbuch einführen und erfüllt damit eine langjährige Forderung von zwei Polizeigewerkschaften.

Der geplante Paragraf 114 des Strafgesetzbuchs sieht vor, dass sogenannte tätliche Angriffe auf Polizeibeamte einfacher und härter bestraft werden. Sie sollen künftig mit mindestens drei Monaten Gefängnis geahndet werden, in besonders schweren Fällen mit mindestens sechs Monaten. Einfache Körperverletzungen und Nötigungen gegenüber normalen Bürgern kennen hingegen keine erhöhte Mindeststrafe, sodass es oft bei einer Geldstrafe bleibt.

Diese Initiative des Gesetzgebers ist erstens erstaunlich - haben tätliche Angriffe im Sinne des Tatbestandes in den vergangenen Jahren doch nicht zu- sondern abgenommen. Der hier bislang einschlägige Paragraf 113 des Strafgesetzbuchs ("Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte") war erst im Jahr 2011 verschärft worden. Zählte die polizeiliche Kriminalstatistik in jenem Jahr noch 22 839 Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt, waren es im Jahr 2015 nur noch 21 945.

Zweitens ist der vom Bundesjustizministerium vorgelegte Gesetzentwurf in seiner Strafdrohung unverhältnismäßig. Die Formulierung vom tätlichen Angriff klingt zwar nach einer schweren Tat. Juristen verstehen hierunter jedoch alle gewaltsamen Handlungen, die sich gegen den Körper des Beamten richten; zu Schmerzen oder Verletzungen muss es nicht kommen. So wäre schon das Schubsen eines Polizeibeamten mit mindestens drei Monaten Gefängnis bedroht. Auch der Bereich der "besonders schweren Fälle" ist schnell erreicht. Hierfür genügt es, wenn man bei der Handlung nicht alleine sondern zu zweit ist. Ebenso reicht es aus, wenn man ein Taschenmesser oder ein anderes "gefährliches Werkzeug" bei sich trägt - auch wenn man keine Absicht hat, dieses zu verwenden.

Drittens ist der vorgeschlagene neue Tatbestand gefährlich weit gefasst. Für eine Verurteilung nach dem geplanten Paragrafen 114 Strafgesetzbuch genügt schon die bloße Handlung des tätlichen Angriffs. Weder muss es wirklich zu einer Körperverletzung kommen, noch muss der betroffene Polizist gerade eine Vollstreckungshandlung vornehmen, also zum Beispiel einen Platzverweis durchsetzen oder eine Person festnehmen, wie es der bisherige Paragraf 113 voraussetzt. Dieses Fehlen von eingrenzenden Tatbestandsmerkmalen verleiht den Polizeibeamten eine Definitionsmacht über die Wirklichkeit. Bei den in Rede stehenden Geschehensabläufen handelt es sich um dynamische soziale Interaktionsprozesse, die von gegenseitiger Aktion und Reaktion von Bürger und Polizist geprägt sind. Wie diese Situationen im Nachhinein rekonstruiert und gedeutet werden, also ob ein tätlicher Angriff im Sinne des Tatbestands vorliegt, hängt dann praktisch ausschließlich von den Aussagen der beteiligten Polizisten ab. Anders als in anderen Fällen sind die Beamten hier aber keine neutralen Beobachter, sondern Beteiligte des Geschehens, die nicht unvoreingenommen sind und unter Umständen sogar eigene Interessen verfolgen.

Viertens ist der von der Bundesregierung vorgeschlagene Tatbestand in der Praxis überflüssig. Alle über die genannten Bagatellfälle hinausgehenden Handlungen werden schon heute von den Körperverletzungstatbeständen erfasst. Dies gilt für nur versuchte Taten, bei denen die Körperverletzung letztlich ausbleibt, wie auch für die besonders schweren Fälle. Die Strafrahmen, die schon heute mit den Körperverletzungstatbeständen zur Verfügung stehen, können den Unrechtsgehalt solcher Taten ohne weiteres erfassen. Was als Neuerung bleibt, ist die unverhältnismäßig harte Mindeststrafe. Auch diese bringt jedoch nichts: Die empirische Sanktionsforschung hat hinreichend belegt, dass härtere Strafen nicht zu stärkerer Abschreckung führen. Im Besonderen gilt dies für Taten, die - wie hier - spontan aus einer bestimmten Situation heraus entstehen. Der geplante besondere strafrechtliche Schutz der Polizei wird daher nicht zu einer Abnahme von körperlichen Auseinandersetzungen mit Polizisten führen.

Die Entfremdung zwischen Polizei und Bürgern wird nicht durchbrochen, sondern verschärft

So mag der geplante neue Tatbestand als symbolisches Signal an die Polizeigewerkschaften taugen. Für das proklamierte Ziel, den Schutz von Polizisten, erweist er sich sogar als kontraproduktiv. Nicht nur, dass er nicht geeignet ist, solche Vorfälle zu verhindern. Auch wird die spiralhafte Entfremdung zwischen Bürgern und Polizei durch die Verschärfung nicht durchbrochen, sondern weiter vorangetrieben - und diese Entfremdung ist eine Grundlage jener Konflikte, um die es hier geht. Der viel geforderte Respekt für die Polizei entsteht nicht durch Drohungen. Auch nicht durch Strafdrohungen.

In dem Vorhaben der großen Koalition spiegelt sich allerdings ein gewandeltes Verständnis von Polizei, Staatsgewalt und bürgerlichen Freiheitsrechten wider. Bis vor ein paar Jahren galt der alte Paragraf zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte noch als besonders mild. Das war Absicht: Taten, die in der Hitze der Erregung gegenüber Polizeibeamten bei einer Vollstreckungshandlung begangen werden, sollten nicht so scharf beurteilt werden wie sonstige Nötigungshandlungen. So wollte der Gesetzgeber der Ausnahmesituation Rechnung tragen, in der sich Bürger befinden, die gut ausgerüsteten Vertretern der Staatsgewalt mit besonderen Befugnissen gegenüberstehen.

Dieses Verständnis verkehrt der Gesetzgeber mit dem geplanten Paragrafen 114 des Strafgesetzbuchs in sein Gegenteil. An die Stelle der bisherigen Privilegierung der Bürger setzt er einen besonderen strafrechtlichen Schutz der Polizei - ein Privileg der Exekutive, das man sonst eher in autoritären Staaten findet.

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